Die Herrschaften vom Festland weilten damals, 1972, inkognito auf der Insel der Schönheit. Sie blieben mehrere Wochen, lebten mit, notierten und skizzierten. "Es waren nicht nur René Goscinny und Albert Uderzo, es war eine ganze Gruppe", sagt Jeanette Slawik-Costa, eine hierorts verheiratete Deutsche, die als staatlich geprüfte Fremdenführerin völlig unaufgeregt, aber vollkommen informativ wirkt.
Das Ergebnis der Expedition auf das so nahe, aber dem gemeinen Franzosen doch lange ziemlich fremde Eiland, auf die viertgrößte Mittelmeerinsel nach Sizilien, Sardinien und Zypern, erschien zunächst in mehreren Folgen der Jugendzeitschrift Pilote. Kurze Zeit später dann als Band XX der Reihe Asterix. Asterix auf Korsika ist ein längst zitierfähiger Klassiker. Der 1977 verstorbene Pariser Autor Goscinny und der Zeichner Uderzo aus Reims haben nach Jeanettes Dafürhalten Einfühlungsvermögen gezeigt. "Sie haben sich schon über Eigenarten lustig gemacht, aber sogar Korsen können darüber lachen."
Wahrlich atemberaubend
Etwa darüber, wie der Dorfhäuptling Osolemirnix seinen erschütterten gallischen Gästen angesichts eines wahrlich atemberaubenden Käses, dem sogar Sprengkraft innewohnt, seine Heimat beschreibt: "Dieser hauchzarte Duft nach Thymian und Mandeln, Feigen und Kastanien ... und dieser Hauch von Kiefer, diese leichte Andeutung von Beifuß, diese Ahnung von Rosmarin und Lavendel ... ach, meine Freunde, dieser Duft! ... das ist Korsika!"
Die Korsen, das hat Goscinny in einer für die Asterix-Bände ungewöhnlichen Einleitung festgehalten, haben viele äußerst positive Eigenschaften. Die Gastfreundschaft gehört jedenfalls dazu. Aber sie sind auch ziemlich schnell beleidigt. Frankreich, das die Insel samt traditionell aufmüpfiger Bevölkerung 1769 von Genua erwarb, ohne so recht zu wissen, was mit all dem anzufangen sei, gab oft und oft Anlass dazu. Der jüngste, den die meisten Korsen so gar nicht zum Lachen finden, ist die am Samstag in Porto-Vecchio anhebende 100. Tour de France. Das weltweit größte Radrennen sucht Korsika erstmals heim und wird das sommerliche Verkehrschaos verstärken.
Drei Tage tobt die Tour auf der Insel, die sommers touristisch ohnehin recht dicht ist. Zu den 300.000 Einwohnern gesellen sich zwischen Ende Mai und Anfang Oktober 2,8 der jährlich insgesamt drei Millionen hier Suchenden - Erholung-, Action- und Natursuchenden. Natürlich ist das alles auch im Juli und im August, der Hauptsaison der Franzosen, Deutschen, Engländer, Italiener, Schweizer und, ja, auch Österreicher, auf Korsika zu finden. Umso sicherer fündig wird allerdings, wer im späten Frühjahr oder im frühen Herbst kommt. Ganz abgesehen vom Preisniveau, das saisonal zwischen deutlich gehoben französisch und gemäßigt französisch schwankt.
In der Nebensaison ist es an der mehr als 1000 Kilometer langen Küste, also am Meer, das auf der Westseite überwiegend spektakulär an Felsen brandet, im Osten aber sanft auf Stränden auszulaufen pflegt, warm genug. Dafür ist es in den Bergen, wovon Korsika reichlich hat - mehr als 70 Gipfel über 2000 Meter Höhe und einen, den Monte Cinto, mit 2706 Metern - noch nicht zu kalt. Und in den pittoresken Bergdörfern, etwa der Region Balange, zertrampeln sich je nachdem noch nicht oder nicht mehr die Besucher.
Einfach charmant
Diesbezüglich eine klare Empfehlung für eher Kurzentschlossene wäre Pigna, unweit von Calvi, der Hafenstadt an der Nordwestküste. Dort, in einem revitalisierten Adlerhorst von Dorf hoch über dem Meer, empfängt nur noch bis Ende September Madame Olympe Ricco im U Palazzu Pigna, einem Restaurant nebst kleinem Hotel.
Olympe, Mitte 30 und zweifache Mutter, serviert in ihrem mit Musealem verschönerten Gewölbe und auf einer schlicht berückenden Terrasse Korsisches derart fröhlich und charmant, dass man auch den schlimmsten Fraß nicht bloß klaglos, sondern dankbar hinunterwürgen würde.
Jedoch, es ist alles köstlich und natürlich lokal korsisch, was da auf den Tisch kommt. Nur Zweiteres wird sich notgedrungen ändern, wenn Olympe mit Mann, Kindern und spanischem Koch aufbricht, um ihr "Napoleon & Joséphine", das erste korsische Restaurant in Los Angeles, zu eröffnen. Nach drei Jahren ist ihr Pachtvertrag für das U Palazzu ausgelaufen, ein neuer Pächter war eben bereit, ein Vielfaches zu bezahlen.
Kochen mag der Neue auch können, dass er aber wie Olympe mit Laetitia Casta zur Schule gegangen ist und also über die Modelschönheit und Aktrice (unvergessen als Falbala an der Seite Gérard Depardieus und Christian Claviers in Asterix und Obelix gegen Caesar) authentisch klatschen kann, scheint unwahrscheinlich. Die französische Marianne der Jahrtausendwende ist wegen ihres korsischen Vaters in der Gegend von Calvi aufgewachsen.
Etwas hoch
"Und sie trägt heute die Nase etwas hoch", sagt Olympe über Frau Casta, die Patin des 2. Fallschirmjägerregiments der Fremdenlegion. Das hat sein Hauptquartier zwar in Camp Raffalli bei Calvi, dessen Kriegsknechte mit den weißen Käppi prägen das Bild der Stadt aber längst nicht mehr.
Dass Casta unterhalb von Pigna ein mächtiges Haus hat, weiß Stéphane Orsoni vom lokalen Tourismusverband. Dass sie in der Normandie geboren wurde, hält er sturerweise für gar nicht erwiesen. Dann wäre sie nämlich mehr eine Französin und für Stéphane plötzlich nicht mehr ganz so makellos. Was er von Napoleon hält, lässt sich denken, obwohl der doch gewiss ein Korse war. Niemand wüsste das besser als Stéphane, der lange als Führer in der schönen Maison Bonaparte auf der Place Letizia im Herzen von Ajaccio wirkte. Schon dieses Geburtshaus Napoleons wäre die Reise nach Korsika wert. Und erst die Geschichten. Etwa, dass Napoleons Vater der Sekretär Pascal Paolis war, des korsischen Freiheitskämpfers, des Vaters des Vaterlandes, des Schöpfers einer eigenen Verfassung und Gründers der Universität in der alten Hauptstadt Corte, oben in den Bergen, am Zusammenfluss von Restonica und Tavignano.
"Wären Pascal Paoli und Napoleon Freunde gewesen, Korsika wäre heute nicht französisch, sondern Frankreich wäre heute korsisch", behauptet Stéphane. Zumindest Ersteres zu ändern, bemühten sich noch Ende des verwichenen Jahrtausends korsische Separatisten mit nicht wenig Gewalt. Diese Zeit ist vorbei, versichert Fremdenführerin Jeanette. Gegenwärtig sind nicht einmal mehr die früher allgegenwärtigen Parolen der FLNC, der "Nationalen Befreiungsfront für Korsika", an Häuserwänden und Brückenpfeilern zu sehen. Korsika sei sogar ausnehmend sicher, sagt Jeanette. "Die Korsen lassen gewohnheitsmäßig ihre Türen offen. Nur in der Hochsaison ziehen die Touristen auch touristische Kriminelle an - das ist wie anderswo auch."
Drauf und dran
Gewaltverbrechen sind nur deshalb keine absolute Seltenheit auf der Insel, weil das organisierte Verbrechen - gerüchteweise unter freundlicher Beobachtung der Behörden - drauf und dran zu sein scheint, sich selbst auszurotten. Weshalb die Brise de Mer, wie die Korsen diese ehrenwerte Gesellschaft in Anlehnung an deren alten Treffpunkt nennen (ein gleichnamiges Café in Bastia), bald kaum noch der Rede wert sein sollte. Wer das so gesagt hat, ob Jeanette, Olympe, Stéphane oder gar jemand völlig anderer, wird nicht verraten. Weil wie geschrieben: Diese Korsen sind ziemlich schnell beleidigt. (Sigi Lützow, DER STANDARD, Album, 29.6.2013)