Wien/München/Espoo- Siemens-Chef Peter Löscher ist eine weitere Problemsparte los. Nach langer Käufersuche veräußert Siemens seinen 50-Prozent-Anteil am Telekom-Ausrüster Nokia Siemens Networks überraschend an den Partner Nokia. Investoren reagierten erleichtert auf den am Montag verkündeten Deal: "Das Undenkbare ist endlich geschehen", schrieben die Analysten von Morgan Stanley in einem Kommentar.

Obwohl die Münchner mit einem Preis von 1,7 Milliarden Euro weniger kassieren als von manchen erwartet, war die Siemens-Aktie mit einem Plus von 2,6 Prozent größter Gewinner im Leitindex Dax. Die Titel des krisengeschüttelten Handyherstellers Nokia sprangen in Helsinki sogar um 6,8 Prozent in die Höhe.

Für Siemens Österreich ergibt sich laut Konzernsprecher Harald Stockbauer keine Änderung. NSN sei schon bisher ein eigenständiges Unternehmen gewesen.

"Mit dem Verkauf unseres NSN-Anteils treiben wir die Fokussierung auf unser Kerngeschäft weiter konsequent voran", erklärte Konzern-Finanzchef Joe Kaeser in München. Der Konzern, der sich auf das Geschäft mit Energietechnik, Industrie und Infrastruktur sowie Gesundheitstechnik konzentrieren will, hat vor kurzem die Mehrheit an der Leuchtmittel-Tochter Osram an seine Aktionäre verschenkt. Mehrfach hat Siemens auch schon versucht, sich vom 2007 gegründeten Gemeinschaftsunternehmen NSN zu trennen, das im vergangenen Jahr gut 13 Milliarden Euro Umsatz machte - doch Finanzinvestoren winkten wiederholt ab.

Problemfall

In den Augen von Experten bleibt NSN trotz seiner dritten Sanierungsrunde und des Abbaus tausender Stellen ein Problemfall. Die Einschnitte hatten NSN zwar für drei Quartale in Folge in die Gewinnzone gebracht, zuletzt zeigte das Unternehmen nach einem Umsatzknick allerdings wieder Schwäche und kam gerade auf eine schwarze Null. Die europäischen Netzwerkbauer NSN, Ericsson und Alcatel Lucent stehen in scharfen Wettbewerb mit chinesischen Anbietern wie Huawei und ZTE.

Einige Börsianer hatten den Unternehmenswert von NSN höher angesetzt als die nun von Siemens und Nokia festgelegten 3,4 Milliarden Euro. Morgan Stanley hatte das Unternehmen sogar auf bis zu 6,5 Milliarden Euro taxiert. "Trotzdem ist weitaus bedeutender, dass Siemens den Fall nun erledigt hat", stellten die Analysten der US-Bank fest. Die DZ-Bank-Analysten bewerteten die Summe von 1,7 Milliarden Euro für die Hälfte des Unternehmens als fairen Preis, sie hatten lediglich 1,5 bis 1,6 Milliarden Euro veranschlagt.

Bei Siemens habe der Anteil mit 1,5 Milliarden Euro in den Büchern gestanden, hatte es zuletzt in der Branche geheißen. Ein Konzernsprecher wollte sich am Montag nicht dazu äußern. Auf die Frage nach dem Gewinnziel von Siemens verwies er lediglich auf die Anfang Mai gesenkte Prognose von 4,5 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2012/13, das im September abläuft.

Ratenzahlung

Siemens bekommt das Geld von Nokia nicht auf einen Schlag, sondern erlaubt dem verlustträchtigen Handyhersteller Ratenzahlung: Zum Abschluss der Transaktion voraussichtlich im dritten Quartal zahlt Nokia nur 1,2 Milliarden Euro in bar. Über die restlichen rund 500 Millionen Euro gewährt Siemens den Finnen ein besichertes einjähriges Darlehen.

Der einstige Handy-Pionier Nokia hat auf diesem Gebiet den Anschluss an die Rivalen Apple und Samsung verloren. Die Einnahmen brachen im Auftaktquartal weiter ein. Die Lage ist so dramatisch, das Branchenexperten die Komplettübername des kriselnden NSN-Netzwerkgeschäfts als Erleichterung ansehen: "Mit dieser Transaktion kauft sich Nokia eine Zukunft, unabhängig davon, was im Smartphone-Geschäft passiert", kommentierte Pierre Ferragu vom Analysehaus Bernstein.

Aufrüstung

Nokia setzt große Hoffungen darauf, dass Mobilfunkanbieter weltweit ihre Netze auf den neuen Standard LTE aufrüsten lassen - hier sei NSN gut positioniert. "Nokia ist mit diesen Entwicklungen sehr zufrieden und wird NSN unterstützen, zusätzlichen Wert innerhalb der Nokia-Gruppe zu schaffen", erklärte Nokia-Chef Stephen Elop. Was die Zukunft der Tochter angehe, halte sich Nokia jedoch alle Optionen offen, sagte Elop in einer Telefonkonferenz. Die in Finnland ansässige NSN-Führung mit Rajeev Suri an der Spitze bleibe an Bord. NSN will außerdem eine starke regionale Präsenz in Deutschland, einschließlich München, behalten", versprach Nokia. An dem laufenden Konzernumbau ändere sich nichts.

Die Entscheidung stieß auf das Wohlwollen der deutschen Arbeitnehmer. "Das NSN an Nokia geht, ist aus Sicht der IG Metall die beste Lösung", sagte ein Gewerkschaftssprecher in München. Die IG Metall sei erleichtert darüber, dass das Unternehmen nicht an Finanzinvestoren oder einen aggressiven Rivalen aus Asien gehe.