Geschätzt wird Erdogan von seinen Anhängern für seine undiplomatischen Statements

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Der grüne Bundesrat Efgani Dönmez hatte viele AKP Anhänger mit seiner Aussage aufgebracht

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Für die Türkei unter Erdogan wichtig: Afrika, sowohl politisch wie auch wirtschaftlich

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Nicht alle Anwohner waren über die Pro-Erdogan Demo erfreut

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Ein Meer aus Fahnen, die zuvor kostenlos verteilt wurden

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Gut organisierte Demo: Fahnen, T Shirts, Wasser und Ayran gabs gratis

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Tanzende Derwische: Höhepunkt der Abschlusskundgebung

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"Dönmez ist ein verlogener Rassist", brüllt Ahmet in der Menschenmenge. Der junge Arbeitssuchende kann seine Begeisterung kaum bändigen, er schwingt seine AKP/Türkei-Doppelfahne, die am Startpunkt der Demo dem Columbusplatz im 10. Wiener Gemeindebezirk gratis verteilt wurde und ergänzt: "All unsere Politiker (türkeistämmige MandatarInnen in Österreich, Anm.) verraten uns, aber diesmal werden sie die Rechnung im Herbst präsentiert bekommen." Kaum hat er das gesagt, skandiert er lauthals: "Dik dur egilme, Viyana seninle!" (Gib nicht nach, Wien ist mit dir!)

Dönmez Schatten über Erdogan

Die Proteste rund um den Gezi Park in Istanbul waren zunächst örtlichen Naturschützern und Anwohnern vorbehalten gewesen. Erst ein unverhältnismäßiger Einsatz der Polizei sorgte für landesweite Protestwelle, die die türkische Regierung selbst unter Druck setzte. Zusätzlich aufgeheizt war die Stimmung durch die Aussagen des türkischstämmigen grünen Bundesrates Efgani Dönmez, der den AKP Sympathisanten in Österreich die Ausreise nahe gelegt hatte. Daher war es für AKP Sympathisanten wichtig, nicht nur den türkischen Ministerpräsidenten zu unterstützen, sondern auch dem ungeliebten Bundesrat Dönmez das Ende seiner politischen Karriere zu wünschen.

Der 22-jährige Ordner Yasin betreut die demo-eigene Unterschriftenaktion, die den grünen Bundesrat Dönmez wie auch den grünen Nationalrat Peter Pilz zum Rücktritt auffordert. Er zeigt sich zufrieden über das Interesse und die vielen Unterschriften. Auf die Frage, wem er die  Unterschriften aushändigen wird, weiß er allerdings keine rechte Antwort: "Ich glaube, das bekommen die Leute von der AKP Österreich, weiß nicht genau." Die AKP Österreich ist vorläufig eine Facebook-Gruppe, doch einer Meldung der türkischsprachigen Zeitung "YeniHareket" zufolge, organisiert die UETD (AKP-nahe Vereinigung mit Sitz in Wien) alle politischen Aktivitäten der AKP in Österreich.

Anonyme Organisatoren

Dennoch halten sich jene Vereine und Interessengruppen, deren Mutterorganisationen in der Türkei sind oder deren Gründung auf AKP Initiative zurückgeht, vornehm zurück. Der Pressesprecher der UETD, Ercan Karaduman, etwa hält sich etwas abseits der Menge und spricht mit Journalisten. Ein Unternehmer und Mitglied  des türkischen Unternehmerverbands MÜSIAD, Mustafa Catalbas, unterschreibt die Petition gegen die beiden grünen Mandatare nicht, auch wenn er sagt, deren Aussagen seien "nicht hinnehmbar".

Überhaupt scheinen jene jungen Leute kaum auf, die die Tage zuvor so eifrig Interviews gaben. Keine Spur von den "New Vienna Turks" oder der Plattform "Pro-Erdogan". Ein türkischstämmiger Restaurantbesitzer namens Hamza Ates scheint von Anfang an die Leitung der Demo inne zu haben. Vom Anhänger eines hubraumstarken BMWs mit der Nummerntafel "W-AK 34" aus, bittet er die Menschen etwa, die kostenlos verteilten Türkei- und AKP-Fahnen nicht zu vergessen. Kostenlos gab es auch Wasser, Ayran und selbst die jugendlichen Ordner strahlten in ihren AKP-orangenen T-Shirts.

Überraschende Vielfalt

Auch wenn die Demonstration quasi auf Türkisch betreut wird und die meisten Plakate ebenso auf Türkisch sind, fallen immer wieder albanische, bosnische, palästinensische oder gar somalische Fahnen auf.  Der 35-jährige Sayyid Mustafa mit somalischen Wurzeln will auch unbedingt sagen, warum er heute dabei ist: „Erdogan gibt der islamischen Welt Hoffnung, deswegen sind heute nicht nur türkische Muslime hier". Auch die beiden Mazedonier Sabir und Mahmud sind gekommen, um Erdogan zu unterstützen. Der 30-järhige Sabir fragt: "Warum soll Erdogan mit Millionen im Rücken ein paar Hooligans nachgeben?" Der redselige Sabir verweist auf die Investitionen der Türkei unter der AKP am Westbalkan und will, dass das so bleibt. "Es geht nicht nur um Business, das ist klar, aber man muss es anerkennen", schließt Sabir, während der stille Mahmud zustimmend nickt.

Der Marsch beginnt

Laut Polizei marschieren knapp 8000 Menschen in einem Fahnenmeer aus türkischen und AKP Fahnen laut skandierend unter der sengenden Mittagssonne. Beschallt vom voran fahrenden Demo-BMW, der abwechselnd poplastige Einlagen und Erdogan O-Töne spielt, verläuft die Kundgebung im Grunde friedlich. Für Aufregung und Empörung sorgen vor allem strategisch positionierte Plakate mit den Konterfeis der während der Gezipark-Proteste zu Tode gekommenen Demonstranten. Die Ordner reißen die Plakate ab und die Kolonne zieht weiter. Immer wieder muss die Kolonne stoppen, da es sich vor allem junge Draufgänger nicht nehmen lassen noch vor der Polizeiabschirmung marschieren zu wollen, was die Polizei wiederum mit abrupten Stopps der Demonstration beantwortet. Immer wieder skandierten die Demonstranten: "Die türkische Diaspora ist mit dir!", "Wien ist mit dir!" oder den mittlerweile zum Klassiker gewordenen Sprechchor "Ya Allah, Bismillah, Allahu Ekber!" (Bei Gott, im Namen Gottes, Gott ist größer)

Als die Kolonne in die Mariahilferstraße einbiegt, bleibt offenbar nur noch eine Gefahr für Polizei und Organisatoren. Die beiden Lokale der Imbisskette "Türkis" werden von Einsatzkräften komplett abgeschirmt, die wiederum von Ordnern abgeschirmt werden. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Der Kette "Türkis" wird eine Nähe zur PKK nachgesagt, obwohl die Imbisskette zu den größten Sponsoren türkischer Konzerte in Wien gehört.

Erdogan live zugeschaltet

Doch plötzlich brandet Jubel auf. Der türkische Ministerpräsident ist live via Telefonschaltung verbunden und wird über Lautsprecher von der Menge frenetisch bejubelt. Man hört Erdogan zu und merkt, dass Erdogan im Wahlkampfmodus ist. So spricht er kaum über die Proteste und den Gezipark an sich, sondern viel mehr über vereinzelte Übergriffe gegen Frauen mit Kopftüchern während der Proteste und verdammt diese. Das sorgt für Jubel. Dann unterstellt er "jenen" (türk.: bunlar), dass sie genau wüssten, die AKP nicht an den Wahlurnen schlagen zu können und daher diese Wege beschritten hätten. "Ich bin gerade auf dem Weg nach Erzurum (Stadt in Ostanatolien, Anm.) und werde euch in Wien von der Bühne aus grüßen", schließt er ab und erntet wiederum Jubel und Sprechchöre.

Die Demonstration nähert sich dem Europaplatz am Anfang der Mariahilferstraße und damit dem Zielpunkt. Ein junger Mann namens Sedat mit kurdischen Wurzeln und einem Türkei-Schal ist sichtlich glücklich und resümiert: "Erdogan steht für die Ummah (Gemeinschaft aller Gläubigen im Islam, Anm.) und für Brüderlichkeit. Ich bin als kleiner Junge im Südosten der Türkei in die Schule gegangen und wir hatten nichts, keine Materialien, keine Heizung und heute gibt es sogar in Hakkari einen Flughafen."

Während die Presseerklärung verlesen wird, überraschen die Organisatoren mit einer Semah-Vorstellung. Es handelt sich dabei um den rituellen Tanz des alten islamischen "Mevlevi" Ordens, dessen Gründer Mevlana (oder auch Rumi) sowohl für die Sunniten wie auch die Aleviten eine wichtige Rolle spielt. Im Schatten der Proteste hat Erdogan eine neue Reformagenda für die AlevitInnen in der Türkei versprochen und die Wiener Organisatoren trugen dem offenbar Rechnung. Am Ende waren alle Beteiligten froh über den friedvollen Ablauf der Kundgebung und die zuvor wild skandierenden Demonstranten konnten unbehelligt zu den Bus- und Bahnstationen, um nach Hause zu fahren. (Rusen Timur Aksak, daStandard.at, 23.6.2013)