Physikerin Ulrike Diebold wird mit dem Wittgenstein-Preis 2013 ausgezeichnet.

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Ulrike Diebold in ihrem Labor an der TU Wien: Metalloxide untersucht sie mittels Rastertunnelmikroskopie, sie gilt hier als Vorreiterin.

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Wien - Der Wittgenstein-Preis 2013 geht an die Oberflächenphysikerin Ulrike Diebold vom Institut für Angewandte Physik der Technischen Universität Wien. Das gaben Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle und der Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, Christoph Kratky, am Montag in Wien bekannt. Gleichzeitig bekamen neun NachwuchsforscherInnen Start-Preise, die mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert sind.

Der mit 1,5 Million Euro dotierte Wittgenstein-Preis, der auch als "Austro-Nobelpreis" gilt, soll SpitzenforscherInnen aller Fachdisziplinen für fünf Jahre ein Höchstmaß an Freiheit und Flexibilität bei ihrer Forschungsarbeit garantieren. Ausgewählt werden die PreisträgerInnen von einer aus renommierten ausländischen WissenschaftlerInnen zusammengesetzten Jury.

Würdigung und Reaktion

Töchterle bezeichnete Diebold als ideale Preisträgerin, die auf ihrem Gebiet zu den Besten der Welt gehöre und auch zeige, dass "hervorragende Forschung nach Österreich zurückkehrt". Die Auszeichnungen seien "glänzend dotiert und sehr renommiert" und in "sehr scharfem Wettbewerb vergeben worden", so Töchterle unter Hinweis auf 96 Einreichungen für den Start-Preis.

Ulrike Diebold zeigte sich bei der Bekanntgabe "sehr erfreut" über den Wittgenstein-Preis, sie habe schon "ganz vergessen gehabt, dass ich nominiert war". Die Auszeichnung bedeute "ganz tolles Forschungsgeld", vor allem auch, weil der das Programm abwickelnde Wissenschaftsfonds FWF "sehr liberal ist, wie das Geld ausgegeben wird, solange es für die Forschung verwendet wird".

Die Physikerin will das Geld dafür verwenden, ihrer Arbeitsgruppe "bestmögliche Arbeitsbedingungen" zu bieten und ihr Labor auf modernsten Stand zu bringen. Zudem hat Diebold bereits mit ihrem im Vorjahr zuerkannten "Advanced Grant" einen neuen Forschungsbereich gestartet, den sie nun mit dem Wittgenstein-Preis weiter vorantreiben möchte. Konkret will sie Oberflächen in Flüssigkeiten untersuchen.

Start-Preise an neun ForscherInnen

Die Start-Preise sind die höchstdotierte Förderung für JungforscherInnen in Österreich. Sie sollen damit die Chance erhalten, in den kommenden sechs Jahren finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungsarbeiten zu planen und eine eigene Arbeitsgruppe auf- bzw. auszubauen. In das Start-Programm wurden nun aufgenommen: Stefan Ameres, Notburga Gierlinger, Clemens Heitzinger, Georgios Katsaros, David Keays, Ovidiu Paun, Thomas Pock, Paolo Sartori und Stefan Woltran.

An der Wahl zeigen sich einmal mehr die Schwerpunkte in der österreichischen Wissenschafts- und Forschungslandschaft: Von neun Start-PreisträgerInnen ist nur einer den Geisteswissenschaften zuzurechnen, alle anderen den Naturwissenschaften. Sieben von neun Startern kommen aus Wien, jeweils einer aus Linz und einer aus Graz.

Kratky meinte, dass die Jury beim Start-Preis in einer passiven Rolle sei. Man könne nur eingereichte Projekte bewilligen oder ablehnen, nicht aktiv auf WissenschafterInnen zugehen. Insgesamt hätten sich zwei aus den Geisteswissenschaften um einen Start-Preis beworben. "Und einer hat es eben geschafft."

Untersuchung von Oberflächen von Festkörpern

Die Wittgenstein-Preisträgerin Ulrike Diebold, Professorin an der TU Wien, widmet sich in ihrer Forschung insbesondere der Untersuchung von Oberflächen von Festkörpern - "den obersten paar Atomlagen von Festkörpern", primär von Metalloxiden. Für die Industrie spielen Metalloxide eine wichtige Rolle: "Sie werden oft als Katalysatoren eingesetzt, aber sie können auch für ganz andere Zwecke dienen, etwa als weiße Pigmentfarbe", so die Forscherin. Bei der Verwendung von Metalloxiden war man allerdings lange auf Versuch und Irrtum angewiesen, denn ein tiefes Verständnis dieser Materialien auf atomarer Skala fehlte.

Mit Hilfe von Rastertunnelmikroskopen gelang es der Wissenschafterin, wichtige neue Erkenntnisse über die atomaren Vorgänge an der Oberfläche der Metalloxide zu gewinnen. Besonders bekannt wurde sie durch ihre Arbeit mit Titanoxid, einem Photokatalysator: Seine katalytische Wirkung kann durch Lichtbestrahlung geregelt werden. Diebold zählt zu den international führenden Expertinnen für Oberflächen von Metalloxiden. 

Erst vor wenigen Tagen erschien in "Nature Materials" eine Arbeit Diebolds, in der sie beschreibt, wie der funktionseinschränkende Verklumpungseffekt in Palladium-Katalysatoren, wie sie etwa in Autos eingesetzt werden, zustande kommt.

ERC-Grant

Diebold, geboren am 12. Dezember 1961 in Kapfenberg, studierte Technische Physik an der TU Wien. Sie begann bereits 1993 an der Tulane University in New Orleans an Metalloxiden zu forschen. In den USA erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. 2010 kehrte sie nach Wien zurück, um die TU-Professur anzutreten.

Für ihre Grundlagenforschung wurde Diebold im vergangenen Jahr mit dem mit 2,5 Millionen Euro dotierten Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) ausgezeichnet. Im April 2013 erhielt sie den Arthur W. Adamson Award der American Chemical Society, eine Auszeichnung für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Oberflächenchemie.

Diebold ist nach Ruth Wodak (1996), Marjori Matzke (1997) und Renée Schroeder (2003) die vierte Frau, die den Wittgenstein-Preis erhalten hat.

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Die neun Start-PreisträgerInnen

Stefan L. Ameres wurde am 10. Jänner 1978 in München geboren. Der Molekularbiologe setzt sich am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in dem Projekt "Molekulare Charakterisierung des Lebenszyklus von mikroRNAs" mit den Funktionen kleiner RNAs in der Regulation zellulärer Prozesse auseinander.

Notburga Gierlinger, geboren am 19. November 1970 in Haslach an der Mühl (Oberösterreich), wird mit dem Start-Preis von ihrer derzeitigen Position am Institut für Baustoffe der ETH Zürich zum Department für Materialwissenschaften und Prozesstechnik der Universität für Bodenkultur (Boku) nach Wien wechseln. Dort will sie unter dem Projekttitel "Oberflächen und Grenzflächen in Pflanzen: Lignin, Suberin und Cutin" die chemische Zusammensetzung von Pflanzenoberflächen auf Mikroebene untersuchen.

Clemens Heitzinger, geboren am 9. Dezember 1974 in Linz, ist Mathematiker am Austrian Institute of Technology (AIT). Unter dem Titel "Partielle Differenzialgleichungen für die Nanotechnologie" verfolgt er das Ziel, mathematische Modelle und Simulationswerkzeuge für neue Anwendungen im Millionstel-Millimeter-Bereich zu entwickeln.

Georgios Katsaros wurde am 6. September 1976 in Athen geboren. Am Institut für Halbleiter- und Festkörperphysik der Universität Linz wird er in dem Projekt "Loch Spin-Qubits und Majorana-Fermionen in Germanium" das Potenzial von Germanium-Nanodrähten für die Realisierung von Informationsträgern in Quantencomputern erforschen.

David A. Keays, geboren am 15. März 1976 in Johannesburg (Südafrika), ist Gruppenleiter am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien. Er wird im Rahmen des Projekts "Zelluläre Grundlagen von Magnetorezeption" der Frage nachgehen, wie Tiere magnetische Felder wahrnehmen und sich daran orientieren können. Der Forscher hat erst kürzlich eisenhaltige Kügelchen in bestimmten Nervenzellen im Innenohr von Vögeln entdeckt und damit möglicherweise ein entscheidendes Puzzleteil für die Enträtselung der Orientierungsfähigkeit von Vögeln gefunden.

Ovidiu Paun wurde am 30. Dezember 1976 in Constanta (Rumänien) geboren. Unter dem Projekttitel "Evolution durch wiederholende Allopolyploidisierung" erforscht er die molekularen Mechanismen, die es einer bedrohten Orchideengattung erlauben, sich an verschiedene Lebensräume anzupassen. Paun arbeitet am Department für Botanische Systematik und Evolutionsforschung der Universität Wien.

Thomas Pock wurde am 23. Mai 1978 in Graz geboren. Er arbeitet derzeit am Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen der Technischen Universität (TU) Graz, und wird sich in seinem Start-Projekt mit "Bilevel Lernen in der Computer Vision" auseinandersetzen. Dabei geht er Problemen nach, die entstehen, wenn die dreidimensionale Welt in zwei Dimensionen abgebildet und davon ausgehend auf dreidimensionale Eigenschaften rückgeschlossen wird.

Paolo Sartori, geboren am 3. April 1975 in Montecchio Maggiore (Italien), wird sich am Institut für Iranistik der ÖAW in seinem "Der Blick des Archivs. Dokumentieren und Regieren im islamischen Mittelasien" betitelten Projekt einer der größten Sammlungen von Dokumenten in arabischer Schrift im islamisch geprägten Zentralasien widmen.

Stefan Woltran, geboren am 8. Jänner 1975 in Mödling (Niederösterreich), arbeitet am Institut für Informationssysteme der TU Wien. In dem Projekt "Dekomposition und Dynamische Programmierung für komplexe Berechnungsprobleme" wird er an Ansätzen arbeiten, die komplexe Abfragen auf große Datenmengen in relativ kurzen Zeiträumen erlauben sollen. (red/APA, derStandard.at, 17.6.2013)