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Der Angeklagte Carsten S. im Gericht. Er will nicht erkannt werden, hat sich von der rechtsextremen Szene abgewandt und lebt im Zeugenschutzprogramm.

Foto: APA/EPA/Mueller

Um 15.45 Uhr ist es im Saal 101 des Münchner Oberlandesgerichts endlich so weit. Der Mann in der zweiten Tischreihe, an dem die Angeklagten und ihre Verteidiger sitzen, beugt sich zu dem schwarzen Mikrofonstab vor ihm, die rote Lampe leuchtet. Er soll im NSU-Prozess von seinem Leben erzählen. Seine Stimme schwankt leicht, er sucht nach Worten.

Was er genau erzählen solle, fragt er den Vorsitzenden Richter. "Erzählen Sie einfach", sagt Manfred Götzl. Er, der oft mit schneidender Strenge redet, klingt dabei fast väterlich.

Carsten S. ist einer der fünf Angeklagten im größten deutschen Strafprozess der letzten Jahre. Und, er ist geständig, von Anfang an. Gleich nach seiner Verhaftung im Februar 2012 gab er zu, im Jahr 2000 in Jena eine Pistole der seltenen Marke Ceska gekauft und später in Chemnitz an Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos übergeben zu haben.

Es war nach Überzeugung der Ankläger dieselbe Waffe, mit der ab diesem Zeitpunkt bis 2006 neun Einwanderer vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) ermordet wurden. Carsten S. wird deshalb der Beihilfe zum neunfachen Mord beschuldigt – genauso wie Ralf Wohlleben. Der damalige NPD-Funktionär habe ihm das Geld für die Waffe gegeben die Pistole nachträglich kontrolliert, sagte Carsten S. den Ermittlern. Er ist damit auch einer der wichtigsten Zeugen der Bundesanwaltschaft, er befindet sich im Zeugenschutzprogramm und verdeckt im Gerichtssaal sein Gesicht mit einer Kapuzenjacke, solange Kameras zugelassen sind.

Von der rechtsextremen Szene hat er sich mittlerweile losgesagt, er will keinen Kontakt mehr haben. Doch jetzt geht es im Gericht noch einmal um seine Kontakte zum mutmaßlichen NSU-Terrortrio, bestehend aus Beate Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos.

Erstes Treffen bei Zschäpe

Das erste Treffen habe in der Wohnung von Zschäpe stattgefunden, sagt Carsten S., während sich die Frau auf der Anklagebank vor ihm bemüht, möglichst neutral auf die Wand gegenüber zu starren. Dabei legt sie die Fingerspitzen der beiden Hände zusammen.

Doch oft sieht er die drei nicht, drei, vier Mal vielleicht. S. steigt 1997 in die Szene ein, Anfang 1998 tauchten die Drei unter, nachdem ihre Bombenwerkstatt aufgeflogen war. Er habe davon aus der Presse erfahren, sagt der Angeklagte. Danach hätten ihn Wohlleben und der Neonazi Andre K. angesprochen, "ob ich nicht helfen könnte".

S. war in den folgenden Monaten der Kontaktmann zwischen den Unterstützern und den Flüchtigen, die in Jena untergekommen waren. Benutzt werden vor allem bestimmte Telefonzellen. Der "Herr Wohlleben hat mir gezeigt, wie das funktioniert, sagt Carsten S. und erklärt: "Einmal war, glaube ich, die Frau Zschäpe mit am Telefon."

Böhnhardt und Mundlos sind oft ungehalten am Telefon, verlangen mehr und schnellere Unterstützung. Sie sprechen S. am Telefon mit "Kleener" an und äußern schließlich "den Wunsch nach der Waffe". Es sollte eine Handfeuerwaffe sein, "möglichst deutschen Fabrikats", mit Munition. Danach, sagt S., sei er zu NPD-Mann Wohlleben gegangen, der ihn in einen Szeneladen schickte, um die Pistole zu besorgen. Später habe ihm dieser auch das Geld gegeben, 2500 D-Mark.

Das war, sagt der Angeklagte, "Ende März, Anfang April" 2000. Nachdem Wohlleben die Waffe kontrolliert habe, fuhr er, Carsten S., mit dem Zug nach Chemnitz, wo ihn Böhnhardt und Mundlos vom Bahnhof abholten.

Man saß kurz in einem Café eines Kaufhauses herum, wo auch Zschäpe kurz vorbeikam. Später übergab er die Waffe in einem nahen Abbruchhaus den beiden Männern, einer der beiden Uwe schraubte noch den Schalldämpfer auf. Haben Sie, fragt der Vorsitzende Richter Götzl den Angeklagten S., jemals nachgefragt, was die Flüchtigen mit der Waffe machen wollen? "Nein", lautet die Antwort von Carsten S.  (Martin Debes und Lavinia Meier-Ewert aus München /DER STANDARD, 5.6.2013)