Unser Gesetzgeber, sagt der Karli, hat sich dabei ja schon etwas gedacht, nämlich, dass nicht jeder Trottel automatisch kandidieren kann, wenn es ihm grad einfällt ...

Foto: Matthias Cremer

Jeder, der schon einige Zeit lebensmäßig unterwegs ist, hat ein paar Personen im Kopf, die man längst aus dem Blick verloren hat, die aber auf vertrackte Weise zum fixen Ensemble auf den Bühnen des Unterbewussten zählen. Für mich ist der Högermoser Karli so eine Figur. Kennengelernt haben wir uns im Zuge der Aktion 75 der oberösterreichischen Gewerkschaftsjugend, irgendwann in dem Jahr, das der Aktion den Namen gab. Ich, sowohl Schüler- als auch Betriebsaktivist, wollte Lehrlinge und Gymnasiasten vereinen. Högermoser, erzkatholischer Schülersprecher aus einem berüchtigten Stiftsgymnasium an der Krems, argumentierte beim dritten Planungstreffen, an dem er teilnahm, plötzlich leninistisch.

Bevor die Aktion 75 zu ihrem ordentlichen Abschluss kam, flog der Karli aus dem Internat und verschwand ohne Matura nach Wien. Als ich drei Jahre später in SPÖ-Studentenheimen aktiv war, tauchte der Karli plötzlich bei Debatten als Trotzkist auf und schimpfte mich einen kleinbürgerlichen Revisionisten. Zuletzt gesehen haben wir uns im Spätherbst 1982 im Lale Pudding Shop in Istanbul. Ich kam gerade mit einem blauen Auge aus dem türkischen Kurdengebiet retour, er war auf dem Sprung nach Bagdad. Danach wurde vom Karli in sehr unregelmäßigen Abständen kolportiert: Er sei Sufi in Konya, Buddhist im Pandschab beziehungsweise orthodoxer Mönch auf einer ägäischen Insel geworden.

Kürzlich habe ich den Karli wiedergesehen, zunächst erst einmal: plötzlich wiedergehört. Ich stand vor der Hauptbühne der Vienna Pride und hörte zwei dänischen Dragqueens zu, wie sie einen Set Abba-Hits abspulten. Da schnauzte ein kleiner Dicker mit weißem Vollbart und Rossschwanz ein Pärchen in Neos-Leiberln in unverkennbarer Oberösterreich-Mundart an: "Sads es von der neichen Boadei de wos jetza vo dem Wöpopmnazi finanziert wird?" Unverkennbar und leibhaftig, der Högermoser Karli stand neben mir, und, ich mach es kurz, es wurde eine sehr lange Nacht.

Von all den Gerüchten über ihn sei nur an der griechischen Insel und dem Kloster etwas dran, allerdings sei er dort nicht Mönch, sondern nur Gärtner gewesen - bis er seine jetzige Frau Maria am Strand kennengelernt habe. Ihr, der Soziologieprofessorin, ist im letzten Jahr zuerst das Gehalt um die Hälfte gekürzt worden, bevor sie in Frühpension geschickt wurde. Er habe sich bis vor zwei Jahren als Nebenhermakler und mit einem kleinen Café in Chania ganz gut durchgeschlagen. Gegenwärtig lebe er von Ersparnissen, allerdings, wenn der Sohn wirklich zum Studium nach Wien will, dann seien die bald auch weg.

Österreichische Politik? Ja, klar. Er sei zwar relativ exakt 25 Jahre nicht im Land gewesen, aber österreichische Gäste, manchmal Zeitungen, in den letzten Jahren Internet, er habe das Ganze schon irgendwie mitgekriegt: Waldheim, die Haiderei, der Strohsack, der den Goldesel spielt und sich die Politik kauft ... So wie er mit der griechischen Politik, wo die Faschisten wieder im Parlament sitzen, nichts mehr am Hut habe, so interessiere ihn Österreich auch schon lange nicht mehr. Und bei mir? Na ja, sage ich, Bauchweh mit der SPÖ, wie immer. Und wenn die Grünen in Salzburg mit dem Strohsack eine Koalition eingehen, dann ist auch der Pilz keine Option mehr.

Weißt noch, wie wir als Liste sozialistischer Studentenheime gegen den VSSTÖ kandidieren wollten und daraus eine Linkspartei formieren? Waren wir was von deppert. Deppert ist relativ, sage ich. Übrigens, es gibt neuerdings eine Partie, die will es partout probieren: sozialdemokratisch, linksgrün, integre junge Leute. Die wollen österreichweit antreten. Da müssen die aber erst auf den Stimmzettel, grinst der Karli, und das schau ich mir an in dem Land!

Ja, die Hürden sind nicht ohne: mitten in der Ferienzeit innerhalb dreier Wochen 2600 Unterstützungserklärungen österreichweit. Das hat in der Zweiten Republik die KPÖ zu Zeiten geschafft, als sie noch besser gestrickt war. Und der Martin bei einer EU-Wahl, mithilfe der Kronen Zeitung. Dabei ist die Hürde nicht eigentlich die Zahl, sondern der Metternich'sche Bürokratieweg: mit einem vorher schon besorgten und ausgefüllten Unterstützungsformular auf das Gemeinde- oder Bezirksamt gehen, dort fragen, wo sich der Beamte / die Beamtin befindet, vor dem/der man dann unterschreiben muss, amtlich lichtbildbeglaubigt. Und dann: das Formular wieder an die wahlwerbende Partei retournieren. Diese hat, wenn die amtlich korrekt unterschriebene Erklärung bei ihr eingetroffen ist, dann nach Ablauf der Eintragungsfrist exakt zwei Tage Zeit, um in allen Landeswahlbehörden aufzutauchen.

Wobei: Nicht irgendwer kann dort erscheinen, sondern ein Mitglied des Parteivorstands, welches wieder durch den Eintrag ins Parteienregister legitimiert ist. Und wenn dann die Landeswahlbehörde die je nach Bundesland unterschiedliche Anzahl von Unterstützungserklärungen anerkennt, dann muss man in neun Bundeslandwahlbehörden je 435 Euro auf den Packen Unterstützungserklärungen drauflegen, als Druckkostenzuschuss für das Erscheinen auf dem Wahlzettel. Und auf dem Wahlzettel darf dann auch nur die Kurzbezeichnung stehen, und die darf maximal fünf Buchstaben haben. Pech also, wenn sich der Parteiname nicht in ein adäquates Kürzel schrumpfen lässt.

Nicht der Stein der Weisen

Gut, sagt der Karli, ist sicher jetzt nicht der demokratische Stein der Weisen, anderseits weißt auch du, dass unsere Gesetzgeber sich dabei ja schon etwas gedacht haben, nämlich, dass nicht jeder Trottel automatisch kandidieren kann, wenn es ihm grad einfällt. Da hätten wir ja hundert Parteien am Zettel. Eh klar, meine ich, nur es genügen halt für die Kandidatur auch die Unterschriften von drei Nationalratsabgeordneten. Und wenn du die nicht überzeugen kannst oder dir gleich alle Mandatare, die du kriegen kannst, einfach mit entsprechenden Summen kaufst, dann hast du, auch wenn du ein seriöses Programm hast und entsprechende Kandidaten, halt ein Problem. Wobei, sagt der Karli, da muss ich dich jetzt schon fragen, was ist denn eigentlich ein seriöses Programm, noch dazu, wo Programm und Praxis einer Partei in einer bürgerlichen Demokratie sowieso so viel miteinander zu tun haben wie die Sonne mit dem Mond. Generell und realistisch gedacht schießen die Russen uns zwei früher auf den Mond, als dass in Österreich eine Kleinpartei ohne massive Geldspritze oder Medienunterstützung durch den Massenboulevard auf den Zettel kommt. Und das ist der Grund, weswegen ich, seit ich für die GRM einmal selber kandidiert und das ganze Spiel hautnah durchschaut hab, mit einer Wahl nichts mehr am Hut habe. Über deine revolutionären Marxisten diskutieren wir jetzt aber bitte nicht mehr, sage ich zum Karli. Ja, sagt der, hat mit dir eh keinen Sinn, weil du am Schluss dein Kreuzerl eh wieder brav bei der SPÖ hinmalst. Da sei dir jetzt aber nicht so sicher, Genosse, sage ich, weil wenn es die zuvor schon erwähnte Partei auf den Zettel schaffen daderat, wie man in Oberösterreich sagt, dann wäre für mich durchaus eine Alternative gegeben ...

Die Nacht, auch wenn das Morgengrauen im Juni früh hereinbricht, war wie gesagt ziemlich lang, und der Karli hat sich um acht dann nur noch schnell sein Gepäck aus dem Hotel geholt, bevor er mit dem Taxi gleich weiter zum Flughafen gefahren ist. Trinkfest war er immer schon, und offensichtlich ist er in Griechenland diesbezüglich nicht aus dem Training gekommen. Er stand beim Abschied fest, und sein Händedruck war wie ein Schraubstock. Mein Heimweg verlief dagegen etwas schwankend.

Vorgestern habe ich übrigens vom Karli aus Kreta eine Ansichtskarte bekommen: "Genosse Revisionist! Die Nacht mit dir war lustig. Trotzdem möchte ich die nächsten 25 Jahre nicht noch einmal nach Österreich zurück. Brauch ich auch nicht, sofern die Beerdigung meines Vaters nicht wiederholt werden muss. Die jungen Leute vom Wandel hat mir mein Sohn auf Facebook gezeigt. Recht ordentlich, nicht so struppig und unrasiert wie wir. Ich wünsche ihnen viel Ausdauer und Glück beim Eintreiben der Unterstützungserklärungen.

Venceremos: Karl" (Walter Famler; DER STANDARD, 6.7.2013)