"Wer sich schwarz anzieht, der hat Angst", sagt Kean Etro. Zusammen mit seiner Schwester Veronica ist er für die Modekollektionen von Etro zuständig.

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 Hier einige aktuelle Modelle.

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Mit Tuch und Samt: Mode von Etro.

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Vier Geschwister, vier Chefs: Das italienische Modeunternehmen Etro in der Mailänder Via Senato ist keine ganz gewöhnliche Modemarke. Während andere ängstlich auf die Einhaltung des guten Stils achten, schwelgt man bei Etro in Farben und Formen. Das war schon unter Gimmo Etro so, der das Unternehmen 1968 als Stoffweberei gründete.

Mittlerweile liegt das Unternehmen in den Händen seiner vier Kinder, von Ippolito (Finanzen), Jacopo (Stoffe & Lederwaren), Kean (Herrenkollektion) und Veronica (Frauenkollektion). Aus einem kleinen Stoffhersteller wurde eine große Modemarke. Aus Anlass der Eröffnung der europaweit größten Etro-Boutique im Goldenen Quartier in Wien traf DER STANDARD die beiden Kreativgeister in Mailand.

STANDARD: Mögen Sie Kitsch?

Veronica Etro: Oh ja! Wir haben beide richtig kitschige Häuser.

Kean Etro: Kitsch ist ein Spiel, ein Experiment, ein Vergnügen.

STANDARD: Ist Kitsch mit gutem Geschmack vereinbar?

Kean: Aber sicher. Wenn man sich mit Kitsch beschäftigt, bewegt man sich immer an einer Grenze. Das ist ein Risiko. Aber noch wichtiger ist die Freiheit sich auszudrücken, sich keine Schranken aufzulegen.

STANDARD: Italiener scheinen im Spiel mit Farben und Mustern geschmackssicherer als andere zu sein.

Veronica: Auch andere beherrschen das Spiel. Christian Lacroix zum Beispiel. Er ist Franzose. Oder der Japaner Kenzo. Paul Smith. Aber schon klar: Wenn man mit Mustern experimentiert, ist der Kitsch nicht weit. Es zeigt aber, dass man die Mode nicht allzu ernst nimmt.

STANDARD: Um mit der Mode zu spielen, sollte man aber zuerst ihre Regeln beherrschen, oder?

Kean: Ja! Wir sitzen hier im Archiv von Etro. Hier finden Sie eine beinahe wissenschaftliche Bibliografie von Mustern, von Bräuchen und Gebräuchen. Eine ethnografische, anthropologische Stätte, aus der unsere Inspirationen stammen. Dieses Archiv würde jede Universität schmücken.

STANDARD: Fühlen Sie sich eher als Wissenschafter oder als Designer?

Kean: Wir arbeiten wie Mathematiker, was den Entwurf und das Zusammenspiel von Mustern anbelangt. Schönheit ist pure Mathematik.

STANDARD: In der Damenmode ist man das Spiel mit Farben und Mustern gewohnt. Bei Ihnen ist die Männermode aber oft noch viel flamboyanter als jene der Damen.

Veronica: Die Männergarderobe ist ganz klar strukturiert. Da macht es großen Spaß mit Details zu spielen, mit Farben und Mustern. Bei den Frauen ist eine größere Seriosität gefragt. Sie sollen nicht vulgär aussehen, die Grenze zu dem, was Sie als Kitsch bezeichnen, wird enger gezogen.

STANDARD: Normalerweise hört man genau das Gegenteil.

Kean: Es geht darum, dass der Mann seine weibliche Seite entdeckt, auf eine spielerische Art und Weise - und Frauen ihre männliche. Es geht darum, ein Gleichgewicht herzustellen.

Veronica: Ich bin inmitten von Männern aufgewachsen. Wenn man drei ältere Brüder hat, prägt das. Vielleicht hat es genau damit zu tun, dass die Frauenkollektionen bei Etro etwas klarere Linien haben. Wenn man ein romantisches Frauenbild entwirft, muss man nicht gleich mit Rüschen spielen.

STANDARD: Am Anfang des Unternehmens Etro steht das Paisley-Muster. Stimmt die Geschichte, dass es Ihr Vater vom Morgenrock seiner Großmutter kopiert hat?

Veronica: Ja, er befindet sich bis heute in unserem Archiv. Manche Bilder aus der eigenen Kindheit verfolgen einen ein Leben lang. Das Paisley-Muster ist sehr elegant, es ist exotisch. Ein Muster für Dandys und Künstler. Das Plattenlabel von Prince hieß übrigens Paisley Park.

Kean: Als Etro das Muster aufgriff, war das eine Revolution, vor allem in der Männerwelt. Wir setzten es für Krawatten ein. Damals gab es nur einfarbige Krawatten, und plötzlich kam da jemand mit diesen verschlungenen Mustern daher. Ich erinnere mich noch genau, wie unser Vater Paisley-Krawatten aus Kaschmir entwarf. Das war 1984/85. Man sagte uns voraus, dass sie zu Ladenhütern würden.

Das Gegenteil war der Fall. Weil es eine lange Tradition in der Aristokratie und in Künstlerkreisen mit diesem Muster gab. Ich bin sicher, das ist auch in Österreich der Fall. Gerade in Mitteleuropa waren Wunderkammern sehr beliebt. Das Paisley-Muster entspricht genau diesem Konzept.

STANDARD: Wer gefällt Ihnen besser: Klimt oder Hundertwasser?

Kean: Mir Hundertwasser. Ich bin ein Fan von Art brut. Das ist radikale, pure Kunst!

Veronica: Ich bevorzuge Klimt. Seine Werke sind für mich zwischen Eleganz und Kitsch angesiedelt.

Kean: Aber weder Klimt noch Hundertwasser sind Kitsch.

STANDARD: In Bezug auf Hundertwasser sehen das manche anders.

Kean: Ich weiß. Aber für mich ist das sehr organische Kunst. Er hat zum Beispiel seine Häuser von innen heraus gedacht.

STANDARD: Etro wurde 1968 gegründet. War Ihr Vater ein Achtundsechziger?

Veronica: Unser Unternehmen war immer etwas anders als der Rest der Mode. Selbst in den 1990er-Jahren, als der Minimalismus in voller Blüte stand, haben wir an unserem Stil, an Blumen, Mustern, an Paisley festgehalten.

Kean: Unser Vater ist in seinem Inneren ein Jesuit - genauso wie der jetzige Papst. Als Person hat ihn das gehemmt. Aber in der Arbeit hat er die Veränderung des traditionellen Männerbildes vorangetrieben: Er hat in der Garderobe das Männliche mit dem Weiblichen versöhnt.

STANDARD: Etro umweht der Hauch der Hippies. Waren Sie selbst einmal Revoluzzer?

Veronica: Ich bin hier in Mailand auf die deutsche Schule gegangen und mit deutscher Disziplin aufgewachsen. Als Person bin ich sicher kein Hippie, in der Arbeit tobe ich mich manchmal aber ganz gern aus.

Kean: Wir haben davor über die Schönheit eines mathematischen Systems gesprochen. In unserer Arbeit waltet eine große Strenge, wir müssen sehr diszipliniert sein, tragen große Verantwortung. Umso wichtiger ist es, mit dem Kopf auf Reisen zu gehen.

STANDARD: Sie leiten Ihr Unternehmen zusammen mit Ihren beiden Brüdern. Wie war der Übergang von Vater zu seinen Kindern?

Veronica: Am Anfang war es nicht leicht. Er hat von uns mehr gefordert als von anderen, eben weil wir seine Kinder sind. Ich treffe ihn auch heute noch fast täglich, unter uns Kindern bin ich sicher diejenige, die mit ihm am engsten arbeitet. Prinzipiell gefallen uns aber ganz unterschiedliche Dinge, wenn er nach links zieht, ziehe ich nach rechts.

STANDARD: Das hört sich schwierig an. Etro ist ein reines Familienunternehmen. International gibt es in der Mode davon nicht mehr viele. Warum halten sich gerade in Italien so viele?

Veronica: Weil Familien in Italien wichtiger sind als anderswo.

Kean: Mir machen Familienunternehmen Angst. Unser Unternehmen ist eigentlich gar kein Familienunternehmen. Weil wir über die Familie hinausblicken. Es hat vielleicht damit zu tun, wie wir erzogen worden sind, aber man muss die Arbeit auch von seiner Person lösen können. Wir sind alle vier sehr unterschiedlich, zum Glück aber auch alle nicht wirklich machtbewusst.

STANDARD: Das hört sich sehr harmonisch an. Wie ist das möglich bei vier Chefs?

Kean: Analysen zeigen, dass Unternehmen, die sich von Familienunternehmen zu multinationalen Konzernen gewandelt haben, wirtschaftlich nicht besser dastehen. Es fehlt ihnen etwas, wofür es ein schönes deutsches Wort gibt: Sturm und Drang. Das Blut! Die große Idee! Davon haben wir jede Menge.

STANDARD: Inwieweit setzen Ihnen die großen Konglomerate in der Mode zu?

Kean: Wir bemerken, dass Produkte zunehmend standardisiert werden. Wir produzieren zu 99 Prozent in Italien, das macht kein Konglomerat. Dafür ist der Preisdruck viel zu groß. Das bedeutet aber, dass die Qualität der Produkte sinkt.

STANDARD: Wie hat sich der italienische Markt für Sie entwickelt?

Veronica: Wir leben in erster Linie von außeritalienischen Märkten, das ist ein großer Vorteil. Wer aber hier seinen Hauptmarkt hat, der hat ein Problem. Die Psychologie der Italiener ist das Problem.

Kean: Sie haben Angst, sie sind angefressen. Es gibt eine totale Unsicherheit. Im Moment sind alle gegen alle. Es war schon immer schwierig, Italien als Nation zu definieren, derzeit ist das Land aber ein einziges Puzzle.

STANDARD: Wie geht man als Designer mit so einem Zustand um. Die Designs von Etro sind ja meist sehr optimistisch.

Kean: Man muss von sich selbst überzeugt sein. Wer sich schwarz anzieht, der hat Angst. Und jetzt geht es darum, eben keine Angst zu haben. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 21.6.2013)