Ljudmila Ninova ist seit Dezember 2012 eine "richtige Sportlehrerin", wie sie sagt. "Und das mit 52 Jahren."

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Der österreichische Freiluft-Rekord über 7,09 Meter steht noch immer.

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Wien - Gut, als Lehrerin für Bewegung und Sport im Wiener BRG Pichelmayergasse hätte sich Ljudmila Ninova einen anderen Beginn der Geschichte gewünscht. "Ich bin kurz vor der Wende in meiner Wohnung in Wien gesessen und hab stundenlang Eurosport gesehen. Das hat man in meiner alten Heimat Bulgarien nicht empfangen können. Irgendwann einmal waren meine ehemaligen Leichtathletikkollegen bei einem Meeting zu sehen. Ich fing zum Weinen an - und meldete mich wenig später beim österreichischen Verband."

Es wäre aber wahnwitzig zu behaupten, dass der TV-Sportkanal der heimischen Leichtathletik Anfang der 1990er zur bisher erfolgreichsten Weitspringerin verhalf. Denn eine Geschichte hat immer auch eine Vorgeschichte. Und die beginnt im Fall von Ninova im Jahr 1988: Zehn Tage vor dem Abflug zu den Olympischen Spielen in Südkoreas Hauptstadt Seoul verletzte sich die 28-jährige bulgarische Leichtathletin am Sprunggelenk. "Ich dachte, das war's mit meiner Sportkarriere", erinnert sich Ninova, die am Dienstag 53 Jahre alt wird, in einem Wiener Café.

Zweifel nach dem Unfall

Und die war bis dahin nicht so schlecht verlaufen: Ninova, die das überhaupt erste Sportgymnasium in ihrem Land besuchte, wurde für Bulgarien 1986 EM-Fünfte in der Halle und unter freiem Himmel sowie 1987 Neunte bei der WM in Rom. Dann kamen der Sportunfall und die Zweifel. Das Positive daran war, dass sie ihr 1979 angefangenes und durch die Wettkämpfe und Trainings unterbrochenes Sportstudium wieder aufnehmen konnte.

Bei Lernpausen, in denen sie unter anderem ihren ausgewanderten Bruder Nikolay in Wien besuchte, lernte sie den Schauspieler und Schriftsteller Ronald Rudoll kennen - und lieben. "Ich hatte einen privaten Sportler- Dienstpass und konnte im Vergleich zu vielen Landsleuten relativ einfach ausreisen. Wenn du ausländisches Geld auf einer Bank hattest, hast du eine Genehmigung bekommen." 1989 wurde geheiratet, Ninova pendelte zwischen der Uni in Sofia und Wien hin und her. Irgendwann wurde Eurosport aufgedreht - und geweint.

"Ich hatte in Bulgarien vor meiner Verletzung eine Bestleistung von 6,88 m stehen, so weit war noch keine Österreicherin gesprungen", sagte Ninova. "Mit diesem Wissen bin ich rein in die Geschäftsstelle im Happel-Stadion." Das Problem war nur: Ninova hatte - trotz Hochzeit - keinen österreichischen Pass. Diese Geschichte erzählt sie gerne. "Denn viele glauben, dass ich nur wegen der Staatsbürgerschaft geheiratet habe." Die frühe Scheidung trug ihr Übriges zur Mär bei.

Die magischen sieben Meter

Als Glücksfall stellte sich heraus, dass Ilija Popov, einst Cheftrainer der bulgarischen Leichtathleten, seit Jahren in Österreich werkte. "Als ich Wettkämpfe bei den Juniorinnen bestritt, war er mein Coach." Popov verschaffte ihr einen Termin im Rathaus. Fünf Monate später, am 14. Februar 1991, wurde Ninova Österreicherin. "Da war ein internationaler Vergleichswettkampf in Wien angesetzt. Ich sollte am Vormittag recht früh ins Rathaus gehen, weil am Nachmittag das Meeting stattfand. Im Weitsprung bin ich dann gleich Erste geworden."

Ninova ist die erste und bisher einzige Österreicherin, die über sieben Meter gesprungen ist. Ihr Freiluft-Rekord steht seit 1994 und noch immer bei 7,09 Metern. Zum Vergleich: Den Weltrekord hält die Russin Galina Tschistjakowa seit 1988 mit 7,52.

Bei ihrer ersten WM für Österreich, 1991 in Tokio, wurde Ninova Siebente. 1992 folgte bei der Hallen-EM in Genua ihre erste Medaille. " Ich bin mit Fieber zu Bronze gesprungen", sagt sie. "Wir hatten wegen Doping Angst, durften keine Medikamente nehmen." 1994 gewann sie bei der Hallen-EM in Paris Silber. Bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona und 1996 in Atlanta schied die 13-fache österreichische Meisterin im Weitsprung jeweils in der Vorrunde aus.

Abschied mit Freunden

Am 21. September 1997 machte sie nach einem Einladungsmeeting auf Jamaika Schluss. "Es war ein sehr entspannter Abschied mit Freunden. Die Veranstalter des Meetings haben uns Läufern noch eine Woche Urlaub bezahlt." Ausgesorgt hatte sie trotz internationaler Werbeverträge nicht.

Sie blieb im Geschäft, wurde Assistant Manager von Harald Edletzberger. Der Wiener Sportmanager hatte auch Ninova selbst unter Vertrag, seit 1992 waren sie zudem ein Paar. "Ich spreche Bulgarisch, Russisch und Serbokroatisch. Da habe ich gut vermitteln können." Ninova war auch dabei, als sich Edletzberger 2002 erstmals mit der damals 19-jährigen kroatischen Hochspringerin Blanka Vlasic in Zagreb traf und sie unter Vertrag nahm. 2007 und 2009 wurde Vlasic Weltmeisterin, 2010 Welt- Leichtathletin des Jahres. Einmal noch war Ninova als Betreuerin bei Olympia, 2000 in Sydney. 2003 waren ihre Beziehung mit Edletzberger und die Managerkarriere vorbei. "Da haben zehn Athleten aus Solidarität zu mir ihre Verträge gekündigt."

Von 2004 bis 2009 war sie Konditionstrainerin bei den Volleyballern ihres Klub SVS Schwechat. Da hatte sie von ihrer Wiener Wohnung im 11. Bezirk auch nicht weit hin. 2009 besann sie sich ihrer Sportlehrerausbildung, die sie neben dem Trainerschein in Bulgarien absolviert hatte. "Ich habe aufgrund des Lehrermangels sofort einen befristeten Sondervertrag für ein Jahr als Vertretungslehrerin bekommen."

Hürden der Bürokratie

Sondervertrag deshalb, weil ihr bulgarisches Diplom nicht anerkannt wurde. Sie musste es nostrifizieren lassen, wurde ein Jahr Studentin, legte zwei Prüfungen ab - und bekam zunächst nur ihr Diplom in Sportwissenschaft. Auf ihre Lehrberechtigung musste sie via Ministerium und Stadtschulrat viel länger warten als auf ihre Staatsbürgerschaft. Im September 2012 war es so weit, seit einer Prüfung in österreichischem Schulrecht ist sie seit Dezember 2012 "eine richtige Lehrerin - und das mit 52".

Mit den Jugendlichen macht das Sporteln Spaß, viele Talente macht sie bei so wenigen Turnstunden pro Klasse aber nicht aus. "Es ist selten, dass du mehr als drei Schüler hast, die eine gute Kondition oder Bewegungstalent haben. Aber Schüler und Sportler darf man nicht vergleichen." Erst vor zwei Wochen ist Ninova mit ihren Schülern gesprungen - hoch und weit. "Aber das Messen bei mir in der Grube lasse ich bleiben." Zuletzt hat sie zum Spaß das Weitspringen aus dem Stand probiert. "Ich bin 2,65 Meter weit gekommen, nicht schlecht, oder?" Ninovas Rekord ist derzeit nicht in Gefahr. Über ihre jungen Nachfolgerinnen weiß sie aber bestens Bescheid. "Marina Kraushofer ist am 12. Juni in Graz Bestweite von 6,20 Meter gesprungen - mit 1,7 Meter pro Sekunde Gegenwind." (David Krutzler, DER STANDARD, 24.06.2013)