Der Wahlsieg des relativ gemäßigten Präsidentschaftskandidaten Hassan Rohani im Iran macht eine der spannendsten Fragen der politisch- historischen Analyse aktuell: Warum werden manche Vertreter eines repressiven Regimes zu Reformern, die am Ende das ganze System umstürzen? Und warum erweisen sich andere Hoffnungsträger als Enttäuschung oder werden gar zu reaktionären Verhinderern?

In solchen Situationen Prognosen abzugeben ist eine der schwierigsten Aufgaben nicht nur für Experten und Journalisten, sondern auch für andere Staatsführer, die wissen wollen, ob sie es mit einem Wolf im Schafspelz oder einem wahren Reformer zu tun haben. Denn ein Regimewechsel von innen, das zeigt die Geschichte, ist einem gewaltsamen Umsturz stets vorzuziehen. Wenn er gelingt, kann er den Lauf der Geschichte verändern.

Der Fokus auf den ideologischen Hintergrund und politischen Werdegang solcher Figuren oder das Zitieren früherer Aussagen helfen dabei nur wenig. Michail Gorbatschow war einst genauso ein lupenreiner Kommunist wie Boris Jelzin, und dennoch brachen sie beide mit der alten Sowjetunion. Willem de Klerk hegte keine Zweifel an Südafrikas Apartheid, bis er sich in der Position der Macht wiederfand und dem großen Versöhner Nelson Mandela gegenüberstand.

Zwei Faktoren spielen beim Wandel politischer Persönlichkeiten eine besonders Rolle: die Anhängerschaft, auf die sie sich stützen, und ihre eigene Persönlichkeit. Unter dem Druck der Massen wurden die braven Reformkommunisten Imre Nagy und Alexander Dubcek einst zu Widerstandskämpfern gegen das KP-Regime. Und auch Jelzins Bereitschaft zum Bruch mit der Diktatur lässt sich mit den Erfahrungen von August 1991 erklären, als er auf dem Panzer stehend als Held der Straße gefeiert wurde. Solche Augenblicke prägen mehr als jahrelange Ideologieseminare.

Noch wichtiger ist der Charakter. Der geschwätzige Idealist Gorbatschow und der Gefühlsmensch Jelzin neigten vom Temperament her zum Pluralismus; als er dann entstand, verteidigten sie ihn instinktiv. Es war diese innere Qualität, die eine stramme Rechte wie Margaret Thatcher einst in Gorbatschow erkannte. Wladimir Putin hingegen ist von Natur aus ein autoritärer Charakter, der die totale Kontrolle über Menschen und Ereignisse sucht. Nur in gut etablierten Demokratien sind solche Typen gezwungen, Grenzen zu respektieren.

Das Gleiche gilt wohl für den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan, dessen Hinwendung zur Repression wenig mit seiner Religion und viel mit seinem Charakter zu tun hat. Auch die Unterdrückung der Pekinger Studentenproteste 1989 war keine ideologisch ausgemachte Sache, sondern entsprang dem Naturell von Deng Xiaoping, der Reformen wollte, aber nur nach den eigenen Regeln zuließ.

Bei allen Reformern stellt sich auch die Frage, ob sie sich gegen die alten Kräfte durchsetzen können. Das macht es so schwer, die Zukunft von Burma unter dem reformbereiten Ex-General Thein Sein abzuschätzen. Und auch bei Rohani im Iran ist sein Geschick im Umgang mit dem eigentlichen Machthaber Ali Khameini mindestens so wichtig wie seine politische Präferenzen. Doch die Tatsache, dass ihn eine starke Reformbewegung ins Amt gespült hat und er wie ein Mann des Ausgleichs und der Versöhnung wirkt, gibt Grund zu Hoffnung - jedenfalls mehr als für die Türkei unter Erdogan. (Eric Frey, DER STANDARD, 21.6.2013)