Niemand muss heutzutage noch wissen, was ein Konsekutivsatz ist, verkündete der Philosoph Richard David Precht neulich im Radio (Frühstück bei mir) eine Botschaft, die voll im Trend aktueller bildungspolitischer Tendenzen liegt. Tatsächlich sind die allgemeinbildenden höheren Schulen auf bestem Wege, die Inhalte der klassischen Bildung - für die der "Konsekutivsatz" steht - derart zu reduzieren, dass sich allmählich die Frage stellt, warum man seinen Kindern nach wie vor lange und teure Schulkarrieren finanzieren sollte. Die Skills, auf deren Vermittlung sich Schulen zunehmend beschränken, könnten sie sich doch genauso effektiv und vor allem billiger aneignen, wenn man ihnen erlaubte, das zu tun, was sie ohnehin am liebsten tun: ausgiebig fernsehen und Internet surfen.

Voll im Trend liegt der von der Zentralmatura sanktionierte und geforderte Fremdsprachenunterricht, der ganz im Zeichen von Sprech-, Hör- und Lesekompetenz anstelle der Reproduktion von angeblich leerem Wissen steht.

Englischbuch mit Royals

Wie zum Beweis, dass die Medien die besseren Lehrmeister sind, begeben sich die allgemeinbildenden höheren Schulen in der Wahl ihrer Unterrichtsmittel mittlerweile auf das Niveau des Boulevards: Ein in der Unterstufe verwendetes Englischbuch etwa stellt ein Ranking der "most famous people" auf: Sigmund Freud, John Lennon und Roald Dahl, gleich hinter den beiden monegassischen Prinzessinnen Caroline und Stephanie. Letzteren widmet das Englischbuch eine ganze Seite, nicht etwa den kulturellen Leistungen der Erstgenannten; man erfährt, dass Prinzessin Caroline drei gescheiterte Ehen hinter sich hat, Prinzessin Stephanie hingegen eine Vorliebe für Zirkusakrobaten, Bodyguards und Fischhändler hat und die Väter ihrer drei Kinder bei Vertretern dieser Berufsgruppen gesucht und auch gefunden hat.

Literatur ist aus dem Englischbuch radikal verbannt. Als einzigen englischsprachigen Roman stellt es Ian Flemings The Man with the Golden Gun vor. Anhand von Multiple-Choice-Fragen haben die Schüler Gelegenheit zu beweisen, dass sie den reproduzierten Textausschnitt auf oberflächlichste Weise verstanden haben: Scaramanga ist ein Auftragskiller und kein Pokerspieler oder gar Terrorist, James Bond saves the world and gets the girl. Indem sie das richtige Kästchen ankreuzen, beweisen sie, dass sie imstande sind, Vokabeln wiederzuerkennen; Fragen, warum James Bond überhaupt gegen die Sowjets oder den KGB kämpft, beziehungsweise wer die Sowjets oder der KGB sind oder waren, bleiben unbeantwortet.

Klischees und Vorurteile bleiben übrig

Trivialisierung und Verblödung sind nicht explizites Ziel des gängigen Fremdsprachenunterrichts, gehen jedoch unweigerlich damit einher. Komplexe Themen werden derart reduziert, dass nur ein Haufen Klischees und Vorurteile übrig bleibt. Aber sein Ziel besteht ja auch nicht darin, Anleitung zum differenzierten Denken zu geben, sondern Sprechkompetenz durch das Nachbeten von "word patterns" zu erzeugen, von Schablonen, die in ihrer gedanklichen Einfalt kaum zu überbieten sind: Warum werden Jugendliche drogensüchtig? Weil sich ihre Eltern in ihrer Kindheit scheiden ließen. Wie heilt man Drogensucht? Indem man die betroffenen Jugendlichen acht Wochen lang in ein "boot camp" in der Wüste steckt.

Auch in Zeiten, in denen der Fremdsprachenunterricht nicht völlig im Zeichen von Hör- und Sprechkompetenz stand, war man gezwungen, komplexe Inhalte auf die kognitive und sprachliche Kompetenz von Kindern und Jugendlichen zu reduzieren, allerdings wurde dabei mehr Rücksicht auf die Sache genommen. Texte wurden zwar in vereinfachter Form, doch immerhin unter dem Aspekt präsentiert, dass sie als Text interessant waren, einen wissenswerten Sachverhalt vermittelten. Es wurde über Roald Dahl oder John Lennon gesprochen und nicht darüber, dass sie famous waren.

Die Shakespeare-Version für Kinder und Jugendliche und der altmodische Fremdsprachenunterricht suggerierten somit, dass es ein Ziel gäbe, für das es sich lohnte, die Mühsal des Fremdsprachenunterrichts auf sich zu nehmen, sie suggerierten, dass sich gewisse Inhalte besser erschließen lassen, wenn man im Besitz einer Fremdsprache ist. Die gängige Unterrichtspraxis hingegen legt nahe, dass die auf die Ebene des Medientalks heruntergekommene Welt universal und unentrinnbar ist, egal in welcher Sprache man sich ihr nähert. Sie vermittelt, dass die Inhalte beliebig und austauschbar sind und dass das einzig erreichbare Ziel darin besteht, den Schwierigkeitsgrad der Übungstexte hinaufzuschrauben.

Kultur und Sprache werden degradiert

Die Reduktion sämtlicher Inhalte auf reines Lern- und Spielmaterial hat etwas Pornografisches. Kultur und Sprache werden degradiert, ihres Eigenwerts beraubt, sind nur noch Mittel zum Zweck. (Doch zu welchem eigentlich? Dass man redet, ohne zu wissen, wovon?) Kommunikationsfähigkeit wird zum Fetisch: Sprechen um des Sprechens, Hören und des Hörens willen.

Überhaupt stellt sich die Frage, warum Sprechen und Hören derart überbewertet werden. Sprache ist ein weites Feld, und Sprachkompetenz besteht nicht zuletzt auch in grammatikalischen und landeskundlichen Kenntnissen, die mittlerweile als "leeres Wissen" verunglimpft werden. Ohne Kenntnisse sind auch "skills" nicht zu erwerben, im Idealfall gehen sie eine glückliche Verbindung ein; andererseits gibt es zum Beispiel Übersetzer, sehr gute Übersetzer, die in ihrer Fremdsprache kaum zu kommunizieren vermögen und dennoch imstande sind, komplexe Texte ins Deutsche oder in die jeweilige Fremdsprache zu übertragen. Sollte man ihnen nachsagen, sie besäßen nicht einmal Maturaniveau?

Falsche Anbiederung

Mit der Überbewertung des Sprechens und Hörens begibt sich der Sprachunterricht an der AHS in einen Wettbewerb mit TV und Internet, den er notwendigerweise verlieren muss. Schule sollte sich mehr denn je auf das besinnen, was nur sie oder vorwiegend sie zu leisten imstande ist, nämlich Grundlagen zu vermitteln und Korrektive zur Medienwelt anzubieten, anstatt diese devot nachzuahmen.

Die AHS hingegen macht genau das und damit einen weiteren Schritt zu ihrer Selbstabschaffung. Zu befürchten ist, dass die scheindemokratische Maßnahme der Entrümpelung humanistischen Bildungsguts zu einer massiven Entdemokratisierung führen wird. Für all jene, darunter viele Frauen, die sich nicht berufen fühlen, sich mathematische "skills" anzueignen, die es ihnen ermöglichten, später einmal gut bezahlte, angesehene Berufe zu ergreifen, bleibt nur der wertlose Schrotthaufen der auf Film- und Fernsehniveau heruntergekommenen Kultur: Alle Staffeln der Desperate Housewives im Original zum Erwerb der von der Englischmatura geforderten Hörkompetenz, ein paar Literaturverfilmungen zur Vorbereitung der Deutschmatura nach dem Vorbild des Musikunterrichts, der Das Leben des Bryan seit Jahren zum einzigen Standard erhoben hat.

Dazu noch ein paar Bestseller à la Wüstenblume und Schlafes Bruder zum Nachweis der Lesekompetenz. Ein paar Kostümschinken für die Geschichtsmatura. Vielleicht wird man in Zukunft auch einen Bachelor erwerben können, wenn man nachweist, drei Jahre lang konsequent einen sogenannten Kultursender eingeschaltet gehabt zu haben. (Karin Fleischanderl, DER STANDARD, 15.6.2013)