Beinahe täglich verbringe ich neun Stunden oder mehr hinter meinem Schreibtisch im Büro. Schon alleine beim Blick aus dem Fenster kribbelt es in meinen Beinen. Ich kann es kaum erwarten, den Arbeitsalltag hinter mir zu lassen und meine Laufschuhe zu schnüren, um endlich raus in die Natur zu kommen.
Rein in die Laufkleidung - raus in den Wald!
Kaum draußen aus dem Büro, bin ich daher auch schon in Sportkleidung den Berg hinauf unterwegs, endlich den Waldboden unter den Füßen. Eine Stunde Lauftraining und 500 Höhenmeter im An- sowie im Abstieg sind mein Plan für diesen Tag. Ministativ und Digicam sind im Rucksackk, auf trockene Wechselkleidung verzichte ich.
Raus aus dem Büro und laufen, laufen, laufen ...
Dem Trail-Running-Wahn verfallen, renne ich durch den Wald, springe über Wurzeln und missachte die Beschilderung. Meine Intuition wird mich in der mir fremden Gegend schon richtig durchs Gelände bringen, denke ich mir. Aber falsch gedacht! Auf einer Weide mit tollem Panorama komme ich wieder zu mir und stelle fest: Der Weg ist hier zu Ende!
Ich kehre um, laufe einen steilen Forstweg nach unten und finde, aufmerksam nach Markierungen Ausschau haltend, den Weg, der mich weiter nach oben führt.
Von Stein zu Stein ans andere Ufer
Der viele Regen der vergangenen Wochen hat auch im Wald seine Spuren hinterlassen und tiefe Wassergräben gezogen, die mir Trail-Running-Feeling pur bescheren, als ich von einem Stein zum nächsten ans andere Ufer springe. Nur nicht ausrutschen, denke ich mir und konzentriere mich auf den nächsten Sprung. Auf der anderen Seite verletzungsfrei angekommen, setze ich meinen Lauf fort.
Springen, hüpfen, laufen, wie es das Gelände verlangt.
Ich kann nicht widerstehen, mitten durch die großen Wasserpfützen zu laufen, Wasser und der Dreck laufen an meinen Beinen hinunter. Hier im Wald ist es egal, wie du aussiehst, ob du eingesaut bist, die Schuhe nass sind oder du rasiert bist, das interessiert hier keinen. Das gibt es nur beim Trailrunning - oder kam schon jemals ein Läufer bei einem City-Marathon mit Schlamm an den Beinen ins Ziel? Im Wald kann ich meinem Laufdrang ungestört nachgeben, und keine Ampel zwingt mich während der Rotphase zum Auf-der-Stelle-Laufen.
Auf die Wadeln spritzen muss der Dreck!
Mein Körper hat noch nicht genug
Ein kurzer Blick auf die Garmin-Uhr zeigt mir, dass ich bereits 500 Höhenmeter absolviert habe - eigentlich Zeit zum Umkehren. Ich bin jedoch noch voller Elan und Motivation, den Berg weiter zu erklimmen, und so beschließe ich, meinen Körper weiter nach oben zu quälen. Ich habe Spaß daran, meinem Körper alles abzuverlangen, ihn bis zur Erschöpfung zu schinden, jeden Muskel brennen zu spüren. Nicht gesund? Das ist mir bewusst, aber es ist wahrscheinlich doch gesünder als Komasaufen.
Den Soundtrack des neuen Kinofilms "Fast and Furious" in den Ohren renne ich wie ein Gejagter über Stock und Stein, bin einen kurzen Augenblick unachtsam, rutsche aus und stürze zu Boden. Mit den Händen gut abgefangen, stemme ich mich wieder nach oben, verletzungsfrei. Der brennende Schmerz in meinen Oberschenkeln hat nichts mit dem Sturz zu tun. Schmerzen kann ich gut verdrängen, weiter geht's.
Dann lichtet sich der Wald und ich erreiche eine Hütte, vermutlich die Bertahütte am Mittagskogel, von der ich zwar gehört, die ich aber noch nie besucht habe. Überrascht stelle ich fest, dass ich mich bereits auf über 1.500 Meter Seehöhe befinde, 1.000 Höhenmeter nach oben gelaufen und über eine Stunde unterwegs bin.
Solange der Körper noch Kraft hat, wird er gefordert.
Mein durchnässtes Shirt flattert im eiskalten Wind. Völlig verschwitzt stehe ich da und spüre jetzt am eigenen Leib, dass ich keine trockene Kleidung dabeihabe. Allerdings hatte ich auch nicht geplant, auf 1.500 Meter zu laufen.
Nun heißt es, denn schnellsten Weg nach unten zu nehmen, um nicht allzu lange mit der nassen Kleidung unterwegs zu sein. Ich wähle den Forstweg, der im Gegensatz zum Wurzelweg, den ich nach oben gewählt habe, trocken ist.
Rundenzeit auf der Garmin gedrückt, renne ich los und fühle mich bestens. Es ist etwas ungewöhnlich, ein so hohes Tempo zu laufen, bergab bin ich immer schneller als bergauf. Auch mit dem Mountainbike liebe ich es, nach unten zu rasen.
Auf dem Weg zum Auto fühle ich mich richtig gut, Kopf frei, gedankenlos, Körper strapaziert, gutes Training absolviert. Gut 20 Minuten habe ich für den Weg nach unten gebraucht. "Super Zeit", denke ich mir, setze mich ins Auto und freue mich auf eine warme Dusche. (Emanuel Sabitzer, derStandard.at, 12.6.2013)