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US-Präsident Obama am Montag bei einer Rede in Belfast. Inspirierenden Tönen folgt oft harte Realpolitik.

Foto: Reuters / Paul Faith

Als Barack Obama dieser Tage für eine Einwanderungsreform warb, ließ er Tolu Olubunmi reden, sehr feierlich im Kronleuchterglanz des East Room. Die 32-Jährige, mit 14 aus Nigeria nach Amerika gekommen, erschien an der Seite ihres Vaters, der sein Visum überzog und illegal blieb. Lange lebte sie in einem Schwebezustand: Studieren durfte sie, an der High School war sie Klassenbeste, doch ohne gültige Papiere wurde sie trotz Chemiediploms nirgends eingestellt. Obwohl sie die Abschiebung fürchten musste, hängte sie ihren Fall an die große Glocke, weshalb sie für den Präsidenten ein Muster an Zivilcourage ist.

"Es gehört Mut dazu, sich aus dem Schatten zu wagen", lobte Obama, sprach von motivierten Migranten und erinnerte an die Europäer, die einst New York erreichten. "Der Gedanke, dass alle mit tadellosen Papieren in Ellis Island ankamen, dass sie jedes Kästchen auf den Bögen richtig angekreuzt hatten ... ich bitte Sie", sagte er, während ein wissendes Lachen den East Room füllte. "Sie wollten einfach ein besseres Leben, sich ein besseres Leben verdienen, nicht anders als heute."

Image als Vaterfigur bröckelt

Es sind Momente, in denen sich das tolerante Amerika eins weiß mit seinem Staatschef. Da ist er cool wie früher Steve Jobs und auf schlichte Weise menschlich wie die vielen Millionen, die sofort spenden, wenn Nachbarn in Not sind. Obama, der Zeitgeistversteher. Als solcher hat er, eine Weile mit sich ringend, Ehen von Homo-Paaren gutgeheißen und dafür sogar den Bruch mit alten Pfarrersfreunden in Chicago riskiert. Als die Flintenlobby nach dem Blutbad von Newtown strengere Waffenkontrollen blockierte und er im Rosengarten seufzte, so laut man nur seufzen kann, spürte jeder, dass es keine einstudierte Politikerpose war, sondern echte Erschütterung. Oder das Bild mit Jacob Philadelphia, das schönste Motiv Pete Souzas, des Fotochronisten der Machtzentrale. Auf dem neigt sich Obama tief zu dem schwarzen Buben hinunter, sodass der ihm übers krause Haar streichen kann und merkt, dass es sich genauso anfühlt wie seines. Obama, die Vaterfigur. Nur wird das alles immer öfter überschattet. Ernüchtert sprechen frühere Anhänger von "Big Barry" oder gar von "George W. Obama".

Ersterer, abgeleitet von George Orwells Big Brother, klingt irritierend salopp, wenn er zur geheimdienstlichen Überwachung des Internets sagt: " Sie können nicht hundert Prozent Sicherheit haben und zugleich hundert Prozent Privatsphäre." Fast die Hälfte der Amerikaner sieht es zwar laut einer Umfrage ähnlich, doch unter den Jungen, einst Obamas euphorischste Fans, ist das Verständnis weniger ausgeprägt. Und in der Demokratischen Partei gehen ihm die eigenen Truppen von der Fahne, jene linksliberalen Bürgerrechtler, ohne deren Einsatz der Senator Obama nie den Sprung ins Oval Office geschafft hätte. Die Entfremdung erinnert an Tony Blair, der es sich wegen des Irakkriegs mit großen Teilen seiner Labour Party verscherzte.

"George W. Obama" hat ferngesteuerte Drohnen als Wunderwaffe im Kampf gegen den Terror entdeckt und trotz verbaler Korrekturen, in einer Rede im Mai, an dem Konzept festgehalten. Das Gefangenenlager in Guantánamo hat er weder geschlossen noch im Ringen mit dem Kongress energisch für die Schließung gekämpft. Überhaupt, die Ankündigungspolitik: Zum zweiten Mal im Amt vereidigt, stellte Obama Klimagesetze in Aussicht, mit den Worten, dass, wer nicht auf die Klimakrise reagiere, künftige Generationen betrüge.

Zu zaghaft als Reformer

Ein ernsthafter Versuch steht aus. Als Vinod Khosla, ein Wagniskapitalist aus dem Silicon Valley, an die Absicht erinnerte, verwies der Obama auf Umfragen, wonach Fernsehzuschauer in dem Moment, in dem es ums Klima ging, mehrheitlich das Interesse an seiner Rede verloren.

Da war er wieder, der verzagte Reformer. Kritisiert man ihn für die Kluft zwischen großen Tönen und kleinen Taten, reagiert Obama nicht selten gereizt. Bisweilen, beobachtet der Biograf Jonathan Alter, fühlt er sich missverstanden wie ein verkanntes Genie, nach dem Motto: Ich habe Detroit gerettet, die Aktienkurse sind wieder oben, wir haben die Depression vermieden - muss ich das wirklich noch einmal erklären?

Die Härte der konservativen Opposition, die wenig Spielraum lässt für ehrgeizige Reformwürfe, hat ihn selber hart werden lassen, eher selbstgerecht als geduldig werbend. Bis zum Einzug ins Weiße Haus, schreibt Alter, konnte sich Obama stets auf sein Talent verlassen, Leute, die anderer Meinung waren, durch pure Überzeugungskraft auf seine Seite zu ziehen. Später funktionierte es nicht mehr, da rannte der begnadete Kommunikator zu oft gegen Wände, und allein das habe ihn gründlich verändert. (Frank Herrmann, DER STANDARD, 18.6.2013)