Erinnerungen an die eigene Historie als Teil der Beatles: Sänger und Komponist Paul McCartney in Wien. 

Foto: Robert Newald

Wien - Seine erste Band brach auseinander, als zumindest ein Viertel der Besucher im Ernst-Happel-Stadion noch nicht einmal angedacht war. Der große Rest der 27.000 Leute beim Paul-McCartney-Konzert erfuhr über die Beatles möglicherweise schon etwas früher im Rahmen der dazugehörigen sexuellen Befreiung unter der Bettdecke im Kinderzimmer mit den Bravo-Heften in den Sixties oder hörte als Pimpf die Oma jubilieren, als sie 1970 in den Nachrichten verkündeten, dass sich die "langhoaradn Gfrasta" endlich aufgelöst hätten. Was die Oma nicht ahnen konnte, war, dass sie auf verlorenem Posten stand. Nach den Beatles sollten noch viele langhaarige Gfraster kommen, gegen die McCartney und seine Kollegen schließlich doch eher verbindlich wirkten.

Hey, die Beatles waren junge, romantisch und etwas schwermütig trotz Rauchwareneinsatzes veranlagte Lagerfeuermusikanten, die leider einen Schlagzeuger hatten, der mit Frustrationen und rhythmischen Vorgaben ganz schlecht umgehen konnte.

Von allen fünf Beatles (wir machen die Rechnung mit Billy Preston) gilt Paul McCartney bekanntlich als zweiter Beatle. Er hört das nicht gern, ist aber selbst schuld daran: Hätte er zeitlebens nicht immer nur dumme Faxen gemacht, sobald eine Kamera auf ihn gerichtet war, dann hätte man ihn ernster genommen. Dabei war John Lennon viel lustiger. Paul McCartney steht jedenfalls nach zehnjähriger Konzertpause in Wien erstmals mit einem Programm auf der Bühne, das fast ausschließlich dieser einen großen Urmutter aller Popbands gewidmet ist. Gut 20 Klassiker des Pfadfinderlagergenres gibt er heute zum Besten. 39 Stücke werden es insgesamt werden.

Hey Jude, Let It Be, Ob-La-Di, Ob-La-Da, Lady Madonna, Yesterday, Blackbird. Der musikalische Urknall, die Mütter aller Songs, die DNA des Pop! Trotz aufkommender Kreuz- und Nackenschmerzen vom dreistündigen Stehen auf dem mit Gummimatten ausgelegten Fußballrasen sind wir älteren Leute heute sehr tapfer. Der Mann, der oben auf der Bühne mit einer weitaus jüngeren vierköpfigen Begleitband auf unfassbar dünnen Beinchen herumstakst, ist noch viel älter. Da geht sich als Polster zwischen ihm und uns locker noch eine Lady Gaga aus. Lady Gaga hat allerdings im Gegensatz zu uns nicht die Auflösung der Beatles, die großen Kämpfe Muhammad Alis oder Karl Schranz' Heimkehr auf den Wiener Heldenplatz, also die wichtigsten Ereignisse des ausgehenden 20. Jahrhunderts, live im Fernsehen in Schwarz-Weiß erlebt.

Fast kitschig jung

Schnee von gestern, heute heißt es durchhalten. Der Mann auf der Bühne mag zwar einen besseren Haarstylisten und Doktor für Falten haben, die aber geheilt werden können. Für einen 71-Jährigen sieht Paul McCartney allerdings trotzdem fast kitschig jung aus. Wenn man sich nicht mit harter Feldarbeit kaputtgeschuftet hat, ist 70 das neue 50!

Für den 51-jährigen McCartney muss allerdings trotz aller Virilität eine mit dieser ganz im Zeichen der Beatles stehenden Tournee gewonnene Erkenntnis hart sein: Die Lieder, die man als junger Mann geschrieben hat, haben Jahrzehnte später mehr Bestand als die Arbeit ab 1970. Aber der McCartney soll ruhig auch einmal leiden. Was haben wir alle gelitten, als er damals 1977 Mull of Kintyre veröffentlichte. Mein Gott, wir waren doch noch Kinder!

Schon beim Eröffnungssong Eight Days A Week wird klar, dass die Gitarren bei den Beatles speziell in der Frühphase zwar immer etwas lasch abgemischt waren und das Schlagzeug mit all dem Gezischel auf den Becken über mangelndes Taktgefühl hinwegtäuschen sollte (dieser Schultyp existiert in der britischen Popszene bis heute). Dahinter pumpt dann aber dank McCartneys unangestrengt vorgehender Begleitband burschikoser Rock. Erstaunlich, dass zumindest zu Beginn kein Massenkaraoke droht. Vielleicht ist es nicht gut, wenn ein Beatle im Stadion steht und gleich einmal mit Liedern der Wings verstört, die man sich nicht so gut merken will. McCartney beweist aber gerade hier, wo man ihn akustisch noch bestens verstehen kann, dass er noch bei Stimme ist und sich beim Singen zwischen Instrumentenwechseln an Bass, Gitarre, Ukulele, Klavier und Orgel erstaunlich leicht tut. The Long And Winding Road oder We Can Work it Out brechen das Eis.

Ab All Together Now übernehmen wir Älteren im Publikum die Gesangsparts und erschrecken damit Kinder, die sich 50 bis 70 Euro Eintritt leisten wollten, damit sie endlich einmal in ihrem Leben gute Musik sehen dürfen. Beim mächtigen alten Wings-Song Live and Let Die geht die Welt bei Stichflammen und Feuerwerk unter, bei Hey Jude wird sie neu gegründet. Am Ende kommt ein bestes Lied aller Zeiten, das nicht von John Lennon stammt: Helter Skelter. Die Beatles konnten nämlich auch anders. Meine Herren. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 29./30.6.2013)