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Die landesweiten Proteste entzündeten sich an einem Bauprojekt im Istanbuler Gezipark.

Foto: AP/Thanassis Stavrakis

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Regierungschef Recep Tayyip Erdogan (rechts) und Präsident Abdullah Gül beim feierlichen Baubeginn der dritten Bosporusbrücke.

Foto: REUTERS/Murad Sezer

Der kleine Gezi-Park im Zentrum des europäischen Teils der türkischen Metropole Istanbul erstreckt sich rund 400 Meter in nordöstlicher Richtung vom Taksim-Platz bis zu einem Fünf-Sterne-Hotel. Auf dem Gelände stand früher ein osmanisches Kasernengebäude aus dem 18. Jahrhundert, das in den 1940er Jahren von den Behörden gesprengt wurde. Nun will die türkische Regierung das Gebäude originalgetreu wieder aufbauen lassen und darin Cafés, Museen oder auch ein Einkaufszentrum unterbringen. Der Gezi-Park ist eine der letzten Grünflächen in der engeren Innenstadt von Istanbul. Nun ist er auch ein Symbol für die massivsten Proteste in der Türkei seit Jahrzehnten.

Der geplante Wiederaufbau des Kasernengebäudes ist Teil von Plänen der Regierung für eine Neugestaltung des Taksim-Platzes, der mithilfe von Straßentunneln verkehrsberuhigt werden soll. Die Arbeiten an den Tunneln haben im November vergangenen Jahres begonnen. Schon damals warfen Kritiker der Regierung in Ankara und der ebenfalls von der Regierungspartei AKP beherrschten Istanbuler Stadtverwaltung vor, sich ohne die notwendigen Konsultationen mit Betroffenen oder Verbänden in das Projekt zu stürzen.

Rigoroser Umbau Istanbuls

Der Gezi-Park ist nicht das erste Großprojekt in Istanbul, bei dem die Interessen der Anrainer oder des Denkmalschutzes ignoriert werden. Großflächige Zwangsumsiedelungen sind keine Seltenheit. Zahlreiche Einkaufszentren und Bauprojekte sind in den letzten Jahren gegen den Willen der Bevölkerung aus dem Boden gestampft worden. Eine russisch-orthodoxe Kirche aus dem 19. Jahrhundert soll im Zuge eines Hafenumbaus abgerissen werden. Vor kurzem musste bereits das älteste Lichtspieltheater der Stadt, das Emek-Kino, trotz Widerstands der Istanbuler und Interventionen von First Lady Hayrunnisa Gül einem großflächigen Taksim-Umbau weichen. Und offenbar wird nun auch das Atatürk-Kulturzentrum am Taksimplatz, das eigentlich renoviert werden sollte, abgerissen. Erdogans Regierung hatte schon im November mit dem Bau von Straßentunneln begonnen, mit denen der Verkehr auf dem zentralen Platz von Istanbul unter die Erde verlagert werden soll. Gegner sprechen von einer Beton-Aktion, die mit niemandem abgesprochen worden sei.

In diesem Tagen hat außerdem ein weiteres umstrittenes Bauprojekt, die dritte Brücke über den Bosporus für Transitverkehr auf Straße und Schiene, begonnen. Ihre Pfeiler sollen mit 322 Metern die höchsten der Welt werden. Mit 1408 Metern Länge wird sie wohl nach der Fertigstellung die längste Eisenbahnbrücke der Welt sein. Die neuen Autobahnen durchschneiden allerdings sensible Waldgebiete, in denen auch Trinkwasser gewonnen wird und die als Lunge Istanbuls gelten. Sowohl die verkehrsplanerische Sinnhaftigkeit als auch die ökologische Verantwortbarkeit wird von Experten bezweifelt. Ebenso wie die Notwendigkeit eines dritten internationalen Flughafens für Istanbul. Westlich des europäischen Teils Istanbuls will Erdogan eine neue Verbindung zwischen dem Marmara-Meer und dem Schwarzen Meer graben lassen. Der Ministerpräsident selbst hat das Vorhaben öffentlich als "verrücktes Projekt" bezeichnet, das die Schifffahrt auf dem Bosporus entlasten solle. Auch hier warnen Kritiker vor unabsehbaren Folgen für die Umwelt.

Warnrufe ignoriert

Nicht nur die Proteste der Bürger werden ignoriert, auch Einwände von Stadtplanern, Umwelt- und Denkmalschützern nicht gehört. Dogan Kuban, der renommierteste Istanbuler Stadthistoriker, beklagt in der New York Times, dass Experten nicht zu Rate gezogen werden. Die Regierung, so Kuban, würde vor allem vorislamische Kulturschätze nicht als schützenswert einstufen: "Sie schützen nur Moscheen". Auf dem Ausflugshügel Camlica auf der asiatischen Seite von Istanbul lässt die Regierung derzeit die mit 15.000 Quadratmetern Grundfläche größte Moschee der Türkei Bauen. Auf Erdogans ausdrücklichen Wunsch hin soll das riesige Gotteshaus von überall in Istanbul aus zu sehen sein. Die Opposition spricht von einem Symbol der Islamisierung, vor allem seit ein Minister aus Erdogans Regierung erklärte, die Moschee versinnbildliche die Regierung der islamisch-konservativen AKP.

Längst geht es den Protestierenden auch um die Identität des Landes, die stark von Säkularismus geprägt ist. Die AKP zeigt nicht zuletzt mit ihren Bauprojekten,  dass sie sich eher in den Tradition des Osmanischen Reichs sieht. So soll die neue Bosporusbrücke zum Beispiel Yavuz Sultan Selim-Brücke heißen, der offizielle und gefeierte Baubeginn der Borsporusbrücke war der 560. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels durch das osmanische Heer. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan trägt mittlerweile den Beinamen "Sultan". (mhe, red, derStandard.at, 3.6.2013)