"Auch dieses Sehnsuchtswerk kann einem wirklich Spaß machen." Peter Seiffert über Richard Wagners Musikdrama "Tristan und Isolde".

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Wien - Richard Wagners Tristan bedeutet so etwas wie einen Ritterschlag für Tenöre. Und selbst aus dem Mund eines der größten Wagnersänger unserer Zeit ist da zunächst einmal der enorme Respekt zu hören, den Peter Seiffert gegenüber der Partie verspürte: "Als ich angefangen habe, dieses Stück zu studieren, bin ich erst einmal in Panik verfallen. Für mich war es endlos, unerreichbar, unermesslich - und erschien mir um eine Nummer zu groß. Dann muss man Psychologe für sich selbst sein und das Stück wie ein Mosaik auseinandernehmen."

Inzwischen hat der Deutsche, Jahrgang 1954, den männlichen Protagonisten des Musikdramas bereits an die 30-mal gesungen. Aber noch immer nähert er sich ihr mit deutlich vernehmbarer Demut: "Diese Rolle nimmt einen schon gewaltig in Anspruch. Alleine schon vom Text her, den der Tristan hat. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass das schon an meine intellektuelle Grenze geht, wenn sie nicht schon überschritten ist. Das gebe ich gerne zu."

Am meisten, so erzählt er, der liebend gerne Opernzitate ins Gespräch einstreut, habe ihn der Satz beschäftigt: "Des Schweigens Herrin heißt mich schweigen: Fass ich, was sie verschwieg, verschweig ich, was sie nicht fasst." Seiffert: "Sich auseinanderzustückeln, was ein Satz wie dieser wirklich heißt - dazu muss man das Stück schon sehr gut kennen. Aber wenn man will, kommt man auch als einfach gestrickter Mensch immer tiefer in dieses Werk hinein, man versteht es immer besser, und dann möchte man das überzeugend über die Rampe bringen und auch dem Publikum nahebringen, ohne dass es unbedingt viel darüber gelesen hat."

Die Hintergrundinformationen zum Stück sowie Wagners geistige Welt faszinieren ihn zwar durchaus, wie Seiffert durchblicken lässt, aber: " Die Zuschauer sollen sich hinsetzen können und, ohne viel wissen zu müssen, erfüllt sein von schöner Musik und schönen Texten, auch von Unvorstellbarem und Unbeschreibbarem, sodass sie einfach Spaß daran haben können. Denn auch dieses Sehnsuchtswerk kann einem wirklich Spaß machen, aber es nimmt einen auch sehr mit, und zwar sowohl die Orchestermusiker als auch Sänger und Publikum. Es ist für alle anstrengend."

In einer anderen Welt

Dabei stellt Wagner auch für Seiffert selbst ein Narkotikum dar: "Es gelingt ihm ja mit seiner Musik, einen hineinzuziehen, selbst wenn man einmal gar keine Lust dazu haben sollte und eigentlich lieber ein Bier trinken oder zu Hause die Füße hochlegen wollte. Aber nach ein paar Minuten Wagner ist man schon eingelullt, so wie man von einer Spinne eingewoben wird, und ist auf einmal drin - in einer anderen Welt. Es ist schon toll, wenn ein Komponist so etwas schaffen kann. Bei mir gelingt ihm das jedenfalls immer."

Was heißt denn künstlerisches Gelingen für Seiffert selbst? "Aus dem Stück etwas herauszuholen, was andere noch nicht herausgeholt haben, ist natürlich schwer. Aber es bleibt ja auch immer ein bisschen Platz, um etwas von sich selbst mitzuteilen. Man braucht allerdings schon ein bisschen Lebenserfahrung, muss etwa schon einmal in jemand Unerreichbaren verliebt gewesen sein. So wie man auch schon einmal einen Rausch gehabt haben muss, um einen Betrunkenen glaubhaft darzustellen. Sonst kann man sich das vielleicht vorstellen und spielen, aber authentischer ist es, wenn man selbst einmal wirklich besoffen war. Sonst wirkt es auf der Bühne leicht übertrieben und unnatürlich. Das muss auch in der Oper nicht sein. Es darf nie künstlich herauskommen, sonst wird es rasch lächerlich."

Training wie ein Fußballer

Überhaupt ist Seiffert größtmögliche Natürlichkeit wichtig: "Singen ist ja sowohl etwas Unnatürliches als auch zugleich etwas ganz Natürliches. So wie die Vögel singen, singen Menschen auch. Ich singe jetzt schon über 30 Jahre, aber die Stimme ist noch nicht kaputt. Natürlich werden wir alle älter und werden die Stimmen größer und reifer, aber man ist im ständigen Training wie ein Fußballer und weiß, was man macht. Oder sollte es zumindest."

Gesangstechnik hält der Sänger für ein wenig überschätzt: "Menschen, die einfach so auf der Straße singen, singen eigentlich meistens auch nicht falsch oder unsauber. Die Technik ist vor allem dazu da, um die langen Opern überstehen zu können, ohne dass die Stimme zu sehr ermüdet, und um die hohen Töne zu erreichen."

So bodenständig, wie das klingt, ist Seiffert nach eigener Aussage auch privat: "Ich bin ein rheinischer Mensch, liebe es, mit Freunden zusammenzusitzen, Wein zu trinken und Blödsinn zu reden. Das hilft, um sich abzulenken. Und ich höre wenig Oper, dafür gute Popmusik oder Jazz - das kann ich auch unmittelbar, nachdem ich Wagner gesungen habe."   (Daniel Ender, DER STANDARD, 12.6.2013)