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Jubilar Klaus Maria Brandauer: Die Welt in ihrer Gesamtheit nicht so ernst nehmen, aber dafür im Detail umso mehr.

Foto: APA/EXPA/SANDRO ZANGRANDO

Andrea Schurian sprach mit ihm über Sprache, Applaus und das Alter.

STANDARD: Tauchte bei der "Millionenshow" die Frage auf: Wer ist Klaus Georg Steng?, wüsste es vermutlich kaum jemand.

Klaus Maria Brandauer: Stimmt. Den Namen kennen die wenigsten. Ich bin als Brandauer Klausi aufgewachsen, bis ich zu meiner Überraschung einen Vater bekommen habe, der in Kriegsgefangenschaft war und Georg Steng hieß. Und dass ich auch so hieß. Aber ich war in allen Ferien in Altaussee bei meinen Großeltern, dort bin ich der Brandauer Klausi geblieben. Und Mutter und Großmutter hießen Maria - "Frauen standen neben ihm", wie es bei Peer Gynt hieß.

STANDARD: Und der Vater?

Brandauer: Er war ein großartiger Mann - der wichtigste in meinem Leben, von ihm habe ich Demut gegenüber dem Leben gelernt. Er ist mein Vater, ich bin sein Sohn. Bis heute. So wie ich der Vater meines Sohnes bin. Der Christian wurde vor zehn Tagen fünfzig, also ist es nicht nötig, heute darüber zu sprechen, wie alt ich bin.

STANDARD: Warum nicht?

Brandauer: Ich weiß natürlich, wie alt ich bin. Der Tischler Danner hat im Wirtshaus einen Meterstab vor sich hingelegt und gesagt: "Schau, Klaus, 18 - da bist du, 70 - da bin ich." Auf einen Blick weiß man, wo man steht. "Ein Menschenleben ist, als zählt' man eins", sagt Hamlet. Aber es ist doch viel mehr, ich habe viel erlebt, es ist viel passiert und, mit einer Ausnahme, eigentlich nur Gutes.

STANDARD: In Becketts "Das letzte Band" kramt Krapp in alten Tonbändern, erinnert sich. Tun Sie das anlässlich Ihres Geburtstags auch?

Brandauer: Der Mensch ist ein Gesamtkunstwerk, und die Lebenszeit ist eine Gesamtheit, die man nicht nur chronologisch sehen darf. Wenn man spricht, ist das "Ich" einmal aus dem 53er-Jahr, dann aus dem 81er- oder 2013er-Jahr. Eine Kette von Gedanken, wo man das Jetzt, das Damals und eventuell auch das Voraus zusammenführt. Das gilt nicht nur auf der Bühne, sondern überall.

STANDARD: Inszeniert hat "Das letzte Band" Peter Stein, mit dem Sie auch "Wallenstein" und "Ödipus auf Kolonos" bei den Salzburger Festspielen gespielt haben sowie im Herbst den "Lear" an der Burg. Was macht ihn so besonders?

Brandauer: Er ist ein großer Theatermann, ein genialer Regisseur, ein Forscher mit einem außerordentlichen Wissen. Von so einem lässt man sich gern zuschauen, beraten und auch mal etwas sagen. Wir sind draufgekommen, dass wir ähnliche Ansichten haben, aber wir beide reden ganz wenig über Theater. Eine wichtige Voraussetzung ist: Ich habe Respekt vor ihm. Und ich habe ihn sehr gern und hoffe - ich habe es ihm noch nie gesagt, aber jetzt kann er's ja lesen -, dass es umgekehrt auch so ist.

Ich freue mich auf die Arbeit am Lear. Das ist eine sehr heutige politische Figur. Nicht nur, weil er ein unglaublicher, wahnsinniger, alle Farben des menschlichen Seins spiegelnder Charakter ist, sondern weil er das großartige literarisch-theatralische Beispiel für die unerträgliche Leichtigkeit des Seins ist - und gleichzeitig ein Beispiel für die Notwendigkeit, Erleuchtung zu erlangen. Es wird sich herausstellen, ob ich in der Angelegenheit ein kleines Kätzchen sein werde oder ein Riesenraubtier. Lear zeigt die Entwicklung eines verwöhnten Potentaten zu einem langsam durch Fehler in den Wahn getriebenen Menschen, der erkennt: Man kann, wenn man will, etwas lernen auf der Welt, und zwar, was wir alle lernen können: Erkenne dich selbst.

STANDARD: Viele Schauspieler haben durch die intensive Beschäftigung großen Respekt, ja, fast Angst vor der Sprache.

Brandauer: Warum eigentlich? Ich bin mir nicht so sicher, ob das Sprichwort "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" immer richtig ist. Dann wären wir oftmals nicht weitergekommen, wie man an Hamlets Zögern sieht. Vor dem Sprechen muss man doch keine Angst haben - höchstens vor sich selber.

STANDARD: Wie viel Krapp, Hamlet, Lear steckt in Ihnen? Sind Sie die Summe aller Rollen?

Brandauer: Es ist wohl eher so, dass in den genannten Figuren eine Portion von mir drinsteckt, das hoffe ich zumindest. Sonst hätte ich das alles ja gar nicht spielen müssen. Ich bin heute die Summe meines bisherigen Lebens, welches ja auch schon eine kleine Weile andauert, und das soll sich im Lear niederschlagen. Vielleicht ein vermessener Anspruch, aber anders kann ich mir das nicht vorstellen.

STANDARD: Sie haben in Hollywood-Filmen gespielt; dennoch heißt es, Sie würden das Theater immer dem Film vorziehen. Stimmt das?

Brandauer: Film und Theater haben ja nicht so viel miteinander zu tun. Theater ist ein Ereignis, es lebt von denen, die anwesend sind. Beim Film gibt es diese Direktheit nicht, weil alles, was der Schauspieler macht, durch den Schneideraum geht und dort ganz neu aufgestellt wird. Man muss den Unterschied kennen, ich bin froh, dass ich beides machen kann. Ich bin mit dem Theater verheiratet und mache Seitensprünge, ohne untreu zu werden.

STANDARD: Ein Seitensprung war zuletzt der Film "Die Auslöschung", in dem Sie einen demenzkranken Mann spielten. Beschäftigt einen da die Angst, diese Krankheit könne einem selber drohen?

Brandauer: Jeder muss damit rechnen. Ich habe versucht, mich hineinzufühlen in jemanden, dem man sagt, dass er in einigen Jahren nichts mehr von sich wissen wird. Wie wird das sein? Wenn du dich nicht mehr erinnern kannst, gibt es dich nicht mehr. Freunde von mir betreuen einen Betroffenen und haben eine unbeschreibliche Beziehung entwickelt, an der ich manchmal teilnehmen darf. Da fällt kein Wort - oder nur von einem, vom anderen hat man das Gefühl, er habe überhaupt kein Bewusstsein. Aber das stimmt nicht. Wenn man will, ist es ein Leben. Und wenn man will, kann es ein schönes Leben sein.

STANDARD: Ist Schauspielerei eine Art Erforschen, Erkenntnisarbeit?

Brandauer: Für mich unbedingt. Ich muss nicht genau wissen, wer Hamlet oder Lear ist, aber ich muss mich auf den Weg dahin machen, es untersuchen, herausfinden, beglaubigen. Der persönliche Zugang ist wichtig, es ist ja nichts durch den Text allein abgedeckt. Es geht immer auch darum, wie man etwas spielt, interpretiert, was man dabei fühlt, denkt und was man möchte, dass die Zuschauer denken und fühlen. In welchem Pool wollen wir alle schwimmen? Das ist das Aufregende. Diese Fragen beschäftigen mich seit fünfzig Jahren. Und meine Erkenntnis: die Welt in ihrer Gesamtheit nicht so ernst zu nehmen, aber dafür im Detail umso mehr.

STANDARD: Stimmen Sie Thomas Oberender, dem Intendanten der Berliner Festspiele, zu, Theater sei Leben auf Probe?

Brandauer: Theater ist Leben, es ist kein Ausnahmezustand, auch wenn sich das manchmal so anfühlt. Ohne sich selbst können Sie vergessen, Hamlet zu sein oder Lear. Aber das, was Sie mitbringen, muss sich orientieren an dem vereinbarten Text. Ich möchte, dass jeder Theaterabend, nicht nur die Premiere, etwas Besonderes ist, ein Riesenfest für uns Schauspieler und das Publikum. Ich möchte an diesem Abend gern der sein, den ich vorgebe zu spielen - obwohl ich weiß, dass das nicht geht.

STANDARD: Ist Theater wahrhaftiger als das Leben?

Brandauer: Ich glaube zumindest, dass ich in meiner Arbeit mitunter präziser bin als im täglichen Leben. Da spiele ich manchmal, bewusst oder unbewusst, mehr als auf der Bühne.

STANDARD: Was ist Ihnen wichtiger: Applaus oder gute Kritiken?

Brandauer: Riesenapplaus, größter Jubel und die fantastischsten Kritiken. Alles, was ich an Erfolg kriegen kann. Nur eines möchte ich nicht, es ist seit Jahrzehnten en vogue: das Scheitern. Ich will nicht scheitern. Und ich scheitere auch nicht. Ich bin immer selbstkritisch, aber Scheitern ist nicht in meinem Blickfeld.

STANDARD: Schalten Sie die Selbstkritik bei der Premiere aus?

Brandauer: Besser, Sie tun es und finden mich gut. (lacht) (Andrea Schurian, DER STANDARD, 22./23.6.2013, Langfassung)