Martin Blum, Wiens "Radverkehrsbeauftragter", sagte in einem Falter- Interview: "Radeln ist heute ein Element, sich zu zeigen und sich auszudrücken." Genau, Radeln ist auch ein Statussymbol (wie manche Autos), nicht nur eine Notwendigkeit, aber auch ein Ausdruck einer Lebenshaltung. Immer mehr Menschen, vor allem in den Städten, wollen so leben, und das ist gut so.

Man soll sich nur darüber im Klaren sein, dass hier ein beinharter Verdrängungswettbewerb zwischen Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern im Gange ist - und dass man den möglichst moderieren muss. Radfahren hat besonders in Wien stark zugenommen. Das hat relativ wenig mit der forcierten Politik der Grünen zu tun, sondern mit ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen.

Kurzfassung: Autos haben und fahren ist für viele, besonders Junge, prohibitiv teuer geworden. Außerdem ist es kein Spaß mehr, zumindest in der autogesättigten Stadt. Natürlich werden Autos nicht massenhaft aufgegeben. Bestimmte Bevölkerungsschichten brauchen das Auto und sehen es auch immer noch als Statussymbol. Aber gerade die Mittelschicht steigt soeben zunehmend auf die Öffentlichen oder aufs Rad um. Lässt man die Öffentlichen einmal weg, dann kämpfen Autofahrer, Radfahrer, aber auch Fußgänger um den gleichen, kaum vermehrbaren Platz. Einer wird Raum aufgeben müssen.

Ein Experte, der bei der Wiener Velo-City-Woche sprach, erklärte, dass das bisher die Fußgänger seien. Denn da die Autos bisher kaum Platz hergeben haben müssen, weichen die Radler auf die Gehsteige und die Fußgängerzonen aus.

Die kaum mehr verborgene Agenda der Wiener Grünen besteht darin, Autofahrer zu verdrängen - z. B. auf stark befahrenen Straßen wie dem Ring den Zwang zur Radwegbenutzung aufzuheben (= die Radler auf der Straße fahren zu lassen) bzw. das Fahren gegen die Einbahn massiv zu begünstigen.

Als leidlich häufiger Radfahrer in Wien kann ich dazu nur feststellen, dass damit die Zahl der lebensgefährlichen Situationen für Radler massiv erhöht würde. Man könnte meinen, die Grünen wollten bewusst "Märtyrer des Rad-Befreiungskampfes" schaffen.

Die Methode ist fragwürdig. Andererseits führt wohl kein Weg daran vorbei, dass der Autoverkehr nicht unbeträchtlich mehr Platz für Radler machen muss.

Eine Erhöhung des Rad- und eine Senkung des Autoverkehrs ist sinnvoll und verbessert die Lebensqualität - sogar vieler Autofahrer. Dazu bedürfte es aber eines durchdachten Konzepts und einer relativ großzügigen Umsetzung. Am Ende wird das wohl bedeuten, so wie in Kopenhagen (das allerdings flach ist und im Winter kaum Schnee hat) ganze, lange Straßen(durch)züge nur für Radler zu reservieren. Die Mehrzahl der Verkehrsteilnehmer, die das Auto aufgeben, wird wohl aus praktischen Gründen auf die Öffis umsteigen. Aber die Radler benötigen zusätzlich zu den unbefriedigenden Radwegen noch einige leistungsfähige, auch zur Stadtdurchquerung geeignete Strecken - für sich allein. Dann könnten auch die Fußgänger glücklicher werden. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 15./16.6.2013)