Sie haben die Looks der 60er-Jahre, aber die Technik von heute – Retro-Bikes wie Kawasaki W800, die Moto Guzzi V7 oder die aktuelle Honda CB 1100. Ein Überblick

Vielleicht werde ich alt – vielleicht entwickelt sich bei mir aber auch nur ein Hauch von Geschmack. Für ersteres spricht mein Bandscheiben-MR, die "behaarliche" Ausbreitung des Gesichts über den ganzen Schädel und dass ich ohne Schwimmflügerl ins Wasser kann, weil mir inzwischen ein Schwimmreifen gewachsen ist.

Foto: moto guzzi

Für zweiteres spricht, dass ich meine Hawaii-Hemden gegen solche getauscht habe, bei deren Anblick man nicht sofort Augenkrebs bekommt, ich lieber gut als viel esse – obwohl gut viel nicht ausschließt – und ich den neuen Motorrädern, die so herrlich alt aussehen, immer mehr abgewinnen kann. Stilvoll spazierenfahren (im Bild die Moto Guzzi V7 Special) zählt auf diesen Motorrädern mehr als die Jagd nach und in der Kurve. Freiheit statt Rundenzeit.

Foto: moto guzzi

Die Schräglage allein ist nicht mehr der Gradmesser für den Fahrspaß. Das Motorrad selbst, das Glänzen des Chroms, die Faltbälge an der Gabel, die Speichenräder und ansehnliche Endschalldämpfer entführen dich in eine kommodere Welt. Und so ein Motorrad passt optisch einfach perfekt in die Berge, in die Kulisse von Almhütten und Bauernhäusern aus Holz, historisch gewachsener Dörfer.

Foto: honda

Ganz alleine dürfte ich mit der Sehnsucht nicht sein, schaut man sich die aktuelle Palette von Retro-Bikes an. Es ist eine Welle, die gerade zu rollen beginnt und ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Motorradhersteller nehmen Modelle aus den 60er-Jahren zum Vorbild, statten sie mit moderner Technik aus – schenken ihnen ein Fahrwerk, funktionierende Bremsen samt ABS und einen Motor, der beim ersten Drücker auf den Startknopf auch anspringt. Erstaunlicherweise, abgesehen vom PT-Cruiser vielleicht, gibt es eine derartige Entwicklung bei den Automobilen nicht.

Foto: moto guzzi

Dort werden alte Modelle mit modernen Linien neu aufgelegt. Siehe etwa die Moto Guzzi V7 "Stone". Vergleichen wir den aktuellen Mini mit dem ersten, den aktuellen Käfer mit dem Doppelbrezler. Die Gründe dafür sind nicht nur, dass ein Auto mehr Alltagswerkzeug ist und praktisch sein muss, während Motorräder eben vorwiegend dem Ausleben von Emotionen dienen – oder halt schon zu einem großen Teil.

Foto: moto guzzi

Praktisch, nein praktisch ist die Moto Guzzi V7 nicht. Die Italiener kamen vor fünf Jahren mit dem ersten Modell auf den Markt. Den Zenit bildet sicher die V7 750 Racer, die mit dem verchromten Tank, Startnummer, Faltbälgen, den hochgezogenen Endrohren und der klassischen Mono-Sitzbank – einfach eine alte Rennmaschine neu auflegt. Angetrieben wird die Guzzi selbstredend von einem V-Twin.

Foto: moto guzzi

Mit 744 Kubikzentimeter bringt sie es auf 50 PS und 60 Newtonmeter. Man muss sich also – sie wiegt fahrfertig 179 Kilogramm – nicht fürchten, dass man der hirnlosen Hetzerei verfällt. Trotzdem zangelt sie vorne und hinten über je eine Scheibenbremse. Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist die Sitzposition – aber das nimmt man bei einem so schönen Motorrad gerne in Kauf. Apropos Kauf: Um 11.899 Euro bekommt man entweder die fesche Guzzi, oder einen Ford Fiesta.

Foto: moto guzzi

Mit 13.290 Euro noch teurer, also in der Preisklasse eines VW Polo, liegt die neue Honda CB 1100. Die luftgekühlte Vierzylinder-Maschine mit 1140 Kubikzentimeter lässt einige moderne Kurven in das klassische Design einfließen. Richtig romantisch sind aber die großen, gelben Blinker, die wie abstehende Ohren während der Fahrt nach Mücken fischen.

Foto: honda

Von vorne hat sie, mit dem runden Zentralscheinwerfer und den beiden Hörnern darunter, zwischen den Blinkern, ein ganz eigenes Gesicht, das man fast süß nennen möchte. Wie die Guzzi kommt sie mit 5 Gängen aus, überträgt die Kraft aber nicht über einen Kardan, sondern über eine Kette ans Hinterrad. Sie wiegt fahrfertig 248 Kilogramm, hat 89 PS und eine komfortable Sitzposition. Sie führt das Retrothema am weitesten ins Heute und besticht mit dem 140er-Hinterreifen und Combined-ABS.

Foto: honda

Eh typisch Honda, dass der Perfektionismus den Emotionen ein wenig die Schneid abkaufen darf. Aber gerade wer lieber fährt als putzt, wird mit der Honda mehr als glücklich sein, weil man mit ihr auch problemlos die eine oder andere Tour fahren kann, ohne dass man die Mittagspausen beim Chiropraktiker einplanen muss.

Foto: honda

Technikfreaks kommen um die Kawasaki W800 nicht herum. Ihr zentrales Element ist die Königswelle, über welche die Nockenwelle angetrieben wird. Herrlich und einzigartig. Die W800 ist die Nachfolgerin der W650, die 1999 als eine der ersten den Trend etablierte, von dem dann auch Triumph und Enfield profitierten, die eh gar nie damit aufhörten, ihre alten Modelle weiterzubauen.

Foto: kawasaki

Die Triumph Bonneville dürfte auch eine Art Vorlage gewesen sein, die sich die Kawasaki-Designer genauer angeschaut haben, bevor sie zum Zeichenbleistift gegriffen haben. Natürlich hört man das von Kawasaki nicht. Dort sagt man, die W650 sei die Fortführung der hauseigenen W-Modelle wie der W1 aus 1966. Während es in Japan auch eine W400 gab, bohrte Kawasaki 2011 den Motor auf und brachte die W800 mit 773 Kubikzentimeter, 48 PS und einem Drehmoment von 62 Newtonmeter auf den Markt.

Foto: kawasaki

Der zusätzliche Hubraum tut der Histo-Kawa sehr gut. Sie wirkt nun nicht mehr flügellahm, sondern ist ein agiles, schönes Motorrad, das mit japanischer Wartungsfreundlichkeit auftrumpft. Um unter 10.000 Euro ist die Maschine mit dem kernigen Parallel-Twin noch dazu auf der günstigen Seite. Dafür bekommt man noch nicht einmal einen Fiat Panda. Außer man hat beim Fiat-Händler mehr Verhandlungsgeschick als beim Kawa-Dealer.

Foto: kawasaki

Apropos Italien-Kult: Ducati ritt mit den SportClassics bis vor Kurzem ebenfalls auf der Retrowelle – und das äußerst gelungen, wenn wir das Juwel der Serie, die Paul Smart 1000 anschauen. Sie wurde 2006 in der limitierten Auflage von 2000 Stück erzeugt und erinnerte, nona, an die Erfolge von Paul Smart Anfang der 1970er-Jahre.

Foto: ducati

Bis 2009 lief die Sport vom Band, das GT-Modell wurde von 2007 bis 2010 gebaut. Heute eine Gebrauchte zu finden, ist nicht ganz leicht – zudem sind diese Modelle alles andere als billig. Die Bikes waren teuer und keine Topseller. Wer sich eine kaufte, dann nicht um schnell einmal ein paar Tausend Kilometer draufzufahren und sie dann günstig wieder auf den Markt zu schmeißen.

Foto: ducati

Um unter 11.000 Euro werden Classic-Freunde noch bei Triumph fündig. Gleich drei Modelle – die Bonneville, die Scrambler und die Thruxton – haben die Engländer im Programm, wobei es von der Bonnie gleich mehrere Editionen, heuer sogar eine neue limitierte, gibt. Ein Gustostückerl ist die Scrambler um 10.990 Euro. Genau, Steve McQueen fällt einem bei der Scrambler sofort ein und die Sechstagefahrt.

Foto: triumph

Eine Augenweide sind die gekreuzten Krümmer und die hoch verlegte Auspuffanlage. Die grobstolligen Reifen verweisen auf die Geschichte, dass diese Motorräder in den 1960er-Jahren auch abseits der Straße wild hergenommen wurden.

Foto: triumph

Die Scrambler ist heute eine moderne Maschine, auch wenn Triumph kein ABS bei ihr anbietet. Das eine oder andere Schotterwegerl kann man der Scrambler auch jetzt noch gönnen. Das geht besser von der Hand als die Heizerei auf der Autobahn. Auf einem Retro-Bike, ohne Windschutz und aufrecht sitzend, da kürzt man eben nicht übers Bandl ab. Da fährt man über die 17er bis nach Triest, oder wie dieses Wochenende, Triumphfans nach Newchurch zum Triumphtreffen.

Foto: triumph

Da geht es dann auch nicht nur ums Abspulen von vielen Kilometern, sondern ebenso um gepflegte Geselligkeit. Also auch eher was für Ausgewachsene als junge Heißsporne, die sich erst die Kneepads an den Curbs abstoßen müssen. (Guido Gluschitsch, derStandard.at, 24.6.2013)

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