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Der "gefährliche" Blaubart (Johannes Chum, re.) erinnert an den argentinischen Revolutionskämpfer Che Guevara. Er findet in Boulotte (Elisabeth Kulman) allerdings seinen Meister. 

Foto: APA/WERNER KMETITSCH

Der szenische Rahmen von Philipp Harnoncourt erfreut sich an der Überdrehung von Klischees.

Graz - Charmegeladen hat sich die Satireenergie dieser operettenhaften Offenbach-Schöpfung in die Jetztzeit gerettet: Den schaurigen Mythos, also Frauenbeseitiger Blaubart, lässt Offenbach als Aufschneider antanzen, dessen Mordbefehle (seine fünf Gattinnen betreffend) nicht ausgeführt werden. Und die Königsfamilie wird in Ritter Blaubart " angeführt" von einem - in Hinblick auf seine politische Gestaltungskraft - hilflosen Intelligenzasketen (witzig: Cornel Frey), der Kaiser Napoleon III nachempfunden ist.

Hier verpfändet dieser König Bobèche seinen Fleiß an kriegsgeile Fantasien (welche die Musik auch verdeutlicht) wie Eifersüchteleien seine Gattin Clementine (kapriziös Elisabeth von Magnus) betreffend. Erspäht Bobèche einen potenziellen Nebenbuhler, ergeht auch schon der Befehl zu dessen Beseitigung. Wie bei Blaubart geht es um die Zahl fünf: Genau so viele Charmeure sollen das Zeitliche segnen. Wie beim notorischen Eheschließer Blaubart, dessen Damen von Popolani (Sébastien Soulès) nicht hinweggerafft werden, erfreuen sich auch die fünf Kavaliere im Finale bester Gesundheit.

Der schönste Pfeil

Dass am Stückende zwischen den lebenden Opfern fünf Ehen geschlossen werden und als Eheideenstifterin just Boulotte fungiert, ist eine weitere satirische Frechheit: Die derbe Bauerndame mit dem ausufernden Dialekt scheint Offenbachs schönster Pfeil in Richtung Pariser Gesellschaftszustände. Er lässt Boulotte großzügig überallhin (hier auch ins Publikum) Küsschen verteilen. Er lässt sie als Naturereignis höfische Tabus zertrampeln. Und nachdem Boulotte ihre angeblich toten fünf Vorgängerinnen (als Gattinnen von Blaubart) aus deren Särgen befreit hat, zähmt sie auch Tenor Blaubart (klangschön Johannes Chum), der in dieser szenischen Spielerei von Regisseur Philippe Harnoncourt als Mix aus Che Guevara und Pantoffelheld in spe erscheint.

Für grelle Überdrehungen ist also ausreichend Stoff parat. Und die Regie, die sich personell vor einer mit fünf Öffnungen versehenen Mauer gruppiert, nützt ihn auch. Ein bisschen deftig zwar, etwas steif mitunter. Aber immerhin: Im Verbund mit den rätselhaft-vielfältigen filmischen Animationen, welche sich auf der Mauer ausbreiten (Max Kaufmann, Eva Grün), ergibt das einen recht witzigen halbszenischen Rahmen.

Lust am Überzeichnen

Da entpuppen sich ein Schäfer als heiß liebender Prinz (solide: Markus Schäfer als Saphir) und eine Schäferin als resolute Königstochter (markant: Sophie Marin-Degor als Fleurette/Hermia). Da üben Höflinge in einem kollektiven Rückenwokout anstrengende Unterwürfigkeitsposen. Und zu entdecken ist auch ein bisschen Travestie. Vor allem aber kommt Elisabeth Kulman (als Boulotte) die Aufgabe zu, das Schrill-Derbe dieser Regie effektvoll rauszuknallen. Kulman tut dies mit sympathischer Lust am Outrieren, wobei ihr Gesang von hoher Makellosigkeit war. Hier sitzt jeder Ton, in jeder Lage verfügt Kulman über Klangfülle und Präsenz. Und wenn sie als Boulotte in Todesnähe gerät, sind auch sanftere szenische Angsttöne möglich.

Geht die Regie im Grunde in die Klischees vor allem lustvoll-grell hinein, löst Nikolaus Harnoncourt diese auf. Er nimmt zusammen mit dem formidablen Chamber Orchestra of Europe Offenbachs Ideen im Sinne von Nuance und Ausdrucksvielfalt ernst. Er sieht Melancholie unter den heiteren Bühnenmomenten schlummern, und vor allem vermeidet er alles Krachend-Triviale.

Offenbachs Musik wird nicht zur grinsenden Fratze geformt; Harnoncourt gestaltet hier interessante Tiefen und Farben aus. Wo die Versuchung also zugegen sein könnte, einen Moment des zünftigen orchestralen Dröhnens zu erschaffen, wird immer überraschend dezent, filigran und rhythmisch dennoch sehr prägnant agiert. Nur die Kriegsgeilheit des Königs wird kurz lustvoll-exaltiert karikiert. Das hat jedoch auch seinen triftigen Grund.

Hier ist also mit forschender Hand der Beweis erbracht worden, dass in diesem nicht unbedingt Hit-prallen Werk reichlich Subtilität vorhanden ist, deren Erweckung indes nur mit heiter-gelassener Ernsthaftigkeit betrieben werden kann. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 24.6.2013)