Sind die Grünen bürgerlich oder sind sie links? Wenn das Erstere zutrifft, sind sie für die ÖVP als Koalitionspartner akzeptabel, sonst nicht. Die SPÖ würde sie, wenn sich's ausgeht, auf jeden Fall nehmen. Aber wie sehen das die Wähler und Sympathisanten? Und woran scheiden sich die Geister, wenn es wirklich ernst wird? Je näher die Möglichkeit rückt, dass die Ökotruppe auch auf Bundesebene Regierungsverantwortung übernimmt, desto heftiger wird die Frage diskutiert.
Mit vielen grünen Ideen können sich vor allem jüngere und städtische bürgerliche Wähler durchaus anfreunden. Gesundes Essen? Kein Problem. Mehr Radwege? Warum nicht. Kampf gegen Korruption? Kann nicht schaden. Förderung von Frauen? Geschenkt. Weniger Ablehnung gegenüber Fremden? Wenn's sein muss. Homo-Ehe? Im Prinzip ja, man muss es ja nicht gleich Ehe nennen. Haarig wird es erst dann, wenn es um Geld geht.
Rinks und lechts sind leicht zu velwechsern, sagte einst Ernst Jandl. Aber die Unterscheidung wird plötzlich sehr einfach, wenn die Fragen Verteilungsgerechtigkeit, Armutsbekämpfung, Solidarität anstehen. Mit anderen Worten: wenn Wohlhabende mehr zahlen sollen, damit es Nichtwohlhabenden besser geht. Beim Steuerzahlen hört sich die Großzügigkeit auf. Dazu hört man denn auch von den Grünen nicht allzu viel.
Die Ökos sind Kinder der fetten Jahre. In der Zeit nach Hainburg hatten viele Junge aus gutem Haus den Mief der Konservativen satt, sehnten sich nach einem freieren Lebensstil, entdeckten die Umwelt. Die Bobos kamen auf, mit ihren Patchworkfamilien, ihren Fahrrädern, ihrer lässigen Internationalität. Sympathische Leute. Die Grünen wurden ihr politischer Arm. Arbeitslosigkeit und Verarmung breiter Schichten waren kein Thema.
Aber heute? Zehntausende Vollzeitbeschäftigte in Österreich können von ihrem Lohn nicht leben. Zehntausende können sich keine ordentliche Wohnung leisten, und Zehntausende haben im letzten Winter gefroren. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft mit jedem Jahr weiter auseinander. Die Wirtschaftskrise hat uns im Griff, nicht so schlimm wie anderswo, aber doch, und ist noch lange nicht überwunden. Und plötzlich erscheinen einem manche grünen Anliegen wie der reinste Luxus. Eva Glawischnig, die schöne und kluge Grünen-Vorsitzende, plant in diesem Sommer als Wahlkampfauftakt eine Reise durch Österreich, gespickt mit allerlei Events. Eines davon: Biokochen mit Eva. Biokochen? Beim ersten Lesen kommt einem der Gedanke: Leute, habt ihr keine anderen Sorgen?
Die Grünen haben sich beim Aufdecken der diversen Korruptionssümpfe bleibende Verdienste erworben. Sie sind, was man bei der ÖVP nie so genau weiß, eine absolut verlässliche Gegenkraft gegen die Strache-FPÖ. Grün-Blau wird es nie geben. Aber das Hauptthema der Wahlen von 2013 wird doch wohl das sein, was man früher die soziale Frage genannt hat.Verteilungsgerechtigkeit wird wichtiger sein als Biogemüse und Radwege. Und von den Grünen wird man eine klare Antwort erwarten, ob sie nun bürgerlich sind oder links. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 6.6.2013)