Am 24. Juni ist auf derStandard.at ein Gastkommentar erschienen, der sich unter dem Titel "Mit Geisterforschung zum Doktortitel: Esoterik an der Wiener Universität" mit dem Institut für Kultur- und Sozialanthropologie und einigen der wissenschaftlichen Arbeiten dort auseinandersetzt.

Der Artikel von Krista Federspiel ist unseriös, unsauber argumentiert, polemisch, außerdem bescheiden recherchiert sowie auf persönlicher Ebene untergriffig.

1. Vom Fach hat Frau Federspiel offensichtlich keine Ahnung. Zum Beispiel gibt es keinen Fakultätsrektor, die Kultur- und Sozialanthropologie (KSA) ist Teil der Sozialwissenschaften und nicht der Kulturwissenschaften. Weder sind Schamanismus, Esoterik et cetera Lehrfach, noch werden sie unterrichtet.

2. Es wurden bei dem kürzlich verstorbenen Professor Manfred Kremser wissenschaftliche Arbeiten zu diesen Themen verfasst, mit dem Ziel einer kritischen, reflexiven und - natürlich - wissenchaftlichen Auseinandersetzung. Wie gelungen einzelne Arbeiten waren, ob sie gut oder schlecht sind und ob sie hätten approbiert werden sollen, ist eine andere Frage.

3. Über Esoterik wissenschaftlich zu forschen bedeutet nicht, Esoterik zu lehren. Auch Veronika Futterknecht unterrichtet vor allem religionsethnologische Themen. Und nein, sie bietet zumindest an der Universität keine Esoterikkurse an, vielmehr forscht sie innerhalb der ARG - Awareness Research Group, einer Forschungsgruppe für anthropologische Bewusstseinsforschung. Sie ist beziehungsweise war vor allem Assistentin am Institut für Religionswissenschaft der Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien.

4. Die Erforschung von religiös-schamanistischen Praktiken ist ein sehr kleiner Nebenbereich der KSA. Es gibt viele Bereiche, die in dem erwähnten Gastkommentar einfach unter den Tisch gekehrt werden, wie Forschungen zu Medien, Migration, Globalisierung, Gender, Arbeiten bei NGOs, Entwicklungszusammenarbeit, Konflikten, Kunst, Körpermodifikationen et cetera. In einigen davon war Manfred Kremser ebenso aktiv, und zahlreiche Arbeiten wurden darin unter seiner Betreuung abgelegt.

5. In der KSA werden verschiedene empirische und qualitative Forschungsmethoden benutzt. Diese bilden die Grundlage jeder wissenschaftlichen Auseinandersetzung und sind überprüf- und nachvollziehbar.

6. Ich habe die im Kommentar angesprochenen Arbeiten nicht gelesen und kann die Qualität beziehungsweise deren Fehlen weder bestätigen noch absprechen. Aber: Im Normalfall können einzelne Sätze oder Satzteile nicht unbedingt sinnvoll stellvertretend für eine wissenschaftliche Arbeit stehen. Ähnlich, wie ein Satz in einem journalistischen Interview auch nicht stellvertretend für ein ganzes Interview stehen sollte. Ein Satz, ein Zitat ersetzt nicht den ganzen Kontext. So zu argumentieren ist ebenfalls unwissenschaftlich. Weiter gedacht steht auch ein Randthema nicht für das ganze Fach.

7. Sollten die genannten Diplomarbeiten und Dissertationen tatsächlich mit einer schlechten oder ungenügenden Note zu bewerten sein, so bleiben sie genau das: schlechte Arbeiten von Studierenden. Vielleicht sogar peinliche. Dann muss daran gearbeitet werden, dass solche Arbeiten in dieser Form nicht mehr zustande kommen beziehungsweise angenommen werden. Hier ist die KSA sicher kein Einzelfall, wie etwa die nachträgliche, sehr negative Beurteilung der wissenschaftlichen Kompetenz unseres ehemaligen Bildungsministers Dr. Gio Hahn beweist. Dies sollte nicht als Entschuldigung für die KSA gesehen werden, überall sind Verbesserungen bei der Qualität der Betreuung von Abschlussarbeiten notwendig und möglich, sofern die dafür notwendigen Mittel bereitgestellt werden.

8. Ich bin auch sehr dafür, pseudowissenschaftliche Thesen wie die zitierten Ansätze von Sheldrake, Emoto und Hellinger zu diskutieren, zu hinterfragen und gegebenenfalls auch als Humbug zu entlarven. Prinzipiell kann dazu auch die KSA ein Hilfsmittel sein - im besten Fall als Ergänzung zu den Naturwissenschaften. Gerade diese Kooperationen waren Manfred Kremser immer wichtig, etwa in Kooperation mit der Medizinischen Universität in Wien. Dieser Aspekt seiner Arbeit wurde komplett unterschlagen.

9. Inhaltlich wird im Artikel kaum auf die Arbeiten von Manfred Kremser eingegangen, der als Wissenschaftler auch zu anderen Themen geforscht hat. Diese Forschungen kann und sollte man auch diskutieren. Er ist aber nicht der Autor dieser von Frau Federspiel zitierten Arbeiten. Aber zumindest eines sollte jedeR, der bei ihm gelernt hat, mitgenommen haben: einen kritischen Geist, um auch die eigene Position und die eigenen Ansichten gründlich zu hinterfragen. Diesen Grundsatz, der für Manfred Kremser selbstverständlich war, sollte sich auch Frau Federspiel zu Herzen nehmen.

10. Es kann keine Diskussion über einzelne WissenschaftlerInnen oder Disziplinen geführt werden, ohne auf den Zustand der Universitäten einzugehen: Die Betreuungsverhältnisse an der Uni Wien sind katastrophal. Auf einen Lehrenden kommen teilweise hunderte Studierende. Die finanzielle Ausstattung vieler Institute ist kaum gewährleistet. Die Universitäten sind seit vielen Jahren chronisch unterfinanziert. Damit ist in sehr vielen Fächern - nicht nur in der KSA ‑ eine sinnvolle Betreuung nur mit massiver Selbstausbeutung noch irgendwie möglich. Letztlich fehlen den Universitäten die Mittel, um eine sinnvolle Betreuung und Lehre zu ermöglichen. Das ist ein Versagen der Bildungspolitik.

11. Gute WissenschaftlerInnen sollten auch ihre eigene Person hinterfragen: Frau Federspiel ist Mitglied der Gesellschaft für kritisches Denken (GWUP). Auch wenn ich einige Aktionen wie das "Goldene Brett vorm Kopf" sehr schätze, der Skeptikerverein ist selbst nicht unumstritten. Dazu die Kritik von Edgar Wunder, einem ehemaligen Gründungsmitglied des Vereins: Er meinte, der Verein widme sich primär der Öffentlichkeitsarbeit für ein naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild. (Die Details und der Verlauf der Diskussion sind auf Wikipedia nachlesbar.) In der Wochenzeitung "Die Zeit" wird diesem Verein sogar das Gebaren einer "Politsekte" unterstellt. Dazu passen der Stil und die Form dieser zum Teil untergriffigen, zum Teil unseriösen Polemik.

Meine Stimme für das "Goldene Brett vorm Kopf" 2013 hat Frau Federspiel jedenfalls. (Igor Eberhard, derStandard.at, 25.6.2013)