Schmeck's Asia-Wochen
Herrlich haarige Hand am Tofu
Michelinsterne für ein paar Euro: Harald Fidler schwärmt über Kuttelrüschen, Krabbenfäuste, Schneepilze und - falsche Gans
Ansichtssache
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Harald Fidler
Print first: Wenn der Severin Corti schon so prompt meinen Hilferuf aus Fernost beantwortet, wo ich denn nun in Hongkong essen geh', dann wart' ich natürlich gern, bis das RONDO eine Coverstory über Michelinsterne für eine Handvoll Euro in die Welt gesetzt hat. Ich lege quasi als kleine Sättigungsbeilage mit ein bisschen Respektabstand - und weiteren Lokaltipps nach.
Cortis Link zur "Financial Times"/"How to spend it"-Story über die supergünstigen wie zumindest so guten Michelinsterne Hongkongs war mir natürlich innerer Auftrag. Vor allem, weil einige von ihnen gar so günstig an meinem Weg lagen. Zum Aufwärmen ein Besuch bei Ho Hung Kee in Causeway Bay. Dann ein kleiner Ausflug zum Park der Vogelnarrischen (die tatsächlich mit ihren Singvögeln im Käfig, nun, so eine Art von Äußerln gehen). Und schon liegt das One Dim Sum ums Eck. Nicht weit das Delicious Congee, dessen Fischlippen Sie womöglich schon gelesen haben . Da kann man nicht kostlos vorbeigehen.
Print und Online überschneiden einander in Sachen Hongkong ein wenig - dafür gibt's hier viele Gerichte im (oft gar nicht so üblen) Bild. Und: Print und Online ergänzen einander noch viel mehr beim Leerfuttern von Hongkongs günstigen Michelinsternen.
Ich behaupte ja: Das Bestmögliche hat sich Schmeck's ausgesucht - Hung's Delicacies. Mit einer wirklich, wirklich spannenden vegetarischen Gans zum Beispiel. Intensiv, malzig und zum Glück gans anders, als man befürchten könnte. Und noch eine besternte Kette möchte ich jenseits des Gedruckten empfehlen: Din Tai Fung. Die schönsten (und wohl auch besten) Kuttelrüschen meines Kostlebens. Und die gar nicht schöne, aber umso aufregendere Kombination von Krabbe und Tofu. Aber sehen Sie selbst.
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Ich starte bei Ho Hung Kee (ein Michelin-Stern 2013) am späten Vormittag eher vorsichtig mit Shredded Pig zu Nudeln mit Austernsauce (und lassen die diversen Schweinefüße einmal links liegen). Kräftig, gut, günstig - rund 5,60 Euro.
Die meeresfruchtig-intensiven "House Specialty" Wonton-Nudeln - intensiv für 3,40 Euro.
Und dieser nette Herr kümmert sich um die Rice Congee - die probierte ich lieber später mit Fischkopf drüben in Kowloon.
Auf dieser Seite der Küche - am alten Standort - ging's um Wonton und andere Nudeln.
Hier finden Sie Ho Hung Kee nicht mehr - sondern im Hysan Place in Causeway Bay, Shop 1204/1205, reservieren unter: 2577 6028).
Es geht weiter zu One Dim Sum - ein Michelin-Stern, zwei Stunden nach meinem ersten gleich noch einmal sechs Gänge für 8,64 Euro, nämlich...
... diese erst einmal sehr, sehr heißen, vor allem aber wundermolligen fried dumplings with salted meat. Überraschend süß, feine Balance mit dem essiglastigen Dip und schönem Biss von knackig nach wunderweich.
Tofu-Haut, gerollt und gebraten. Bisschen fettig, bisschen üppig - aber schon sehr gut. Nach meinen Aufzeichnungen innen knackige Shrimps und minziges Grünzeug.
Glutinous Rice Dumpling - nur Weihnachten ist schöner...
... hier packe ich halt einen dicken Batzen Reis aus, teils sehr schön saftig, stellenweise ein bisserl trocken, mit vielerlei Fleisch und sein Saft drin, rosiges Schwein zum Beispiel, Pilze. Fand ich bei Tim Ho Wan noch ein Stück besser. Aber zu dem kommen wir schon noch. Hier fragt die nette Servierkraft besorgt, ob ich wirklich alles Bestellte auch haben will. Einmal dürfen Sie meine Antwort raten.
Sieht ziemlich langweilig aus, ist auch ein bisserl eintönig und zudem auch noch süß(lich) - aber ich fand's großartig: Steam Cake Mala Style. Und zwar ...
... saftig-flaumigstes Biskuit, würde jedenfalls ich Dilettant sagen.
Und noch einmal süß. Sehr süß. Und zuallererst einmal sehr, sehr heiß: deep fried sesame balls. Mit...
... mohniger Fülle. Sapperlot!
Nicht nur mir schmeckt's bei One Dim Sum - wobei die Gesichter ja nicht so glücklich wirken.
Daran läuft man leicht vorbei - wenn gerade nicht Menschen Schlange stehen, um reinzukommen wie bei mir am frühen Nachmittag. Da ist halt nur das Lokal bummvoll.
Hier stehen praktisch immer Schlangen - die zentralste Filiale von Tim Ho Wan direkt unter dem Terminal des Flughafen-Schnellzugs in Downtown Hongkong. Die hat übrigens im Gegensatz zu den anderen bisher keinen Michelin-Stern.
Leider halten meine (vorige) Kamera und vor allem ich mit den Lichtverhältnissen sowas von gar nicht mit Tim Ho Wans Speisen mithalten.
Martha und ich packte hier beim Ordern im Anstehen die Gier - elf Gerichte, Pu-Erh-Tee, 22,14 Euro. Da geht's dann ziemlich ruckzuck und das Tischchen ist ziemlich voll.
Definitiv einer der Höhepunkte: glutinous rice dumpling. In Blatt und Klebreis findet man oft "einen Mulch aus unbekannten Fleischstücken, und das soll auch so sein" - so beschrieb Jonathan Margolis das Übliche - und schwärmt bei Tim Ho Wan von ...
... mit Tee-getränkter Wurst, fetttem Schweinebauch, frischem Shrimp, getrockneter Muschel, erdigem Pilz. Und weil ich all das nicht so genau identifiziert habe, aber mindestens...
... so begeistert war vom dampfenden Dochauchirgendwiemulch im Inneren, zitier ich einfach den FT-Profi.
Die Kamera versagte wieder einmal kläglich, der Bediener sowieso, aber der war immerhin durch diese dicken Hühnerfüße schwer abgelenkt. Mit Fingern begeistert essen und zwischen dem eher unschönen Nagen auch noch fotografieren - das geht nicht so gut zusammen. Red ich mich jetzt halt aus. Die Chinesin nebenan freute sich jedenfalls einen Hühnerhaxen aus, dass auch zugereiste Langnasen lokale Spezialitäten ohne großes Gewese schätzen. Hier übrigens "Mun"-Hühnerfüße in Austernsauce.
Wenn das nicht die deep fried spring roll mit beef und lemon grass war. Jedenfalls waren sie ziemlich gut. Das weiß ich noch. Ganz sicher.
Mit Bestimmtheit kann ich nicht mehr sagen, ob das die - großartigen - gedämpften Reisrollen mit Schweinsleber waren. Die hatten wir jedenfalls wie die auch gar nicht üblen Rollen mit Shrimps mit Schnittlauch.
Das ist die definitiv nettere Tim-Ho-Wan- Perspektive - von drinnen nach draußen. Man glaubt ja nicht, wie bös man angesehen wird, wenn man ein knappes Dutzend Gerichte ordert.
Zum Dessert wird's hier gern suppig: Double-boiled papaya soup with ...
... snow fungus. Was wir elegant als Schneepilz übersetzen. Und namentlich fast ein bisserl lustiger finden als geschmacklich. Optisch sowieso.
Erdig, aber anders: süße Bohnen-Cream mit Taro. Dicke Sache. Nicht so meins.
Auch hier stellt man sich an, nur Herr Margolis war offenbar nicht da: Din Tai Fung im Silvercord-Einkaufszentrum in Tsim Sha Tsui. Nicht nur wegen seiner Dim Sum ein Michelinstern. Aber auch. Martha und ich entschieden uns diesmal für nummerisch geradezu zurückhaltende acht Gerichte, soll ja auch eine chinesische Glückszahl sein. Für immer noch schlanke 55,40 Euro.
Ich würde der praktisch globalen Kette ja schon für ihre Kutteln einen Stern geben - und einen Sonderpreis für den gediegenen Rüschenfall. Schön und gut, kann ich Ihnen sagen. Sehr, sehr gut. Vom Ochsen und eingelegt. Macht Fidler sehr gut aufgelegt.
Nicht so wahnsinnig aufregend: Die Shanghai-Variante des Schweinsschnitzels.
Sehr schöne und ziemlich gute Dim Sum hatten wir mit Flügelgurke (Luffa) sowie gedämpfte Pilz-Dumplings. Ja, vegetarisch.
Auch eine Freude: Shrimp and pork wonton mit special sauce. Sagte die Karte.
Gefiel mir optisch weit besser als geschmacklich: Die Nudeln mit würziger Sesam- und Erdnusssauce "Taiwan-Style". War mir ein Stück zu erdig.
Jetzt aber der zweite Höhepunkt: seidig-cremiger Tofu mit herrlich intensivem Rogen...
... der Shanghaier Hairy Fisted Crab. Herrlich haarig, quasi. Yeah.
Ja, Martha wollte auch ein bisschen Gemüse bestellen - definitiv kein Fehler, fand ich. Chinese Kale, den mir Leo als chinesischen Brokkoli übersetzt. Klingt schlüssig.
An diesem Punkt gab Martha endgültig auf: Nicht schon wieder essen. Und Klemens sah längst "die kritische Phase erreicht" - er träumte vom Essen, gestand er mir nach ein paar Tagen Fidler in HK beim Frühstück. Muss ich halt alleine weiter machen. Was heißt muss: Ich hätte wirklich was verpasst, wäre ich nicht zu Hung's Delicacies in der sonst eher nicht so schönen Warf Road in North Point gefahren. Man geht übrigens leicht ein paar Meter weiter als Shop 4 auf Nummer 84 bis 94, wenn man mittags früh dran ist und noch keine Schlange vor dem Lokal steht. Da landet man dann gleich in einem etwas einfacheren, aber gewiss sehr authentischen Lokal, aber halt eher ohne Michelin-Stern wie Hung seit 2010 jedes Jahr. Aber jetzt wissen Sie ja, wie's vorne aussieht.
Drinnen sind rasch alle Tische besetzt. Und meiner füllt sich ziemlich rasch mit vier üppigen Gerichten - für 22,10 Euro. Mit einem bis zwei wäre ich gut satt gewesen.
Marinierte Ente in Lo Shui-Sauce gegenüber sieht wahnsinnig gut aus - aber ich kann nicht immer Brust essen, finde ich. Und Entenzungen hab ich einfach wirklich mühsam in Erinnerung vor Knöchelchen, und so stell ich mir auch die Entenkinne nach Art des Hauses vor. Ich wähle, auch auf Margolis Geheiß, das geschmorte Gemüse in roter Tofu-Sauce - und bin wirklich erstaunt, wie wunderbar das schmecken kann - Morcheln, Snow Fungus, Tsientsin-Kohl, getrocknete Lilienblüten, Tofu, reizend herzförmige Karotten, für ein vegetarisches Gericht unerwartet intensiv und - wow.
Noch so ein Margolis-Tipp, und definitiv kein Fehler: Nudeln mit der hauseigenen (und auch im Tiegerl verkauften) Ah Hung Lou Seoi Sauce vom Chef. Wohl weil soviele Touris schon gefragt haben, was da denn drin ist, druckte Herr Hung auch gleich die wichtigsten Zutaten auf seine papierenen Platzunterleger: Süßholzwurzel, Sternanis, getrocknete Mandarinenschale, Zimt, Lorbeerblatt, Szechuan-Pfeffer, Kardamom, Galgant, Gewürznelke, Zitronengras, Kreuzkümmel und Gewürzlilie (wenn ich Sand Ginger nun richtig übergoogelt hab).
Sieht nicht gerade spannend aus, klingt auch alles andere als - ist es aber: falsche Gans nennt Herr Hung diese Tofublätter in Lo Shui-Sauce. Doch nicht ganz vegetarisch, wenn wir Margolis gerne glauben, dass die Sauce auch hier mit Soja, Reiswein, Ingwer, Sternanis, Frühlingszwiebel und halt doch auch Fleischfonds gemacht wird.
Aber mich stört Fleischfonds ja nicht so wirklich.
So sieht die falsche Ente übrigens am Stäbchen aus.
Und damit's hier, Fleischfonds hin oder her, nicht zu vegetarisch wird: Die Schweinsohren mit shredded jellyfish waren aus - aber die alternativ gewählten Nierenscheiben eh fast so crunchy. Eigentlich das langweiligste Gericht in meiner Auswahl bei Hung. Aber deshalb noch lang nicht schlecht. (Harald Fidler, derStandard.at, 30.7.2013)