Bild nicht mehr verfügbar.

Inhaftiertes Mitglied der "Mara 18" in El Salvador, wo der Friedensprozess soeben dem Scheitern entging.

Foto: REUTERS/Ulises Rodriguez

Bild nicht mehr verfügbar.

Ein verurteilter Angehöriger der Jugendgang "Mara Salvatrucha" in seiner Zelle in Honduras, wo die Bandenführung nun ein Friedensangebot machte.

Foto: epa

Vor wenigen Tagen machten inhaftierte Mitglieder der Straßenbanden „Mara Salvatrucha“ und „Mara 18“ von Honduras aus mit der Aussage weltweit Schlagzeilen, sie wollten künftig einen „Waffenstillstand“ einhalten. Sie strebten nach  „Frieden mit Gott und der Gesellschaft“, sagten Vertreter der beiden Banden in getrennten Pressekonferenzen im Gefängnis, die Monseñor Rómulo Emiliani, der Bischof von San Pedro Sula im Norden von Honduras, dort vermittelt hatte. Der Dialog zwischen der Regierung von Kolumbien und den Guerilleros der FARC habe gezeigt, dass „man auch mit  illegalen Gruppen verhandeln könnte“, meinte der Bischof.

Im zentralamerikanischen El Salvador haben die dort verwurzelte „Mara Salvatrucha“ (auch MS-13 genannt) und ihre tödlichen Feinde von der Mara 18 (auch als Barrio 18 bekannt) schon vor über einem Jahr eine Feuereinstellung beschlossen und weitgehend eingehalten. Die von den Regierungen im Gegenzug geforderten Maßnahmen zur Eingliederung in die Gesellschaft (vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen) kommen dagegen kaum voran.

Bis vor kurzer Zeit glaubten die Behörden in den drei zentralamerikanischen Staaten El Salvador, Guatemala und Honduras, dem Übel durch Polizeimaßnahmen mit „harter Hand“ Herr werden zu können. Doch die „Homizid-Rate“, die Anzahl der (absichtlichen) Morde und der Totschläge pro 100.000 Einwohner im Jahr blieb in diesen drei Staaten höher als überall sonst außerhalb von Kriegsregionen.

 Die  in Wien ansässige UN-Behörde zur Bekämpfung der Drogenkriminalität weist in ihrem jüngsten Homizid-Report für El Salvador 69 Tötungsdelikte pro 100.000 Einwohner im Jahr 2011 auf. Am bisherigen Höhepunkt der Bandenkriege im Jahr 2009 lag die Homizidrate  laut UNODC bei 71 (das waren 4349 Fälle von Mord und Todschlag in dem mit sechs Millionen Einwohnern dicht besiedeltem Land.)  Seither ging die Rate aufgrund des Waffenstillstands stark  zurück.

Im größeren Guatemala lag der Wert im Jahr 2011, ebenfalls leicht rückläufig, bei 38,5 (5681 Fälle). In Honduras stieg die Homizidrate 2011 auf unglaubliche 91,6 Fälle pro 100.000 Einwohner, wobei schon die Rate von 82,1 im Jahr 2010 als außergewöhnlich hoch gegolten hatte. (In Österreich beträgt die Homizidrate 0,6, in Deutschland 0,8.)

Bei weitem nicht alles, was in den davon betroffenen Staaten an exzessiver Gewalt geschieht, geht auf das Konto der Jugendbanden. Sie sind aber, neben den Netzwerken der Drogengangster und/oder korrumpierter Polizisten, Militärs und auch Politiker, ein wesentlicher Faktor.

Entstehung auf den Straßen von Los Angeles

US-amerikanische Jugendbanden sind seit Jahrzehnten in Kalifornien aktiv. In der Vier-Millionen-Stadt Los Angeles sind Angehörige  ethnischer und sozialer Gruppen meist in bestimmten Wohnvierteln konzentriert. Arme Afroamerikaner lebten früher zumeist in South Central, wo es immer wieder zu Aufständen mit Dutzenden Toten kam. In ihrer aussichtlosen Lage verfielen immer mehr Afroamerikaner der Droge „Crack“. Für die Lieferung des Rauschgifts zum Endverbraucher waren in erster Linie Angehörige von Jugendbanden zuständig. Diese waren in Los Angeles schon seit den 1960er-Jahren aktiv und hatten eine eigene Gang-Kultur entwickelt. Afroamerikanische Jugendliche einer Nachbarschaft (kurz „hood“) genannt, taten sich zu Gruppen von „homeboys“ oder „homies“ zusammen. Erklärtes Ziel war es „to gain respect“. Erreicht wurde dieser in den Texten der Gangsta-Rapper verherrlichte Respekt der Umwelt aber vor allem dadurch, dass diese in Angst und Schrecken versetzt wurde. Dafür waren die Bandenmitglieder „zu rauben und zu morden bereit“.

Hauptfeinde der „Homies“ waren die Mitglieder konkurrierender Banden. In L.A. standen den blau gekleideten „Crips“ die „Bloods“ in roten Outfits gegenüber. Die bevorzugte Methode, einen Feind auszuschalten war es, diesen aus einem vorbeifahrenden Auto zu erschießen – das „drive-by shooting“.

Jugendliche mexikanischer Abstammung hatten ihre eigenen Banden. Aus anderen lateinamerikanischen Ländern stammende Jugendliche nahmen sie nicht auf.

In den 1980er-Jahren erreichte der Bürgerkrieg in El Salvador seinen Höhepunkt. Die Truppen autoritärer, unter dem Einfluss rechtsextremer Kreise stehenden  Regierungen kämpften gegen die linksrevolutionäre Guerillavereinigung FMLN. Todesschwadronen, die mit der Rechten in Verbindung standen, terrorisierten mit grausamen Mordaktionen die Bürger. Es gab 70.000 Tote. Viele Menschen flüchteten ins Ausland.  

Laut dem US-Zensusbüro sollen bis zum Jahr 2000 an die 700.000 Salvadorianer zumeist illegal in die USA gekommen sein, davon bis zu 500.000 nach L.A. Unter ihnen waren viele traumatisierte Jugendliche, die die Ermordung von Menschen, in manchen Fällen der eigenen Eltern, miterlebt hatten. Ihre Familien waren auseinandergerissen worden; manche der halben Kinder waren in L.A. auf sich selbst gestellt. Aus Gruppen, die zum Inhalieren von Klebstoff und anderen Betäubungsmitteln zusammenkam, bildete sich die erste Mara in L.A., die für bis dahin unbekannte Gewaltexzesse verantwortlich gemacht wurde.

„Maras“ oder „Pandillas“ hatte es in El Salvador schon lange gegeben. So nannte man auch die Anhängergruppen von Fußballklubs und sie waren allenfalls kleinkriminell. Ganz anders die neue „Mara Salvatrucha“: Viele der 14- bis 24-Jährigen und zumeist männlichen Jugendlichen trugen den Kopf  kahl rasiert, ihr Körper war über und über mit den Symbolen der Gang tätowiert. Vor der Aufnahme und bei Verletzung der strikten Loyalität wurde ein Mitglied von den übrigen 13 Sekunden lang brutal verprügelt, was der Ursprung für das Signet MS-13 sein soll. Ihre Mitglieder, die Homies, lebten in kleinen Gruppen, den Clikas, zusammen. Vor der endgültigen Aufnahme in die Bande soll von den Bewerbern verlangt worden sein, vor Zeugen einen Mord zu verüben, um die Unterwanderung durch Polizeispitzel zu verhindern. Für die Mitglieder wurde die Gang zur „Familie“, zum Ersatz für die Eltern.

Die Bezeichnung Mara soll von der lateinamerikanischen Killerameise Marabunta kommen. Salvatrucha setzt sich aus einem Kürzel für Salvadoreno und dem Wort trucha zusammen, das schlicht mit „Forelle“ übersetzt werden kann. Laut Wörterbuch steht es aber auch für „schlauer, gerissener Kerl“. Deshalb habe ich die Bezeichnung  „Bande schlauer Salvadorianer“ verwendet (u.a. in Texten für das „Outlaws“-Projekt der Lateinamerika-Forschungsgruppe KONAK und in einer Arbeit für die eben abgehaltene österreichische Lateinamerikanistenkonferenz, von denen dieser Blogeintrag eine auszugsweise Zusammenfassung ist). Die MS-13 folgte bei ihren Gang-Aktivitäten den Englisch sprechenden Vorbildern, brachten aber auch zentralamerikanischen Straßenslang und eine – von Kämpfern in Zentralamerika aufgeschnappte und nun bei Überfällen eingesetzte – geheime Zeichensprache ein.

Zum Hauptfeind wurden, wie bei den Afroamerikanern, Mitglieder konkurrierender Gangs. In  der 18. Straße der Polizeibezirks Rampart, hatte sich eine dort schon lange aktive Gang mit Mitgliedern von zunächst ausschließlich mexikanischer Herkunft in den 1980er Jahren für Zentralamerikaner geöffnet. Aus der Gang mit dem Namen „Calle 18“ oder auch „Barrio 18“  wurde so die „Mara dieciocho“. Wer dort eintrat, galt den „homies“ der Mara Salvatrucha als Verräter. Zeigte sich so jemand im eigenen Revier, wurde er mit dem Tod bestraft. Damit verlegte sich die Brutalität zentralamerikanischer Bürgerkriege in die Straßen von Los Angeles.

Boom der Banden in Zentralamerika

Ab 1996 reagierten die Polizei- und Justizbehörden der USA auf die zunehmende Gewalttätigkeit der Latino-Gangs mit einer drastischen Maßnahme: Eines Verbrechens überführte Mareros wurden in ihre Herkunftsländer deportiert. Es dürften mehrere Zehntausend gewesen sein.

In Zentralamerika, und da zuerst in El Salvador, kehrten die neu angekommenen Mareros nicht in die Wohnorte ihrer Familien zurück, sondern gründeten im kriminellen Untergrund der Städte Ableger ihrer Gangs und heuerten neue Mitglieder an. „Die salvadorianische Version der MS-13 und der M-18 waren wie eine Vulkaneruption krimineller Gewalt“, schreibt der Autor Tom Diaz. „Ganze Stadtteile gerieten unter ihre Kontrolle.“ Ihre Aktivitäten:  Graffiti-Malerei, kleine Diebstähle bis zu Raubüberfällen, Drogenhandel, Schmuggel, Erpressung und Mord. Was das Alter der Bandenmitglieder betrifft, so heißt es: „Zwei Drittel der Mareros sind zwischen 16 und 21 Jahren alt, es gibt jedoch auch Neun- und Siebenjährige unter ihnen. Mädchen und Frauen machen nur ein Fünftel der Bandenmitglieder aus.“

Während die Drogenkartelle zumeist im Geheimen operieren, produzieren sich die Maras öffentlich. Auf zuviel Öffentlichkeit können Mareros aber auch aggressiv reagieren. So geschah es Christian Poveda, einem spanisch-französischen Dokumentarfilmer in El Salvador. Poveda verbrachte etliche Monate mit Mitgliedern der „Mara 18“, filmte die Initiationsriten, den Umgang mit Drogen und auch Begräbnisse. An einer Stelle erzählt ihm ein Mädchen, die als kriminelles Bandenmitglied im Gefängnis sitzt, dass sie  ihre eigenen, kleinen Kinder vermisse. Um dann zu sagen, dass sie wieder zu töten bereit wäre, wenn ihr ein feindliches Bandenmitglied, über den Weg läuft. Die Filmdokumentation  „La vida loca“ kam 2008 heraus. Obwohl Poveda gehört hatte, dass die M-18 über seine Darstellung des Bandenlebens verärgert war, kehrte er 2009 nach El Salvador zurück. Am 2. September wurde er auf der Straße überfallen und, vermutlich von einem Marero, erschossen.

Lange Zeit wurden sie in El Salvador und anderen zentralamerikanischen Staaten schon wegen ihres Aussehens verfolgt. Die Behörden versuchten mit immer schärferen Kampagnen, die Namen wie „Mano dura“ (“Harte Hand“)trugen, die Banden zu zerschlagen. In El Salvador wurde noch im Februar 2010 die Armee in Hochburgen der Maras geschickt.

Inzwischen sind sich aber auch die für die öffentliche Sicherheit Verantwortlichen zunehmend darüber klar geworden, dass sie nicht alle Mareros und ihre Sympathisanten ins Gefängnis werfen können. Unter den Bezeichnung „Mano amiga“ wurden Programme ins Leben gerufen, die einigen aufgabebereiten Mareros durch das Angebot von Berufsausbildung und der aufwändigen Entfernung der Tätowierungen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft erleichtern sollen. Die Erforschung ihrer „Kultur“ und Sprache sind dabei Elemente zum besseren Verständnis dieses Phänomens.

„Unter anderen politisch-gesellschaftlichen Umständen“, so  schreibt der Jugendforscher Manfred Liebel, „hätten viele Jugendliche, die sich in Maras und Pandillas zusammenfanden, vermutlich andere, weniger destruktive und gewalttätige Ausdrucksformen gefunden und sie hätten sich Bewegungen angeschlossen, die auf eine Veränderung der Lebensumstände zielen.“

Um diesen humanistischen Aspekt ging es auch im März 2012 beim bisher aussichtsreichsten Versuch, die Gewaltspirale zu durchbrechen. Bei einer Messe in einem mit verurteilten Mareros überfüllten Gefängnis in El Salvador machte  ausgerechnet der für das Militär und die Nationalpolizei zuständige Bischof Fabio Colindres den Outlaws, die ja auch Menschen seien, ein Friedensangebot. Gemeinsam mit Raúl Mijango, einem ehemaligen Guerillakämpfer und späteren  FMLN-Abgeordneten, vermittelte der Bischof einen „Waffenstillstand“ zwischen den beiden größten Banden MS-13 und M-18. Die Regierung Funes, die auch in den Friedensprozess eingeschaltet wurde, bot reumütigen Mareros unter El Salvadors verurteilten Verbrechern bessere Haftbedingungen an. Offenbar am Ende ihrer Kräfte willigten die Bandenkrieger in einer – wenn auch nicht durchgehende eingehaltenen – Waffenruhe in mehreren Städten ein.

Im April meldete El Salvadors Nationalpolizei, dass es im ersten Trimester 2013 um 554 Morde weniger gegen habe als die 1069 im Vergleichszeitraum 2012.

Mitte Mai stand in El Salvador der Friedensprozess wieder auf der Kippe, weil das Höchstgericht einige von den Banden als Vermittler erwünschte Persönlichkeiten nicht bestätigen wollte. Nach einigen Tagen mit höchster Nervosität gaben Sprecher der Maras bekannt, dass sie den Verhandlungsprozess fortsetzen wollten. Und kurz darauf gaben auch die Maras von Honduras ihr Waffenstillstandsangebot bekannt. (Erhard Stackl, derStandard.at, 31.5.2013)