Dass auch befreundete Staaten sich gegenseitig ausspionieren, kann man empörend finden. Ändern wird sich dadurch wenig bis nichts. Sollten sich die Geheimdienste wegen der Enthüllungen Edward Snowdens derzeit etwas zurückhalten - was ohnedies höchst fraglich ist -, so werden sie schnell wieder zum "business as usual" zurückkehren. Eben weil es ihr Geschäft ist.

Wie gut die Geheimdienst-Internationale trotz der Arbeitsgrundlage des wechselseitigen Misstrauens im Ernstfall funktioniert, wurde soeben eindrucksvoll vorgespielt. Das Leitmotiv gab der russische Präsident und Ex-Geheimdienstler Wladimir Putin vor: Mit seinem an die Bedingung künftigen Wohlverhaltens geknüpften Asylangebot an Snowden ließ er durchklingen, dass ihm ein solcher Verräter eigentlich zuwider ist.

Dass dann mehrere EU-Staaten den Luftraum für das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales sperrten, weil Snowden an Bord vermutet wurde, ist ohne effiziente Kommunikation zwischen US-Geheimdienstlern und ihren europäischen "Freunden" schwer vorstellbar.

Wer immer dann die Entscheidungen über die Luftraumsperre gefällt hat (die nachträglichen Dementis gehören mit zum Spiel): Im Falle Frankreichs hat er den Präsidenten höchstpersönlich desavouiert - außer dieser billigte selbst die Sperre, was für ihn noch peinlicher wäre. Denn noch am Montag hatte François Hollande nach den Enthüllungen über das Ausspionieren europäischer Auslandsvertretungen durch die USA verlangt, "dass das sofort aufhört". Und einen Tag später sperrt das stolze Frankreich auf Zuruf aus Washington brav seinen Luftraum, damit man des Enthüllers habhaft werden kann? Oder war Hollandes Empörung nur gespielt, weil der innenpolitisch angeschlagene Staatschef jede Chance für mehr Popularität nutzen muss?

Mit der offensichtlich bereitwilligen Luftraumsperre haben die beteiligten Länder zweierlei bewirkt: Die Lateinamerikaner fühlen sich behandelt wie zu Kolonialzeiten. Und die europäische Position in der Abhöraffäre wurde massiv unterhöhlt. Snowden mag mit seinem Geheimnisverrat US-Gesetze gebrochen haben - er und seine Fürsprecher können immerhin argumentieren, dass das Recht auf Schutz der Privatsphäre als fundamentales Menschenrecht gegen die nationale Sicherheit aufzuwiegen ist, mit der die umfassende Überwachung begründet wird.

Das kollektive Sicherheitsbedürfnis in Zeiten von Terrornetzwerken und Cyberwar zu befriedigen und zugleich die persönliche Freiheit und Unantastbarkeit zu gewährleisten ist eine heikle Gratwanderung. Snowdens Enthüllungen zeigen, dass die Geheimdienste und ihre Dirigenten von diesem schmalen Grat weit abgedriftet sind. Das vergiftet nicht nur das Klima zwischen verbündeten Staaten, sondern untergräbt das Vertrauen ihrer Bürger in die Grundlagen einer offenen Gesellschaft. Mit am fatalsten daran ist, dass die westliche Flaggschiff-Demokratie offenbar nicht erkennt, wie sehr sie sich selbst damit schadet. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 4.7.2013)