Wer mit dem Auge eines Laien die TV-Bilder über die Verwüstungen durchs Hochwasser betrachtet, kann öfter eine Frage schwer unterdrücken: Dort haben sie unbedingt hinbauen müssen?

Bei jahrhundertealten Barockstädten an der Donau, der Enns, der Salzach oder dem Inn wurde anscheinend schon vor langer Zeit die Entscheidung getroffen, Hochwässer in Kauf zu nehmen - wenn auch damals die Flüsse viel weniger reguliert waren und breite "Überflutungsräume" hatten, wie der Fachausdruck lautet.

In vielen Alpingebieten fragt man sich jedoch - noch einmal ausdrücklich als Laie -, ob das schmucke Einfamilienhaus in einem engen Tal knapp am Bach oder Fluss oder unterhalb eines prekär wirkenden Hanges wirklich hat sein müssen. Tatsächlich sprechen Experten für den Hochwasserschutz von 400.000 gefährdeten Häusern ("gelbe und rote Zone") in ganz Österreich, immerhin 70.000 seien in der "roten Zone".

Womit wir in die wunderbare Welt des heimischen Föderalismus und der landestypischen Mentalität eintauchen: Nur die Bundesländer Niederösterreich und Steiermark haben für die roten Zonen ein absolutes Bauverbot erteilt. Es gibt aber keine Sanktionen, erfahren wir jetzt; wenn der Bürgermeister unter dem Druck seiner Gemeindebürger doch die Baugenehmigung erteilt, dann passiert gar nichts. Oder höchstens indirekt: Bund und Land zahlen dann halt keine Hochwasserschutzmaßnahmen.

Es folgt der Auftritt der (bereits wahlkämpfenden) Gummistiefelträger. Kanzler und Vizekanzler erklären unisono: "Wir werden niemand im Stich lassen." Der Bund wird schon irgendwo das Geld finden, um den Betroffenen zu helfen. Auch denen, die in die rote Zone gebaut haben?

Das ist noch ungeklärt, aber man wird sie wohl nicht zugrunde gehen lassen wollen/können (ein ähnlicher Sachverhalt besteht bei den Häuslbauern, die auf billigem Grund direkt neben der Autobahn ihre Heimstätten errichten und sich dann über den Transitverkehr beschweren).

Österreich besteht aus relativ engen Räumen, die Bevölkerung ist in den letzten Jahrzehnten um eine Million gewachsen, und in den ländlichen Gebieten bzw. im Umland der größeren Städte schätzt man das Einfamilienhaus. Über die Zersiedlung wird daher - ziemlich konsequenzlos - seit ewigen Zeiten diskutiert. Auch die Tatsache, dass täglich zehn bis 15 Hektar für Straßen und Häuser verbaut und die Böden damit versiegelt werden, regt nur ein paar Umweltbewegte auf.

Diese Tendenz kann man höchstens abmildern, und auch da muss die Politik ganz, ganz vorsichtig mit einer restriktiven Raumplanung sein, denn die Rache der Häuslbauer an der Wahlurne wäre gewiss.

Die Zunahme der Zersiedlung ist ein Wohlstandsphänomen, schon wegen der vielen Zweitwohnsitze und Ferienhäuser. In vielen der betroffenen Gebiete herrschte noch vor 100 Jahren bitterste Armut. Aber alle paar Jahre zeigt sich, dass wir es in der Zivilisationslandschaft Mitteleuropa mit einer ziemlich gefährlichen Natur zu tun haben. Dafür ist ein Preis zu bezahlen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 5.6.2013)