Der Titel der jüngsten Produktion am Opernhaus Zürich führt etwas in die Irre. Eine Fremde ist diese Artistin auf dem vokalen Hochseil wahrlich nicht. Edita Gruberova war zwar zehn Jahre nicht hier, doch sie ist am Zürichsee eine gute Bekannte. Eine Königin, die sich im Spätherbst ihrer Karriere nicht nur auf einen zuverlässigen und jubelfreudigen Fanclub verlassen kann, sondern immer noch erstaunlich präsent ist.

Sie ist die Letzte ihrer Art: eine Primadonna, die in ihrem Fach Maßstäbe setzte und es bis heute beherrscht. Die Gruberova steht für das Herbeizaubern von Tönen aus dem Nichts, und dafür, dass bei ihr die von den Intendanten doch eher gemiedenen Belcanto-Heldinnen zum Ereignis wurden. Davon zehrt sie immer noch. Auch wenn man mittlerweile mehr das Durchstehvermögen, die Beherrschung der Technik, den Willen zum Ton bewundert als dessen feines Entschwinden; oder eben die betörenden Balanceakte zwischen Schweigen und immer leicht zum gestalteten Wahnsinn tendierender Koloratur oder gar mustergültiger Intonation.

Womöglich ist Vincenzo Bellinis La straniera ihre letzte neue große Rolle - und vielleicht auch ein Beleg dafür, dass sich Wille und Erfahrung gegen die Zeit auflehnen können. Die Gruberova macht ja nicht mal ein Geheimnis aus ihrem Geburtsjahr 1946. Warum auch? Staunen kann man immer noch über sie. Selbst in einem so abstrusen Stück! Dabei war es nicht mal ihre Idee, sich diese Rolle zu erarbeiten. Regisseur Christof Loy hat sie dazu überredet.

Was diesen sensiblen Könner seines Faches ausgerechnet an Bellinis zu Recht kaum gespieltem Schmachtfetzen so fasziniert und gereizt hat - außer dem späten Debüt der Belcanto-Legende -, bleibt sein Geheimnis. Dem Libretto-Unsinn aus dem verkramtesten Winkel der italienischen Opernmottenkiste hat er jedenfalls auch keinen tieferen oder nachvollziehbaren Sinn abgewinnen oder hinzufügen können. Da flieht Arturo vorm Traualtar, weil er von einer Fremden angezogen wird, bringt fast seinen besten Freund um, weil er ihn für einen Rivalen hält, der aber ihr Bruder ist. Die dafür fälligen Todesurteile werden gerade noch abgewendet, als der vermeintlich Ermordete quicklebendig wieder auftaucht. Als sich die Fremde schließlich als rechtmäßige Königin Frankreichs im Exil entpuppt, ersticht sich ihr Lover. Abstruser geht es kaum.

Und es bleibt auch bei Loy eine Ansammlung von Verhaltens- und vor allem Kommunikationsgestörten. Loy nimmt das so ernst, dass es gelegentlich für unfreiwillige Heiterkeit sorgt. Da nützt es kaum, dass die Bühne von Annette Kurz ein Theater auf dem Theater behauptet: mit Seilen aus dem Schnürboden, ein paar Waldprospekten und viel Herrenkostümschwarz zum Brautkleidweiß.

Es demonstriert doch nur, warum dieses Frühwerk Bellinis (im Gegensatz zu seiner Norma und der Sonnambula, versteht sich) für die Bühne rettungslos verloren ist und der konzertanten Vokalartistik vorbehalten bleiben sollte. In Andreas Homokis klug gebauter erster Spielzeit in Zürich ist freilich auch Platz für eine Oper zur Sängerin. (Joachim Lange, DER STANDARD, 29./30.6.2013)