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Foto: apa / derstandar.at

Während die Debatte um den türkischen Premier Tayyip Erdogan und die politischen Turbulenzen seines Landes zum Bestandteil der österreichischen Innenpolitik werden, ist es ein paar Kilometer weiter in Budapest um den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban sehr ruhig geworden. Orban selbst bezeichnete vor einigen Tagen die Türkei als "funktionierende Demokratie". Die ermutigenden Worte, die er an seinen Amtskollegen am Bosporus adressierte, stellen keine Überraschung dar, wenn man die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Politikern unter die Lupe nimmt.

Erdogan und Orban polarisieren die Gesellschaft wie kein anderer Politiker auf dem Kontinent. Ein Teil der eigenen Staatsbürger vergöttert sie, der andere protestiert mehr oder weniger lautstark gegen sie. Einige betrachten sie als Erlöser, andere wiederum werfen ihnen "Diktatur" vor. Die eigenen Unterstützer identifizieren sich mit den Regierungschefs in jeder Situation, man könnte fast schon vom Führerkult sprechen. Nach jahrelangem Regieren ist zu erkennen, dass beide Politiker mit einem Ziel an die Macht gekommen sind: Sie wollen ein eigenes Kapitel in den Geschichtsbüchern des jeweiligen Landes schreiben. Die Frage ist nicht mehr, ob ihnen das gelingt, sondern eher, wie das Kapitel gefärbt sein wird. Die autoritären Tendenzen deuten in beiden Fällen auf dunklere Töne.

Populismus

Tatsache ist, dass beide Premierminister den Populismus so weit entwickelt haben, dass nun mehr vom politischen Fanatismus unter den Anhängern gesprochen werden kann. Das Projekt Erdogans trägt ein islamistisches Mascherl, das von Orban ein christlich-katholisches. Die Menschenrechte spielen bei den Regierungschefs eine verschwindende Rolle. Erdogan tritt mit brutaler physischer Kraft gegen die politischen Konkurrenten auf. Orban, nachdem ihm die Zweidrittelmehrheit im Parlament es ohne weiteres ermöglicht, befürwortet die Anwendung der einschüchternden Kraft des Gesetzes – so oft er will.

Meinungsfreiheit

Eine weitere wichtige Gemeinsamkeit ist der Umgang mit der Öffentlichkeit. Kritik wird weder vom türkischen Premier, noch von seinem ungarischen Gegenüber hoch geschätzt. Die Opposition kommt in beiden Staaten selten zu Wort. Während in der Türkei Dutzende Journalisten in Gefängnissen sitzen, verabschiedet die ungarische Regierung das restriktivste Mediengesetz der Europäischen Union, und lässt damit das Land am stärksten von allen EU-Mitgliedern bei der Pressefreiheit-Rangliste von Reporter ohne Grenzen abstürzen. In beiden Ländern ist mittlerweile Selbstzensur Teil des journalistischen Arbeitens, sie trägt wesentlich zur Verschlechterung der Meinungsfreiheit und der Demokratie bei.

Bedrohung von außen

Bestandteil des Diskurses beider Regierungen ist das wiederholte Herbeibeschwören einer Bedrohung von außen. Verschwörungstheorien rechtsradikaler Prägung sind Mechanismen, die zum Zusammenhalt der jeweiligen Regierungsunterstützer dienen sollen. Hetze gegen die EU und die USA steht dabei auch häufig auf dem Programm. So entsteht rund um beide Politiker ein Image des starken Mannes, der das eigene Volk vor  ausländischen Eindringenden beschützen soll.

Wirtschaft

Einen großen Unterschied gibt es freilich auch. Die Wirtschaftsstrategie ist einer davon. Die türkische Seite hat es geschafft in den vergangenen Jahren eine blühende Wirtschaftsbilanz vorzulegen. Die Türkei wurde zu einer regionalen Macht, die vor allem in der arabischen Welt über eine immer stärkere Stimme verfügt. Die ungarische Regierung kämpft hingegen seit Jahren erfolglos um die Wiederbelebung der Wirtschaft. Obwohl Orban mehrere unorthodoxe Schritte gesetzt hat - das magische Rezept scheint er nicht gefunden zu haben. Trotz der Verstaatlichung der privaten Säule des Pensionssystems und der Einführung hoher Steuer für Firmen und Banken steht es schlecht um die ungarische Wirtschaf. Diese Misere und die Vermeidung struktureller Reformen könnten mit der Zeit unangenehme Folgen für die der Regierung haben. Es ist nicht ausgeschloßen, dass Orbans Kritiker in Zukuft lauter werden.

Niemand kann derzeit einschätzen, wie Orban mit Zehntausenden resoluten Demonstranten, wie man sie derzeit im der Türkei beobachten kann, umgehen würde. Aus diesem Grund sollte die internationale Gemeinschaft die ungarische Regierung im Auge behalten. (Balazs Csekö, daStandard.at, 4.7.2013)