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Brasilianische Familie auf dem Weg zum Spiel Nigeria gegen Uruguay, das auch Reinhard Krennhuber besuchte

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Auch Gummimunition kann tödliche Auswirkungen haben

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Reinhard Krennhuber: "Die Politik steht den Protesten weitgehend hilflos gegenüber"

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Reinhard Krennhuber befindet sich derzeit im brasilianischen Salvador, wo er für das Fußballmagazin "Ballesterer" über den Confederations Cup berichtet. derStandard.at erreichte ihn am Telefon, um ihm Fragen über die Lage in Brasilien zu stellen, wo am Donnerstag über eine Million Menschen aus Protest gegen Fahrpreiserhöhungen und Korruptuion auf die Straße gegangen sind.

derStandard.at: Wie schlimm sind die Preiserhöhungen, gegen die sich die Proteste ursprünglich richteten, wirklich? Sie kennen Brasilien ja bereits von früheren Aufenthalten …

Krennhuber: In den vergangenen Jahren sind vor allem die Wohnkosten, die Preise für Lebensmittel und die Fahrpreise im öffentlichen Verkehr drastisch gestiegen. Dem Magazin Epoca zufolge hat die Inflation in den vergangenen zehn Jahren um 82 Prozent betragen, die Preiserhöhungen für den öffentlichen Verkehr lagen noch darüber.

In fast allen brasilianischen Großstädten kostet eine Einzelfahrt mittlerweile drei Real (ca. 1,20 Euro). Wenn man also umsteigen muss, kostet allein der Weg zur Arbeit und zurück zwölf Real. Das ist teurer als in Wien, wo das öffentliche Verkehrsnetz viel besser ausgebaut ist.

derStandard.at: Wie ist die Stimmung bei den Spielen des Confederations Cups? Gibt es Konflikte zwischen Matchbesuchern und Protestierenden?

Krennhuber: Am Donnerstag wollte ich zum Spiel Nigeria gegen Uruguay. Das Taxi hat mich weit vor dem Stadion abgesetzt, ich musste zu Fuß weitergehen. An einem Kreisverkehr war eine Straßenschlacht in vollem Gang, ein Autobus und ein Pkw brannten, so dass ich es eigentlich schon aufgeben wollte.

Dann habe ich aber andere Fußballfans getroffen, mit denen ich an dem Demonstranten und brennenden Fahrzeugen vorbeigelaufen bin, auch die Polizei hat uns nach einer Kontrolle schließlich passieren lassen.

Das Stadion war dann allerdings halbleer. Vermutlich haben es viele Besucher nicht rechtzeitig zum Anpfiff geschafft.

Beim heutigen Spiel der brasilianischen Nationalmannschaft gegen Italien, wo der Andrang viel größer sein wird, wo der Andrang viel größer ist, befürchte ich deshalb, dass es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Fußballfans kommen könnte, auch wenn das bisher nicht der Fall gewesen ist.

derStandard.at: Was bedeutet das für die Fußball-WM, die 2014 in Brasilien stattfinden soll?

Krennhuber: Dass unter solchen Bedingungen zehntausende europäische Fans eine Fußball-Weltmeisterschaft in einer angenehmen Atmosphäre genießen können, ist schwer vorstellbar. Ein sicherer Matchbesuch ist unter den Vorzeichen, wie wir sie im Moment erleben, kaum zu gewährleisten.

derStandard.at: Wie gehen die Parteien mit den Protesten um? Wie kommt Präsidentin Dilma Roussefs Ankündigung, sich für die Anliegen der Demonstrierenden einsetzen zu wollen, bei diesen an?

Krennhuber: Dilma hat einige Zeit gebraucht, bis sie erklärt hat, die Demonstrationen seien legitim. Zu Anfang der Proteste haben nämlich viele Politiker den Protestierenden genau diese Legitimität abgesprochen, was diese natürlich erzürnt hat. Der Eindruck, dass die Proteste vor allem gewalttätig sind, ist falsch. Die Demo am Donnerstag ist in Salvador verlief zunächst friedlich verlaufen, die die Polizei mit ihren Tränengasattacken begann. Es steht allerdings auch außer Frage, dass eine Minderheit der Demonstranten auf Krawalle aus war.

derStandard.at: Wie berichten die brasilianischen Massenmedien über die Proteste?

Krennhuber: Am Anfang haben Mediennetzwerke wie "O Globo" die Demonstrierenden allesamt als "linksradikale Gewalttäter" abgestempelt.

Mittlerweile ist die Bewegung so breit geworden, dass dieses Bild nicht mehr aufrechtzuerhalten wäre. Dass "O Globo" am Donnerstag auf die Ausstrahlung der in Brasilien so populären Telenovelas verzichtete, um über die Proteste zu berichten, zeigt die Bedeutung und das Ausmaß der Proteste: Denn in Brasilien können sogar Fußballspiele an Wochentagen erst spätabends beginnen, weil diese Seifenopern ein Fixpunkt im Fernsehprogramm sind.

derStandard.at: Kommt es abseits der nächtlichen Demonstrationen auch zu anderen Protestformen wie Besetzungen?

Krennhuber: Ich habe davon bisher wenig mitbekommen. In Bezug auf den Organisationsgrad gibt es allerdings große regionale Unterschiede: In Belo Horizonte und Sao Paulo zum Beispiel, wo lokale Komitees wie "Passe livre" gegen die Preiserhöhungen protestiert haben, sind diese inzwischen relativ schnell zurückgenommen worden. Es ist dort relativ rasch zu Verhandlungen zwischen VertreterInnen der Bürgerbewegung und der lokalen Politik gekommen. Die Massenproteste, die sich gegen Korruption und die Sozialpolitik der Regierung richten, haben keine Führungspersönlichkeiten, wodurch der Politik die Ansprechpartner fehlen.

derStandard.at: Wie könnte die Politik die Demonstranten besänftigen? Obwohl einige Fahrpreiserhöhungen zurückgenommen wurden, gehen ja immer mehr Menschen auf die Straße …

Krennhuber: Die Politik steht den Protesten weitgehend hilflos gegenüber und ist von den Entwicklung selbst überrascht worden. Polizeigewalt ist jedenfalls das falsche Rezept. Eventuell könnten besser ausgebildete und zurückhaltender auftretende Sicherheitsbeamte, die nicht so machohaft wie die brasilianischen Spezialeinheiten auftreten, zu einer Deeskalation beitragen.

derStandard.at: Bilder aus Brasilien zeigen Polizisten, die Gummischrot in Kopfhöhe verschießen, was extrem gefährlich ist – eigentlich sollten solche Waffen auf die Beine gezielt werden …

Krennhuber: Dieses Vorgehen hat bereits zu zahlreichen schweren Verletzungen geführt. In Rio wurde am Donnerstag auch ein Journalist von Gummigeschoßen getroffen Aus Sao Paulo habe ich gehört, dass der Polizei dort vorige Woche das Tränengas ausgegangen ist, weil die Beamten so große Mengen versprüht haben.

derStandard.at: Diese Problem betrifft ja auch die türkische Polizei. Bekommt man in Brasilien etwas über die Proteste dort mit?

Krennhuber: Die türkischen Sicherheitskräfte kaufen ja ihr Tränengas aus Brasilien. Die Demos in der Türkei sind hier sehr wohl ein großes Thema in den Zeitungen, die "Folha de Sao Paulo" hat kürzlich auf einer ganzen Seite darüber berichtet. (Bert Eder, derStandard.at, 21.6.2013)