Datenschutzexperte Andreas Krisch.

Foto: Andreas Krisch

Angesichts der aktuellen Enthüllungen über die umfassende Überwachung von Telefon- und Internetverbindungen durch den US-Geheimdienst NSA überfällt so manche Internet-NutzerInnen ein Gefühl der Ohnmacht. Dass es schwer ist, PRISM zu entkommen, betont auch der Datenschutzexperte Andreas Krisch im Gespräch mit dem WebStandard. Der unter anderem als Präsident von European Digital Rights (EDRi) und als Obmann des Arbeitskreises Vorratsdaten Österreich (AKVorrat.at) aktive Krisch rät dabei grundsätzlich zu einem Verzicht auf die Nutzung von US-Services, auch wenn er zugesteht, dass das in vielen Fällen nicht realistisch ist. Auf politischer Ebene sieht er einen klassischen Fall von Spionage - und die europäische Politik gefordert, hier für Aufklärung zu sorgen.

derStandard.at: Wie würden Sie den Unterschied zwischen der Vorratsdatenspeicherung und PRISM definieren?

Krisch: PRISM geht deutlich über die Vorratsdatenspeicherung hinaus, da es neben den Kommunikationsstrukturen - Wer kommuniziert mit wem? - auch auf konkrete Kommunikationsinhalte zugreift: Video- und Voice-Chats, Dokumente, Statusmeldungen. Darüber hinaus erfolgt die Auswertung offenbar global zu Zwecken der Auslandsspionage.

derStandard.at: Kommen die aktuellen Enthüllungen für Sie überraschend oder gab es schon früher Hinweise?

Krisch: Dass US- und andere Geheimdienste im großen Stil Kommunikation abhören, ist nicht sonderlich neu. Den Umfang dieser Aktivitäten konnte man rund um das Jahr 2000 anhand der Recherchen des Europäischen Parlaments zum Echelon-System erkennen.

Überraschend ist jedoch der direkte Zugriff der NSA auf die Server der Internet-Konzerne und das klare Bekenntnis des US-Präsidenten, dass das System dazu genutzt wird, nachrichtendienstliche Informationssammlung, sprich: Spionage, im Ausland zu betreiben.

derStandard.at: Wie können sich Menschen vor der Überwachung durch die NSA schützen?

Krisch: Im konkreten Fall bleibt nur die Möglichkeit, von Angeboten aus den USA Abstand zu nehmen. Privatsphäre-Einstellungen und Ähnliches nützen nichts, wenn die Geheimdienste direkt auf die Datenbestände auf den Servern der Anbieter zugreifen.

Man sollte jedenfalls darauf verzichten, seine Backups bei US-Cloud-Diensten abzulegen, sein Telefon mit den Servern des US-Herstellers, zum Beispiel Apple, zu synchronisieren und grundsätzlich darauf Wert legen, Anbieter auszuwählen, die sich an europäische Datenschutzstandards halten.

derStandard.at: Würden Sie von der Nutzung von in den USA beheimateten Services künftig generell abraten?

Krisch: Wenn man Dienste wie Google Docs, Microsoft outlook.com, Skype, Facebook, Twitter und Ähnliches benutzt, muss einem klar sein, dass die US-Geheimdienste auf diese Daten zugreifen können. Da diese Unternehmen jedoch eine marktbeherrschende Stellung einnehmen, wird es nicht in jedem Fall möglich sein, auf deren Angebote zu verzichten. Daher ist in jedem Fall die europäische Politik gefordert, europäische Datenschutzstandards gegenüber diesen Unternehmen sicherzustellen und vor allem dafür zu sorgen, dass europäische Daten auch in Europa bleiben und nicht von den US-Geheimdiensten abgegriffen und ausgewertet werden können.

Ein diesbezügliches klares Statement der EU-Kommission und des österreichischen Außenministeriums wäre sehr wünschenswert.

derStandard.at: Gibt es Hinweise auf eine ähnliche Überwachung in der EU oder dahingehende Pläne?

Krisch: Wie der "Guardian" berichtet, kann auch der britische GCHQ auf die Daten aus PRISM zugreifen. In diesem Zusammenhang stellen sich zwei Fragen. Erstens: Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt dieser Datenaustausch? Zweitens: Welche weiteren Geheimdienste hatten oder haben Zugriff - etwa auch österreichische?

Grundsätzlich erfolgt auch in Europa ein Ausbau und eine zunehmende Vernetzung von Datenbanken der Exekutive. Dieser Ausbau ist im sogenannten Stockholm-Programm der EU definiert. In diesem Zusammenhang wurde als Ziel genannt, den "digitalen Tsunami" für die Behörden nutzbar zu machen.

derStandard.at: Wie sehen Sie die Auswirkungen auf die europäische Politik?

Krisch: Durch die Vielzahl der Online-Kooperationsdienste, zum Beispiel Google Docs, hat PRISM auch hohe Relevanz für die europäische Politik. Die Online-Dienste werden ja sicherlich auch von Politikern und Parteien genutzt, um Positionspapiere et cetera auszuarbeiten. Insofern bewegt man sich hier also auch im Bereich der klassischen Spionage, die sich gegen Staaten richtet. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 12.6.2013)