Ottto Kernberg untersucht das untrennbare Zusammenspiel von Liebe und Aggression.

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Die Liebe ist ein seltsames Spiel, heißt es in dem Uraltgassenhauer von Connie Francis. Ganz und gar nicht, meint hingegen der Psychoanalytiker Otto F. Kernberg. Liebesbeziehungen zwischen Individuen seien ein komplexes Zusammenspiel dreier Ebenen, erläuterte der auf Persönlichkeitsstörungen spezialisierte US-amerikanische Psychoanalytiker Montagabend bei einem Vortrag im Rahmen der von der Uni Salzburg veranstalteten populärwissenschaftlichen Reihe "Salzburger Vorlesungen".

Für Kernberg hat die Liebe drei Komponenten: Sexualität, die Objektbeziehung der Partner und Wertesysteme wie Ideologien, Religionen, Einstellungen, welche die Beziehung beeinflussen. Liege bei einem der drei Faktoren eine Störung der Balance von Liebe und Aggression vor, reichten die Konsequenzen von Beziehungskonflikten bis hin zu pathologischen Erscheinungen.

Als Beispiel für pathologische Störungen führt Kernberg masochistische Muster an wie beispielsweise von Menschen, "die von einer unglücklichen Liebesbeziehung in die nächste kommen", oder von Menschen, "die auf Dauer in unglücklichen Beziehungen" leben würden.

Vielfach liege hier eine Störung in der ödipalen Phase des Lebens vor, sagt der Psychoanalytiker. Der Wunsch nach Sex mit dem Elternteil des anderen Geschlechtes und die Rivalität mit dem Elternteil des gleichen Geschlechtes seien mit Schuldgefühlen und Aggression verbunden. Geraten Schuldgefühle und Aggression aus der Balance, führe das beispielsweise häufig zu "so großen unbewussten Schuldgefühlen", dass jede Liebesbeziehung zerstört werde.

Soziale Faktoren würden solche Pathologien mit beeinflussen, sagt der 82-jährige Analytiker. In patriarchalen Gesellschaften, in denen Männer alle Frauen haben dürften und Frauen keusch zu sein hätten, würden narzisstische Pathologien bei Männern zu Promiskuität führen. In Gesellschaften mit ökonomisch unabhängigen Frauen würde Promiskuität immer häufiger auch bei Frauen auftreten. Ähnlich unterschiedlich nehmen sich auch masochistische Pathologien aus. Bei Frauen führe dies zu unglücklichen Liebesbeziehungen, Männer hingegen wären in der Arbeit noch mehr "versklavt" als Frauen.

In Paartherapien müsse der Therapeut herausfinden, auf welcher der drei Ebenen - Sex, Beziehung, Werte - die Balance zwischen Liebe und Aggression aus dem Lot geraten sei. Vielfach würden nämlich unbewusst die ungelösten Konflikte in die Beziehung einfach mitgebracht, um sie hier zu lösen. (Thomas Neuhold/DER STANDARD, 19. 6. 2013)