Mütter stehen auch nach 100 Jahren Emanzipation permanent unter Verdacht - Kathrin Röggla.

Foto: Heribert Corn

A wie Ausrede oder Abwesenheit. Eltern zeichnen sich angeblich hauptsächlich durch Abwesenheit aus, sie sind von irgend­einem Planeten verschluckt. Dauernd haben sie Ausreden, warum sie dieses und jenes nicht hinkriegen, warum sie nirgendwo mehr hinkommen können. Andererseits gelten Mütter arbeitstechnisch als besonders zuverlässig, besonders wenn sie selbstständig sind, berichten TV-Geschäftsführer und Menschen aus der PR-Branche. Sie haben eben eine Bringschuld, die mal offen, mal nicht offen ausgesprochen wird.

Batman allerdings wird von Kindern ab drei Jahren offen ausgesprochen, d.h. auch wenn sie ihn noch nie gelesen oder gesehen haben. Er ist das Märchen, das im Kindergarten von Generation zu Generation weitergegeben wird, genauso wie Cars, Spiderman und Dinosauriermüll. Ein Netzwerk an Verkaufsruinen besiedelt daher unsere Öffentlichkeit sowie elterliche Nerven.

Chloroform, Chlorgas haben hier nichts zu suchen, also schmeißen wir sie raus. Dauererreger eigentlich ebenfalls nicht, kehren aber immer wieder zurück. Ekel stimmt uns nicht froh, umso mehr kindliches Fahrradfahren auf dem Gehweg, aber nur, solange niemand kommt. Da kommt einer! Oje, zu spät.

Auf der Hut muss man nicht nur sein vor dem Verständnis der Toleranzbürger, die ihrer Spießigkeit nur einen anderen Vornamen (in Berlin: Sophie-Charlotte, Wilhelm, Maximilian) gegeben haben und sagen: Multikulti ist wunderbar, aber meine Kinder sollen nichts damit zu tun haben.

Sogar Integrationswunder gibt es: Sie existieren, sogar in unserem Kindergarten, fragt sich nur, wer in welche Richtung integriert. Aber immerhin schließt es alle mit ein, auch wenn es nicht überbetont werden darf. Arbeit und langjährige Strukturen sind diesbezüglich hilfreich, sowie: ausreichend Mittel.

Jux und Knallfrosch - nein, Kunden! Kinder sind die besten Kunden, wissen die Marketing­erbsen und Erstbesten auf dieser Welt, deswegen kommt es zu Dinosauriermüll.

Zwischen Lausbub und Lustkiller liegt nicht viel, aber Maschinengewehre (selbstgebastelt) erzeugen einen kleinen Milieuschaden, und es kommt zur Mütterpolizei. Nehmen Sie sich davor nur ja in Acht, besonders wenn Sie ein weibliches Elternteil sind. Sie patroulliert ständig im deutschsprachigen Raum, erkennt sofort Erziehungslücken, die unbedingt den weiblichen Elternteilen zuzurechnen sind. Mütter stehen unter Verdacht, permanent, da haben über hundert Jahre Emanzipationsgeschehen nichts daran ändern können.

Normierung ist etwas, das im Mutterleib beginnt (siehe Biopolitik) und sich über Mütterpolizei, staatliche Kontrollen, Unsicherheitsfaktoren, Ausfälle vorwärtsbewegt. "Mein Kind ist nicht normal", ist das Grundgefühl der meisten Eltern, die sich durchaus mitunter ganz normal die Nacht um die Ohren schlagen, weil es zu Ohrenschmerzen, oder ohrenbetäubendem Geschrei kommt.

Den Puls der Zeit hat man mit Quertreiben und Quengeln sicher nicht erreicht. Im Gegenteil, zur Raserei bringt mich das Geraunze am Frühstückstisch, die kindlichen Störnummern beim Anziehen, wenn die Uhr tickt. Und sie tickt meistens.

Schaum vor dem Mund haben allerdings Eltern in Berlin, weil es zu wenige, zu schlecht gebaute Schulräume gibt, öffentliches Bildungsinvestment massiv reduziert wird und Segregation auf dem Vormarsch ist. Auch das Schulessen hat sich um 70 Prozent verteuert.

Trotzanfälle scheinen allerdings weiten Teilen der Bevölkerung unbekannt, besonders in Salzburg, wo sich gerne ältere Damen über die knapp Dreijährige beugen und sagen: Was hat denn die Kleine? Die Ansprache gilt allerdings ausschließlich den Eltern, d.h. der Mutter, die ihr Kind wohl nicht im Griff hat (siehe Mütterpolizei).

Untersuchungen finden ständig statt. Unsinn ja, aber ein Verschwinden des Sinns kann man nicht behaupten. Die Erzählungen werden ab der Zweijährigkeit ­immer lustiger und abstruser. "Ich habe so lange Augen, ich sehe durch dich durch", unvorstellbar, dass es mal in die andere Richtung gehen kann.

Wachstumsschmerzen tauchen allerdings parallel dazu auf, verändern sich im Lauf der Zeit und bleiben bis zum Lebensende, werden allerdings später selten als solche erkannt.

X-beliebige Kindergeburtstage helfen dagegen. Meist stellt sich hiesigen Eltern die ­Frage, was mit der Zeitschrift ­Ypsilon passiert ist, knapp bevor sie über die SPD-Politikerin ­Ypsilanti und ihren Verbleib nachdenken, während Zwischenrufe mich persönlich jetzt bei der Arbeit unterbrechen und das ­Alphabet für heute beenden. (Kathrin Röggla, "Family", DER STANDARD, 4.7.2013)