1995 trat Österreich der Europäischen Union bei. Viele Jugendliche kennen folglich die Zeit der Grenzkontrollen, Währungswechsel und Visaanträge nur mehr aus Erzählungen ihrer Eltern. Der SCHÜLERSTANDARD fragte nach, was junge Leute mit Europa verbinden. Gibt es unter ihnen eine europäische Identität? Ein aktuelles Stimmungsbild abseits von Wirtschaftskrise und Jugendarbeitslosigkeit.

Darius Djawadi (15), BRG Klosterneuburg: "Oft fragt man mich: Wo kommen Sie her?"

Mit einem so "ausländisch" klingenden Namen wird man oft nach seiner Herkunft gefragt. Anfänglich denkt man auch wirklich darüber nach: Wo komme ich eigentlich her?

Mein Name ist persisch, da mein Großvater aus dem Iran stammt – allerdings war ich noch nie dort. Mütterlicherseits gibt es italienische Vorfahren, großmütterlicherseits auch tschechische. Geboren bin ich aber in Österreich, genauer gesagt in Horn. So lautet meine Antwort auf die Frage "Wo kommen Sie her?" meistens: "Ich bin Europäer."

Das stimmt im Grunde auch. Österreich ist als EU-Mitglied mittlerweile volljährig – ich bin es mit 15 Jahren noch nicht. Aufgrund meines Alters kenne ich natürlich die Zeit vor der EU nicht mehr. Und nur sehr vage kann ich mich noch an meinen letzten Einkauf mit Schilling erinnern. Mit Schaudern lausche ich Geschichten über wochenlange Reisen quer durch Europa, als man noch etliche Male das Geld wechseln musste oder an Grenzen den Kofferraum leerte, um zu beweisen, dass man eh nichts schmuggelt.

Da lobe ich mir doch meine EU und freue mich auch über den Friedensnobelpreis. Denn das müssen selbst die größten Kritiker zugeben: Eine so lange kontinuierliche Friedensphase hat Europa schon lange nicht mehr erlebt.

Ich bin Europäer. Nicht nur weil ich nichts anderes kenne, sondern weil ich keinen Unterschied mache zwischen Deutscher, Grieche oder Slowene.

 

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Simay Zwerger (17), ­ Stuben­bastei Wien: "Ich stehe zwischen zwei Nationalitäten"

Kürzlich meinte eine gute Freundin zu mir, ich sei gar keine richtige Deutsche, sondern "eh schon eine Österreicherin". Als ich dies hörte, fühlte ich mich von meiner Nationalität entwurzelt, auch wenn ich bereits seit meinem zweiten Lebensjahr in Wien wohne.

Wenn man meint, ich sei eine Türkin, würde ich ebenso emp­finden. Dabei stammt mein Vater aus der Türkei, wo ich auch noch viele Verwandte habe – und mich dennoch nicht richtig zu Hause fühle. Wahrscheinlich, weil ich die Sprache zu schlecht beherrsche und den türkischen Teil der Familie selten sehe. Hinzu kommt, dass ich dort oft "die Deutsche" bin und nicht selten an­feindend gefragt werde, ob ich ­Hitler möge. Auch wenn man mir in Österreich bei Fußballspielen "Scheiß Piefke Man steht zwischen zwei ­Nationalitäten und sollte schlussendlich selber wählen können, welche Staatsbürgerschaft man annimmt.

Gerade als "Ausländerin" ist man meiner Meinung nach noch stolzer auf seine Wurzeln. Es fällt mir daher schwer, mich als Eu­ropäerin zu bezeichnen, auch wenn es wohl erstrebenswert wä­re. Aber ich persönlich bin noch nicht so weit.

 

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Daniel Leonov (18), BRG Hamerlingstraße, Linz: "Für mich bedeutet Europa Freiheit"

Oft schaue ich mit meinen Eltern Reportagen über den Eisernen Vorhang an, in de­nen Leuten berichten, wie sie damals über die Grenze geflüchtet sind. Ich merke dann, wie sich die Stimmung im Wohnzimmer spaltet: Mich berühren die Flüchtlingsströme kaum, meine Eltern bekommen richtige Gänsehaut.

Verwundert frage ich mich, wieso sie bei diesen Bildern so sentimental werden. Ihre Antwort lautet stets: "Diese Menschen haben alles, was sie hatten, hinter sich gelassen, um sich den Traum von einem besseren Leben zu verwirklichen." Auch meine Eltern haben alles hinter sich gelassen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Beide sind im Kommunismus aufgewachsen, in Bulgarien. Ich kam in Österreich auf die Welt und bin laut Schulbuch ein Mi­grant zweiter Generation.

Früher sind wir oft über Grenzen gereist. Der Moment, als uns der Polizist mit seinem grimmigen Gesichtsausdruck musterte, wirkte zwar ernst, es war aber auch spaßig zu beobachten, dass an verschiedenen Grenzen Menschen in verschiedenen Uniformen verschieden grimmig schauen. Durch das Schengener Abkommen sind Grenzkontrollen zwischen EU-Staaten längst passé.

Für mich bedeutet die EU Freiheit und Einheit, doch noch bin ich nicht bereit, mich als Europäer zu bezeichnen. Es ist gut, wenn es internationale Kooperationen gibt, trotzdem sollte sich jeder mit seinem Land identifizieren. In meinem Fall Österreich.

 

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Kerstin Schürz (18), Bundes-Handelsakademie Rohrbach: "Eigentlich sind wir alle gleich"

Nun darf ich also einen tollen Text über Europa verfassen. Der Leser erwartet sich sicher Großes, schließlich habe ich drei Monate während eines Schüleraustauschs in Tschechien gelebt. Er möchte wohl von Kulturschocks und krassen Unterschieden hören. Von Missverständnissen und witzigen Geschichten. Aber um die Wahrheit zu sagen: Die Leute sind dort genau wie bei uns.

Gegenüber Tschechien haben viele ja die wildesten Vorurteile - und das, obwohl ich nur wenige Kilometer vor der Grenze wohne. Als ich Freunden von meinem Austausch erzählte, haben alle gleich reagiert: "Wos wüst denn dort?" Meine Oma war völlig schockiert und riet mir, mich auf das Schlimmste vorzubereiten.

Langsam bekam ich das Gefühl, als würde ich in ein Entwicklungsland fahren. Zusätzlich musste ich mir ständig Prostituierten-, Casino- und Autodiebstahlwitze anhören. Das förderte die Abreisepanik natürlich, aber das Tolle an EU-Projekten wie meinem Austausch ist ja: Du musst ein Jahr vorher fix unterschreiben - wenn die Panik kommt, ist es eh zu spät.

Doch letztlich waren die Befürchtungen Blödsinn, der große Kulturschock blieb aus. Ich hatte viel Kontakt mit Schülern aus Tschechien und anderen europäischen Staaten und behaupte mal, dass wir eigentlich alle gleich sind. Statt kulturelle Unterschiede zu suchen, sollten wir Gemeinsamkeiten finden. Nur so werden wir wirklich ein geeintes Europa.

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Philipp Koch (16), Neulandschule Grinzing, Wien: "Nach Frieden kommt die Akzeptanz"

Frieden war das Ziel bei der Gründung der Europäischen Union. Zweifellos hat sie in diesem Vorhaben reüssiert - und dafür 2012 den Friedensnobelpreis bekommen. Der nächste Schritt wäre die gegenseitige Akzeptanz der unterschiedlichen Kulturen. Was ist dort der Status quo? Beispiel Frankreich und England: Das Verhältnis der beiden Staaten war jahrhundertelang von blutigen Kriegen geprägt. Was ist davon übriggeblieben?

Mit knapp zehn Jahren bin ich nach Paris gereist. Außer Disneyland und Eiffelturm ist mir nicht viel im Gedächtnis geblieben - an ein Erlebnis kann ich mich aber noch ganz genau erinnern: Ich, als hungriger Bub im McDonald's. Genau wie ich war auch mein Englisch noch in den Kinderschuhen. Trotzdem trat ich selbstbewusst an den Schalter, um mein Essen selbst zu bestellen. Dort murmelte mir eine gelangweilte Arbeitskraft ein "Bonjour" zu. Das Fremdwort brachte mich noch nicht aus dem Konzept, schließlich war mir die Begrüßung nach drei Tagen Frankreich wohlbekannt.

Also stotterte ich ihr entgegen: "Hello ... I want the Nuggets, please!" Verstanden hat sie mich, denn mein Essen bekam ich sofort. Doch ihr Gesicht bekam in kürzester Zeit heftige Züge von Ablehnung. Da merkte ich erstmals, dass Englisch in Frankreich auf Ablehnung stößt. Das Phänomen ist ja kein unbekanntes: Hört man hier einen Deutschen mit markantem Akzent, so denkt sich jeder seinen Teil. (DER STANDARD, 5.6.2013)

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