Den ersten Stern bekommt Martha. Für den beherzten Pfeifmirnichtsvorschlag: Na wenn Hongkongs bestbesternter Kantonese  abends keinen Tisch mehr hat, bis du abreist, dann gehen wir eben lunchen. Jetzt. So gegen 14 Uhr haben die noch Betrieb, aber der erste Schwung ist jedenfalls weg. Frechheit siegt.

Die Strategie würde bei den unfassbar günstigen einfachen Michelin-Sternschuppen Hongkongs - dazu demnächst mehr hier - nicht aufgehen. Dort, zum Beispiel bei Tim Ho Wan, stellt man sich in jeder der meist besternten Filialen schon eine Weile an, bis man an die ebenso hoch spannenden wie recht bescheiden bepreisten Dim Sum kommt. Bei Lung King Heen hingegen kommt man mit dem Lunchüberfall gut durch.

Schmatz!

Ein chinesisches Lokal in ganz Hongkong schafft bei den Michelin-Männchen drei Sterne. Nichts wie Heen also ins Four Seasons. Für hiesige Verhältnisse fast ebenerdig, Blick auf den Hafen, Kowloon und auf eine zwischenmenschliche Anbahnung, wie sie sich wenige leisten können oder wollen.

Und der widmen wir uns, bevor wir zum Wesentlichen kommen: Mann, relativ jung, relativ nervös wartet in bester Aussichtslage. Mädchen, sehrsehr jung, sehrsehr gestylt, trudelt nach mitgefühlten vier Stunden doch ein. Physisch. Alle Aufmerksamkeit gilt ihrem doch recht raumgreifenden Smartphone. Bis der recht junge, gar nicht unangenehm wirkende Mann eine Schatulle mit einem Collier auf den Tisch stellt. Nun darf er sie mit dem gewaltigen Smartphone (und dem Collier) fotografieren. Nicht nur einmal.

Ja, ein paar Bissen hat der Schmachtende auch gegessen. Und sie sogar. Trotz geschätzter Kleidergröße 30 (sagte Martha). Ihr beeindruckend unstylishes Schmatzen hat's verraten.

Tea Time

Möglicherweise hätte er vom Executive Lunch mehr gehabt. Ich jedenfalls kann es wärmstens empfehlen. Und wenn Sie nicht, wie ich und Martha, den handstreichartig eroberten Tisch mit zwei Gläschen Laurent Perrier Rose Jahrgangschampagner begießen und zum Beispiel einfach beim Tee bleiben, wie wir danach und wie es sich mittags ohnehin geziemt: Dann kann man ziemlich günstig aussteigen.

Wenn man das ohnehin schon sensationelle Einsterneessen hier (jedenfalls so üppig konsumiert wie wir) mit drei multipliziert wie die Sterne, geht sich der Mittagstisch bei Lung King Heen schon ganz gut aus: 46,50 Euro. Moment, für den Preis hatten wir letztens so manches Gutes und Besseres in Wien. Gut, die Anreise...

Aber gehen wir's endlich an...

Warten auf die junge Diva - der Verehrer am Fensterplatz im Lung King Heen.

Foto: Harald Fidler

Chef's Dim Sum Selection. Mich hätte ja aus sehr persönlichen Gründen die Lilienknolle sehr interessiert, aber man kann sich ja beim Menü nicht alles aussuchen. Also: gedämpfter Hühner-Dim Sum mit wilden Pilzen und Nüssen. Sapperlot, nicht nur für mich Schwammerl. Und Shrimp mit Spargel. Wenn sich meine Erinnerung jetzt nicht völlig täuscht.

Foto: Harald Fidler

Ich bin ja nicht so der Saucen-Typ. Aber die... Shrimp, Bohne, Öl. Chili und Soja. Und etwas, das ich mir als "Happiness Mushroom" mit Peanuts notiert habe. Womöglich hätts damit den Champagner zuvor nicht gebraucht...

Foto: Harald Fidler

Frühlingsrolle, crispy, mit Garnele. Was man aus so einer vermeintlichen Banalität nicht herausholen kann.

Foto: Harald Fidler

Double-Boiled Fish Soup - mit einer Art Tafelspitz und gelber chinesischer Melone, so jedenfalls der Übersetzungsreigen von Kanton nach Englisch nach Deutsch mit einem ordentlichen Schuss österreichischem Unwissen, das ich beisteuere. Wird nach unten immer intensiver. Spannend.

Foto: Harald Fidler

Gnä Frau sind eingelangt, widmen sich aber bis zur geschmeidigen Übergabe wahrnehmbar allein dem Smartphone.

Foto: Harald Fidler

Ich hingege stoße gerade auf den Höhepunkt des Menüs, so komisch das klingen mag: Das allerschönste Huhn meiner bescheidenen Esslaufbahn, mit zartem Ingwer und saftigweicher Haut. Die linke Flanke der so genannten Barbecue Combination aus "Marinated Fragrant Chicken in Soy Sauce", die größte anzunehmende Untertreibung einer Speisekarte, dazu...

Foto: Harald Fidler

... ein crispy Ferkelbauchwürfel - sehr, sehr toll, aber in der Qualität doch schon gehabt, wär mein Eindruck...

Foto: Harald Fidler

...und die marinierte Qualle laut meinen Notizen, die mich ja ein bisschen an den Snow Fungus zum Dessert bei Tim Ho Wan (demnächst hier mehr dazu) erinnerte. Nun ja - ich mag die überraschend knackigen Glibberdinger ja sehr.

Foto: Harald Fidler

Bisserl unspektakulär wird's Richtung Hauptgang - wiewohl "Superior Australian Wagyu Beef'" mit Spargel und Paprika niemals in meinem Leben anders schmecken mögen als hier. Überraschung: Die Würfel sind rosig, aber außen weich und gar nicht knackig. Ich Universaldilettant rätsle noch darüber. Generalverdacht: Vakuum. Hauptsache: sehr gut.

Foto: Harald Fidler

Ich hab das Wagyu ja mit ein bisscheln Verhandeln eingetauscht gegen eine wahrhaft wunderbare gedämpfte Entenleber mit Abalone-Sauce. Gäb's auch, wenn ich das richtig übersetzt habe, mit Enten-Schwimmhaut und/oder mit ganzer Seeschnecke (Meerohr, sagt Leo). Aber halt nicht als Tauschgeschäft.

Foto: Harald Fidler

Wenn nicht jetzt, Wonton? Shrimp und Nudeln, schon sehr okay und vor allem...

Foto: Harald Fidler

... doch deutlich spannender als das Schälchen gebratener Reis mit Seafood, der mir nach dem wunderbaren Leber-Exkurs noch als Hauptgang blieb.

Foto: Harald Fidler

Ja, das ist ein Dessert, wie hier öfter erlebt suppig. Sweetend Wheat Cream with Peanuts, sagt die Karte, ich rätsle über ihre Klarheit. Fein-fruchtig, quinoa-artiges Getreide, sagt der elektronische Notizblock. Für eine Nachspeis doch recht spannend, sagt der Fidler. Aber der begeistert sich noch viel mehr für...

Foto: Harald Fidler

... die schon allein optisch ungemein schnuckeligen Petits Fours: Sponge-Cake mit Sesam links, die rötlichen Jellywürfel...

Foto: Harald Fidler

... sind Blumenjelly mit Gojibeere. Mindestens so schön...

Foto: Harald Fidler

... wie die Aussicht auf Kowloon...

Foto: Harald Fidler

... und das teuerste Smartphone-Schauspiel ever seen. Mögen die beiden miteinander glücklich werden!

Foto: Harald Fidler