Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Demonstrant auf dem Taksim-Platz in Istanbul. Am Dienstag eskalierte die Lage wieder. Mehr dazu hier.

Foto: REUTERS/Murad Sezer

Bild nicht mehr verfügbar.

Robert Ménard 2008 bei Protesten gegen die Austragung der Olympischen Spiele in China.

Foto: EPA/HORACIO VILLALOBOS

Meinungsfreiheit ist unbequem und tut weh. Siehe den demokratiepolitischen Flächenbrand in der Türkei. Nicht irgendwer demonstriert, eine ganze Generation geht seit Tagen auf die Straße. Nicht irgendeine Generation, sondern die der jungen Menschen. Selbst SchülerInnen machen sich nach Schulschluss auf den Weg. Tanzend, singend, selbstbestimmt. Sie fordern Pluralismus und demokratische Grundwerte. "Gesindel", wie der türkische Ministerpräsident Erdogan die DemonstrantInnen nennt, habe ich keines gesehen.

In derselben ersten Juniwoche in einem anderen Stadtteil Istanbuls: Im monumentalen Gebäude des Gerichtshofs Cataica, Abteilung Schwerverbrechen, wird die Verhandlung der regierungskritischen Journalistin und Chefredakteurin des freien Senders Özgür Radio, Füsun Erdogan, eröffnet. Seit sieben Jahren sitzt sie im Gebze-Frauengefängnis in Untersuchungshaft. Vorgeworfen wird ihr terroristische Tätigkeit.

Der Fall Erdogan

Schmal und scheinbar durchsichtig ist sie geworden. Sie ist an Schilddrüsenkrebs erkrankt, jüngst wurde sie operiert. Dennoch wirkt sie ungebrochen. Ihr Fall wird in einem Sammelprozess abgehandelt. Der Staatsanwalt fordert lebenslange Haft. Draußen wird für demokratische Rechte demonstriert, drinnen herrscht gnadenlos systemkonforme Rechtsprechung. Der Verhandlungsraum ist eng und fensterlos. Sauerstoffmangel.

Für viele war Füsun Erdogan eine journalistische Leitfigur. Sie nennt sich Sozialistin, schrieb in der Haft ein Buch über Rosa Luxemburg. In den kommenden Wochen soll es auf den Markt kommen. Manche distanzieren sich inzwischen angesichts ihres politischen Engagements.

Der Fall Ménard

Auch Robert Ménard, der einstige Mitbegründer von Reporter ohne Grenzen International, ist auf einen politischen Zug aufgesprungen. Auch er war eine Leitfigur. Mit großem Erfolg hatte er die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen aufgebaut und international etabliert. Seit er die Organisation vor einigen Jahren verlassen hat, geht er eigene, auch politisch eigenwillige Wege. Nun kandidiert er in Frankreich für den rechtsextremen Front National.

Zurückgekommen nach Wien lese ich nach, was zu Ménards neuer Politkarriere geschrieben wurde. Die FPÖ-nahe Website unzensuriert.at schwingt sich auf, Ménard als wahren und rechten Verteidiger der Pressefreiheit gegenüber der angeblich inzwischen "links" dominierten NGO zu stilisieren. Gerade die rechten Parteien Europas träten, so die Website, entschlossen gegen Unterdrückung und Zensur von Meinungen auf. Auch die Partei des türkischen Premierministers ist übrigens eine sehr rechtskonservative, sehr nationalistische Partei.

Extremer Nationalismus ist unvereinbar mit jeglichen Menschenrechtsprinzipien. Reporter ohne Grenzen ist eine NGO, die für die Wahrung der Menschenrechte kämpft. Wie Ménard künftig mit der Doppelzügigkeit rechtsnationaler Ideologien in Sachen Medienfreiheit lebt, ist seine Sache. (Rubina Möhring, derStandard.at, 11.6.2013)