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Ein Bild aus dem Dezember des Vorjahres: Polizisten vor dem Verfassungsgericht in Kairo.

Foto: REUTERS/Khaled Abdullah/Files

Kairo - Die Warnung des Generals war eindeutig. Ägypten steuere auf einen "dunklen Tunnel" zu, sagte Militärchef Abdel Fattah al-Sissi im Vorfeld der angekündigten Massenproteste zum ersten Jahrestag der Amtsübernahme des demokratisch gewählten, aber umstrittenen Präsidenten Mohammed Mursi. Es war ein Weckruf an die gegnerischen Lager, den politischen Stillstand zu überwinden und doch noch einen Kompromiss im Verfassungsstreit zu finden. Doch eine Annäherung blieb aus. Und deshalb kommt dem Militär nun wieder eine Schlüsselrolle zu, wenn am Sonntag Millionen Ägypter gegen Mursi und seine islamistischen Anhänger auf die Straße ziehen. Sollte die Lage eskalieren, werden wohl erneut die Generäle darüber entscheiden, ob Ägyptens junge Demokratie am Ende des Tunnels noch Licht erblicken wird.

Militär will keine Gewalt dulden

"Das Militär hat seinen Standpunkt deutlich gemacht: Es wird keine Gewalt dulden und nicht einfach zuschauen, sollten die Dinge außer Kontrolle geraten", sagte ein ranghohes Mitglied der Armee der Nachrichtenagentur Reuters. Ob die Massenproteste friedlich verliefen, sei schwer vorherzusagen. Weder das Regierungslager um Mursi und die Muslimbrüder noch die breitgefächerte Opposition, die sowohl Unterstützer des gestürzten Machthabers Husni Mubarak als auch liberale Kräfte umfasst, hätten volle Kontrolle über ihre Anhänger. Allein deshalb könnte sich die Armee am Wochenende gezwungen sehen, einzuschreiten und für Ordnung zu sorgen - ob sie will oder nicht.

Der Armeechef hat keinen Hehl daraus gemacht, dass das Militär nicht schon wieder die Macht übernehmen will. Bei den Protesten vor zwei Jahren im Zuge des Arabischen Frühlings waren es noch die Generäle gewesen, die Mubarak fallenließen und die Demonstranten unterstützten.

Sturz Mursis gilt als unwahrscheinlich

Ein erneuter Sturz des Präsidenten gilt aber als unwahrscheinlich, weil sich Mursi und seine Anhänger kaum mit einem solchen Putsch abfinden würden. "Sollte den Islamisten die Macht verwehrt bleiben, würden die Muslimbrüder wahrscheinlich mit Unterstützung der Kämpfer von Al-Gamaa Al-Islamija zu den Waffen greifen", erklärt der Ägypten-Kenner Nathan Brown von der George Washington University. "Das könnte dann sehr, sehr böse werden." Wahrscheinlich sei vielmehr ein Szenario, bei dem das Militär zwar eingreift, Mursi aber nicht aus dem Amt drängt. Stattdessen könnten die Generäle Regierung und Opposition zu Zugeständnissen im Streit um die neue Verfassung und eine Regierungsbeteiligung zwingen.

"Die Armee wird sich immer auf die Seite des Volkes stellen", sagte jüngst der einflussreiche Kommentator Mohammed Hassenein Heikal, der enge Verbindungen zum Militär hat. Dabei sei es letztendlich gleich, ob der Wille des Volkes an den Wahlurnen zum Ausdruck komme oder eben anders. Damit dürfte Ägyptens Zukunft auch davon abhängen, inwieweit die Generäle die Massenproteste in den kommenden Tagen als legitimen Ausdruck des Volkswillens bewerten oder nicht.

Geheimdienster: Es wird zu Kampf kommen

Wie gefährlich die Situation in Ägypten geworden ist, zeigen Einlassungen eines Geheimdienstmitarbeiters, der namentlich nicht genannt werden will. Es werde zu einem Kampf gegen die Islamisten kommen, sagte der Geheimdienstler zu Reuters. Auch Polizei und Armee würden bald erkennen, welche Gewalt von den Islamisten ausgehe. "Wir müssen das Land von ihnen säubern", fügte er hinzu. Zwar ist es schwer zu überprüfen, inwieweit diese Äußerungen die Position der Geheimdienste insgesamt widerspiegeln. Doch scheinen die Einlassungen zumindest Anschuldigungen aus dem Mursi-Lager zu stützen, wonach Anhänger des alten Regimes bewusst Gewalt schürten, um die Regierung zu destabilisieren.

Die Chancen für einen politischen Kompromiss ohne Blutvergießen scheinen auf jeden Fall zu schwinden. "Die Situation wird immer komplizierter", sagte ein ranghoher westlicher Diplomat in Kairo. "Und je mehr die Armee sich einschaltet, umso mehr werden die politischen Institutionen geschwächt." (Reuters, 28.6.2013)