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Die Tour lässt auch die Frankophilie hochleben.

Foto: Reuters/GAILLARD

Majestätisch steigt der Felsen mit der Kirchturmspitze aus der Meeresbucht am Ärmelkanal. Der Mont Saint-Michel steht für die harmonische Schönheit eines ganzen Landes. Der Klosterbau an der Grenze von Bretagne und Normandie gehört mit mehr als drei Millionen Besuchern im Jahr zu den beliebtesten Tourismusstätten Frankreichs. Diesen Sommer kann zudem gut eine Milliarde TV-Zuschauer den Mont Saint-Michel aus allen Blickwinkeln entdecken - dank der Tour de France, die dort am 10. Juli ein Zeitfahren veranstaltet.

Normalerweise raufen sich die französischen Regionen darum, Standort einer Tour-Etappe zu werden. Im Jubiläumsjahr 2013 hatten 128 Gemeinden kandidiert. Doch nur ein Viertel erhielt den Zuschlag - und alle Start- und Zielorte mussten tief in die Tasche greifen. Bis zu 100.000 Euro verlangt die Tour-Organisatorin Amaury Sport Organisation (Aso) für die " Verleihung" einer Etappe.

"Bei uns war es umgekehrt, wir hatten gar keine Kandidatur eingereicht, wir wurden von der Tour-Leitung gefragt", sagt Jean-Pierre Piquerel, Stadtrat der Gemeinde Mont Saint-Michel, die gerade einmal 50 Einwohner zählt. Der weltberühmte Ort musste nur 30.000 Euro als Etappenort zahlen.

"Aso wollte für die 100. Tour besonders typische Frankreich-Bilder vermitteln", meint Piquerel. "Deshalb wurde uns ein Zeitfahren angeboten." Aus dem gleichen Grund startet das Rundrennen erstmals in der Geschichte auf Korsika, von den Tourismusbehörden "Insel der Schönheit" genannt.

Von ihr aus bis zum nördlichsten Austragungsort, dem Mont Saint-Michel, durchquert die Tour so viele Landschaftsschönheiten wie möglich. "Von den Kalkfelsen bei Cassis geht es über Versailles mit seinen Springbrunnen bis auf die Avenue des Champs-Élysées", erzählt Tour- Direktor Christian Prudhomme stolz.

Diese Postkartenbilder werden von den Fernsehkameras des Staatssenders France-2 live in 60 Länder ausgestrahlt. Mit Radsport haben sie an sich nichts zu tun. Eher mit einer gewaltigen Marketingoperation namens "Heile Welt". In einem Land voller Selbstzweifel vermittle die Tour, wie der französische Sportjournalist Stéphane Mandard sagt, "das beruhigende, verherrlichende Bild eines ewigen Frankreich".

Es ist das Beruhigungsmittel gegen die Doping-Aufregung, die Antithese zu den hässlichen Schlagzeilen. Alles ist genaustens dosiert und durchdacht. Die Tour lebt in erster Linie von den Partnerfirmen. 13 Zulieferer, neun Partner und vier Mitglieder des exklusiven "Club du Tour" zahlen jeweils bis zu fünf Millionen Euro ein. Dafür erhalten sie genau berechnete Werbeflächen entlang der Strecke sowie in Start- und Zielräumen, dazu indirekt im Fernsehen sowie in den zwei hauseigenen Aso-Medien, der Sportzeitung "L'Equipe" und dem Boulevardblatt "Le Parisien".

Heiles Frankreich

Nach dem Dopingjahr 2007 drohten sich diese Unternehmen aus dem größten Radrennen der Welt zurückzuziehen. Zumindest wollten sie ihre Einsätze reduzieren. Doch die meisten Sponsoren sind letztlich im Tross verblieben. Warum? Eben wegen der positiven Bilder vom "heilen" Frankreich und der legendären Landesumrundung. Darauf legt Aso heute so viel Wert wie noch nie. Die Symbiose aus Profirennen, Marketingevent und Fremdenverkehr bekommt allen Beteiligten, am meisten allerdings der Organisatorin Aso. Aus dem jährlichen Tour-Umsatz von 150 Millionen zieht sie laut Insidern - offizielle Zahlen werden nicht publiziert - einen Reingewinn von 15 Millionen Euro. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 28.6.2013)