Wasser auf die Mühlen der Brüsseler Privatisierungspolitik? - Rotkreuzhelfer im Einsatz für die Opfer der Flutkatastrophe.

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Es ist wohl unbestritten: Ohne das Heer der Freiwilligen wäre die Hochwasserhilfe in Österreich zurzeit nicht möglich. Täglich sind alleine 1500 Rotkreuzhelfer im Einsatz, während fast 60.000 weitere die Rettungs- und Pflegedienste im Land aufrechterhalten. - Und was hat das mit der EU zu tun? Mehr, als es auf den ersten Blick scheinen mag: In Brüssel werden zurzeit Richtlinien zur Auftrags- und Konzessionsvergabe erörtert. Wobei es aktuell auch um eine sogenannte "Bereichsausnahme" für Rettungsdienste geht, sprich: die Notfallrettung als Teil der Daseinsvorsorge, die nicht kommerziellen Betreibern überlassen werden, sondern bei gemeinnützigen Trägern bleiben sollte.

Die Chancen, diese Ausnahme zu erreichen, stehen zwar gut, das Rote Kreuz wünscht sich allerdings auch, dass Ambulanz- und Krankentransporte nicht kommerzialisiert werden. Wir sind nicht grundsätzlich gegen Privatisierung. Aber gerade in der Daseinsvorsorge muss der Erfolg einer Kommerzialisierungsmaßnahme am Gemeinwohl gemessen werden und nicht am wirtschaftlichen Erfolg privater Auftragnehmer. Eine funktionierende öffentliche Dienstleistung muss Vorrang vor den Regeln des Binnenmarktes und des Wettbewerbsrechts haben.

Die laufende Rekommunalisierung verschiedenster Dienstleistungen der Daseinsvorsorge zeigt ja hinlänglich, dass bei gemeinwohlorientierten Aufgaben der Marktmechanismus aus unterschiedlichen Gründen nicht gut funktioniert. Das gilt auch für den Rettungsdienst. Das Österreichische Rote Kreuz betreibt den Rettungs- und Krankentransportdienst im sogenannten "Verbundsystem". Die Ressourcen dieses Dienstes bilden auch die Grundlage für die Bewältigung von Großschadensereignissen wie der derzeitigen Hochwasserkatastrophe. Wir sprechen hier von erprobten Alarmierungswegen, die seit dem Hochwasser von 2002 weiter optimiert wurden, von einer effizienten Führungsstruktur, materiellen Ressourcen und 60.000 routinierten freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die jederzeit einsetzbar sind. Ohne diese Freiwilligen wäre der flächendeckende Rettungs- und Krankentransport nicht möglich - und auch nicht die Katastrophenhilfe, so, wie wir sie jetzt gerade erleben.

In Summe ist das Rettungsverbundsystem, nicht nur die volkswirtschaftlich günstigste Betriebsform, sie ist auch die für die Patientinnen und Patienten qualitativ hochwertigste. Eine Kommerzialisierung des Teilpakets Ambulanz- und Krankentransportdienst, wie in den genannten EU-Richtlinien vorgesehen, würde zu einer Zerschlagung dieses Systems - und damit auch der für die Katastrophenhilfe notwendigen Freiwilligenstruktur führen.

Die Verteuerung des Rettungswesens in Österreich wäre eine weitere Folge: Kommerzielle "Rosinenpicker" würden sich für den Ambulanz- und Krankentransportdienst interessieren, der kostenintensive Teil dieses Pakets, die Notfallrettung, verbliebe bei der öffentlichen Hand.

Von den in Brüssel verhandelnden Beamten im Kanzleramt hört man auf Terminanfrage, "dass man halt nicht alles haben kann" und zu Gesprächen über eine Bereichsausnahme auch für den Ambulanz- und Krankentransportdienst gar nicht erst "anzutanzen" brauche.

Wenn große Hochwasser wie das gegenwärtige sich wie bisher regelmäßig wiederholen - also etwa alle zehn Jahre -, dann könnten wir spätestens im Jahr 2023 erleben, wohin diese Haltung führt. (Gerald Schöpfer, DER STANDARD, 7.6.2013)