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Franjo Tuđman in traditioneller dalmatinischer Tracht. Aufgenommen 1997 in der kroatischen Stadt Sinj.

Foto: reuters

Der erste demokratisch gewählte kroatische Präsident Franjo Tuđman genießt in breiten Teilen der kroatischen Gesellschaft ein hohes Ansehen. Er wird als "der Vater der kroatischen Nation" nicht nur von der politischen Rechten verehrt. Kontroversen rund um seine Person wie auch seine Verfehlungen wurden in Kroatien bis dato kaum diskutiert. Dass sich aus diesem Versäumnis politisches Kapital schlagen lässt, dessen ist sich nicht nur die neue Führung der von ihm gegründeten HDZ ("Kroatische Demokratische Union") bewusst. So wurden im Wahlkampf für die Lokalwahlen in Split und an diesem Donnerstag in Osijek (also kurz vor der zweiten Wahlrunde, die an diesem Sonntag stattfinden wird) medienwirksam neue Tuđman-Statuen enthüllt.

Die erstinstanzlichen Verurteilungen der sechs bosnischen Kroaten durch das Tribunal in Den Haag, in deren Rahmen Tuđman vom Gericht zum Drahtzieher erklärt wurde, wären jedenfalls ein gegebener Anlass, um sich mit Tuđmans Erbe auseinanderzusetzen.   

Teilung Bosniens - großkroatische Ansprüche

Die unrühmliche Rolle Tuđmans im Bosnien-Krieg ist hinreichend bekannt. Der ehemalige kroatische Präsident Stjepan Mesić sprach vor einigen Monaten bei einem Interview in der serbischen Talkshow "Ein Abend mit Ivan Ivanović" (Veče sa Ivanom Ivanovićem)  über das Treffen von Milošević und Tuđman in Karađorđevo (Serbien) vom 25. März 1991. Er erzählte, dass es Tuđman als unfair empfand, dass Vojvodina, "das historisch nie zu Serbien gehörte", an Serbien angeschlossen wird. Daraufhin habe Tuđman großkroatische Ansprüche entwickelt, die Bosnien und Herzegowina als ein autonomes Gebiet Kroatiens vorsahen, sagte Mesić. Bei dem Treffen soll es dann schlussendlich zu einer Einigung zwischen Tuđman und Milošević über die Teilung Bosnien und Herzegowinas zwischen Kroatien und Serbien gekommen sein.

An den Folgen der großkroatischen und großserbischen Ansprüche muss Bosnien und Herzegowina bis heute noch leiden. Die Verantwortung Tuđmans für die "Teilung" Bosnien und Herzegowinas ist zwar durch diese erstinstanzliche Verurteilung (zum Teil) juristisch aufgearbeitet worden.

Die Belastung, die dieses Urteil für das internationale Ansehen Kroatiens, wie auch für die zwischenstaatlichen Beziehungen zu Bosnien und Herzegowina darstellt, muss aber erst noch politisch und innergesellschaftlich in Kroatien aufgearbeitet werden.

Salonfähiger Rassismus und Chauvinismus

Auch Tuđmans rassistische und chauvinistische verbale Ausfälle, in dessen Tradition sich so manch eine PolitikerIn des rechten Spektrums, wie etwa Ruža Tomašić, heute sieht, sollten (wieder) thematisiert werden. Unvergesslich bleiben etwa seine Äußerungen, dass zu seinem Glück seine Frau weder serbisch noch jüdisch sei. Oder seine ambivalenten Aussagen zur Operation "Oluja": Einerseits vergewisserte er den Serben in der Republika Srpska Krajina, dass die Einhaltung der Menschenrechte bei dieser Operation gewährleistet wird, frohlockte aber danach, dass die geflohenen Serben es nicht mal geschafft haben, ihre schmutzige Wäsche mitzunehmen. Oder als er stolz erzählte, dass Knin zu Zeiten Zvonimirs (Dmitar Zvonimir war kroatischer König zwischen 1075 - 1089, sein Regierungssitz war in Knin) eine (ethnisch) "reine Stadt" war.

Primordiale Konstruktion der nationalen Identität

Eine weitere "Altlast" Tuđmans ist die Konstruktion der nationalen Identität, die ohne eine Revision nur schwer mit einer europäischen Identität vereinbar ist: Als Tuđman Anfang der 90er Jahre das Ruder in Kroatien übernahm, war eines seiner großen Anliegen die Schaffung einer kroatischen nationalen Identität, die sich auf die lineare Kontinuität des kroatischen Staates beruft. Diese Art der primordialen (Kontinuität zwischen vormodernen und nationalen Gemeinschaften), ethno-zentrierten nationalen Identität, die Alex J. Bellamy in seinem Buch "The Formation of the Croatian National Identity" als "Franjoismus" bezeichnete, hat sich in weiten Teilen der kroatischen Gesellschaft, aber auch der kroatischen Diaspora etabliert. Konkurrierende nationale Identitätsangebote, wie beispielsweise die französische oder amerikanische Form der "Staats-/Verfassungsnation"  hatten während der Regierungszeit Tuđmans, in einem "Wer gegen die HDZ ist, ist gegen Kroatien"-Klima wenig Chancen auf Entfaltung.

Die Folgen dieser unverarbeiteten ethno-zentrierten Sicht sind bis heute spürbar, wie etwa in Vukovar, wo auf dem Rücken kroatischer Staatsbürger, die einer anderen Ethnie angehören, Politik betrieben wird. Und obwohl sich nach dem Tod von Tuđman diesbezüglich einiges getan hat und insbesondere die derzeitige kroatische Regierung die Idee der "Staats-/Verfassungsnation" verfolgt, ermöglichen in wirtschaftlich schwachen Zeiten die Versäumnisse diese "Altlast" Tuđmans gänzlich aufzuarbeiten, dass mit der Replik auf seine Person Politik betrieben wird. 

Tuđmanismus

Die HDZ setzt unter dem neuen Parteivorsitzenden, Tomislav Karamarko, seit Beginn des Jahres sogar wieder auf den Tuđmanismus. Das ist eine kroatische Variante des Gaullismus, der sich als anti-kommunistisch deklariert und den medialen Fokus auf die Rückbesinnung an die (glorreiche) kroatische Geschichte wie auch auf die Opfer und die Veteranen des Krieges legt. Tuđman wird dabei zur Emanation des "reinen/echten Kroaten" hochstilisiert und jegliche Kritik an ihm als anti-kroatisch angesehen.

Dass mit dieser Politik sogar Wahlen gewonnen werden können, zeigt die EU-Wahl in April, wo die HDZ-Liste die meisten Stimmen erhielt. Bei den Lokalwahlen, die an diesem Sonntag (in der zweiten Wahlrunde) entschieden werden, dürfte der Erfolg zwar mäßiger ausfallen, dennoch kann von einem Wiedererstarken der HDZ gesprochen werden. Ein moderner und ernstzunehmender Staat muss sich mit seiner Vergangenheit konfrontieren. Im Falle von Kroatien ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Rolle Franjo Tuđmans unumgänglich, möchte Kroatien als solch ein Staat international wahrgenommen werden. (Siniša Puktalović, 31.5.2013, daStandard.at)