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Kurdische Kämpferinnen an einem Checkpoint bei Qamishli: Rund um die Stadt im Norden Syriens herrscht ein prekäres Gleichgewicht mit der Assad-Armee und Islamisten-Milizen.

Foto: AP / Manu Brabo

In Nusaybin, einer Grenzstadt im Südosten der Türkei, haben die Bewohner die Öffnung des Übergangs nach Syrien an einem Tag der Woche erzwungen. Sie schaffen Impfstoff in die Nachbarstadt Qamishli.

Die Hunde sind es, die Angst machen. Vor den Hunden, die Müll fressen und Kadaver und, so versichern die Einwohner, auch Leichen, die der Krieg hinter sich lässt, fürchten sich die Menschen in Nusaybin. Die Hunde aus der Schwesterstadt bringen die Tollwut, sagen sie. Qamishli liegt drüben im Zwielicht, jenseits des Grenzzauns, der gleich hinter den Häusern der türkischen Stadt Nusaybin beginnt. Die Menschen können nicht mehr frei zwischen den zwei Städten hin- und hergehen, seit der Krieg in Syrien tobt. Die Hunde schon.

Auf eine Million ist die Zahl der Einwohner von Qamishli angeschwollen. Flüchtlinge aus Damaskus und Aleppo sind hier bei ihren Verwandten untergekommen, eingepfercht in Hochhauswohnungen. Nichts funktioniert mehr richtig in der Stadt. Nicht die Müllabfuhr, nicht der Strom. Zwei Stunden am Tag gibt es den, sagt Ay_fe Gökkan, die Bürgermeisterin von Nusaybin und eine der prominenten Kurdenpolitikerinnen der Türkei. Finster fügt sie an: "Vielleicht werden die Menschen in Qamishli am Ende nicht durch den Krieg sterben, sondern durch die Krankheiten."

Qamishli wird von den Kurden regiert, einer wackligen Zweck­allianz zwischen dem Parteienbündnis Kurdischer Nationalrat und der Partei der Kurdischen Demokratischen Union (PYD) mit deren Kämpfern. Draußen vor der Stadt, auf dem Flughafen, hat sich die 154. Brigade verschanzt. Immer wieder bombardiert die Luftwaffe des Regimes von Bashar al-Assad die Dörfer um Qamishli. Dort sind Checkpoints der Kurdenmilizen wie bewaffneter Gruppen, die der Freien Syrischen Armee zugerechnet werden – Jihadisten ebenso wie "reguläre"  Einheiten der FSA. In Ras al-Ayn und Afrin, Städten weiter im Süden, kämpfen Kurden und Islamisten gegeneinander. Noch ist die Millionenstadt Qamishli von einem Krieg der Assad-Gegner unterein­ander verschont.

Dafür steigt die Gefahr von Seuchen. Typhus und Cholera können mit Beginn der Hitze ausbrechen, warnt Ay_fe Gökkan, die Bürgermeisterin der Schwesterstadt, die sich ein wenig von ihrer Mischung aus muslimischen Kurden, Arabern, Syrisch-Orthodoxen, Chaldäern und Armeniern bewahrt hat.

Mittwochs rollt immer ein Hilfskonvoi in die Pufferzone am Grenzübergang zwischen den beiden Städten. 300 Zelte waren diese Woche dabei, vor allem aber Impfstoff. So groß sei der Bedarf an ­Medikamenten, dass die Bewohner von Qamishli kommen, um sich im Niemandsland impfen zu lassen, berichtet die Bürgermeisterin. Doch es ist nie genug da, klagt sie, und Impfstoff für Neugeborene gibt es überhaupt nicht. Die Grenztore gingen im Dezember 2011 plötzlich zu. Das syrische Regime habe es so gewollt, sagt Ankara. Doch Gökkan, die Kurdenpolitikerin, glaubt das nicht. "Es war eine politische Entscheidung. Sie wollten verhindern, dass Kurden auf beiden Seiten gemeinsame Sache machen."

Die Mittwochskonvois haben die Bewohner von Nusaybin erzwungen. Die Grenze, die nach dem Ersten Weltkrieg gezogen wurde und Familien trennte, empfanden sie immer als Abnormalität. Jetzt ist Krieg auf der einen, Frieden auf der anderen Seite. Am Abend knallt es im Himmel über Nusaybin. Ein kleines Feuerwerk geht am Stadtrand hoch. Jemand hat wohl Geburtstag. (Markus Bernath aus Nusaybin /DER STANDARD, 1.6.2013)