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Am Sonntag und Montag hatten die Italiener bei Teilkommunalwahlen in 154 Gemeinden wieder die Möglichkeit, ihre Meinung zur aktuellen Lage der Politik auszudrücken. Im Rahmen eines Wien-Besuchs sprach der sozialdemokratische Turiner Bürgermeister Piero Fassino mit Gianluca Wallisch über die Krise der italienischen Parteien, die wirtschaftlichen Probleme des Landes und warum sich Wien um die Austragung von Olympischen Spielen hätte bewerben sollen.

derStandard.at: Die Italiener haben dem Protestpolitiker Beppe Grillo einen Denkzettel erteilt, sind aber auch in Scharen nicht zur Wahl gegangen. Geben die Ergebnisse der aktuellen Teil-Kommunalwahlen ein akkurates Bild von der Stimmung im Land wieder?

Fassino: Gewählt wurde in großen, mittleren und kleinen Gemeinden; im Norden, im Zentrum und auch im Süden. Zur Wahl sind sieben Millionen Italiener gegangen. Ich denke daher, dass die Wahl absolut aussagekräftig ist.

derStandard.at: Und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Fassino: Es gibt wohl zwei Tendenzen. Zum einen manifestiert sich einmal mehr ein Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Politik. Daran besteht kein Zweifel. Das sieht man vor allem in der massiven Stimmenthaltung, vor allem in Rom. Zum anderen wird durch diejenigen, die doch wählen gegangen sind, klar, dass meine Partei, der Partito Democratico, eine Bestätigung erfahren hat. Die Rechte von Silvio Berlusconi hingegen scheint besiegt. Das gilt in noch stärkerem Ausmaß für die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo, die im Vergleich zur Parlamentswahl vor drei Monaten mehr als die Hälfte ders Wähler verloren hat.

derStandard.at: Was bedeuten diese Wahlen für die Politik auf nationaler Ebene?

Fassino: Dieses Ergebnis stabilisiert die Regierung von (Fassinos Parteifreund, Anm.) Enrico Letta und führt die Rechte nicht mehr in Versuchung, vorgezogene Wahlen vom Zaun zu brechen. Ich sehe das sehr positiv. Wie alle großen Koalitionen ist auch diese Regierung aus einer Notwendigkeit geboren. Weder die Linke noch die Rechte allein können momentan allein regieren. Wir hatten wegen Grillos Weigerung, an einer Regierung mitzuarbeiten, keine andere Wahl. Letta ist ein glaubwürdiger und fähiger Ministerpräsident. Er hat nicht nur in Italien, sondern auch im Ausland ein gutes Renommee. Seine Strategie scheint mir die richtige zu sein: Am Sparkurs festzuhalten, aber nicht darauf zu vergessen, dass man auch investieren muss, um wachsen zu können.

derStandard.at: Wurde Grillo eine Lektion erteilt, weil er sich de facto geweigert hat, am demokratischen Diskussionsprozess teilzunehmen?

Fassino: Ich denke in der Tat, dass der größte Teil der Nicht-Wähler diesmal ehemalige Grillo-Wähler sind. Seine Leute im Parlament haben das in sie gesetzte Vertrauen dazu genützt, sich aus dem politischen Prozess auszuklinken. Viele sind enttäuscht von dieser  Politik des "Nein" ohne Lösungsvorschläge. Sie haben abgewandt, indem sie keine Stimme mehr abgegeben haben. Ihr Verhalten ist sehr wohl eine starke und vehemente Aufforderung, etwas zu ändern und Antworten zu geben. Wir Politiker müssen diese Aufforderung verstehen lernen.

derStandard.at: Die "alten" Parteien haben es aber auch nicht geschafft, diese Wähler neuerlich anzusprechen ...

Fassino: Nein, aber ich sehe diesen Trend dennoch positiv. Grillo hatte letztlich nur eine Ansammlung populistischer Slogans anzubieten. Dafür wurde er jetzt bestraft.

derStandard.at: Welche Taktik müsste jetzt Ihr Partito Democratico anwenden, um wieder zu mehr Erfolg zu kommen?

Fassino: Wir brauchen ein Umdenken, eine Revidierung der Politik dieser letzten Jahre. Wir haben eine Politik des rigorosen Sparens erlebt, die kein Wachstum kennt. Das reicht aber nicht. Die Bürger verlangen Sicherheit. Sie wollen leben können von dem, was sie tun. Diese Perspektive kann man aber nur geben, wenn es Wachstum und Entwicklung gibt.

derStandard.at: Italien hat aber da etwa in Deutschland jemanden, der da gern widerspricht und auf noch strikteres Sparen drängt ...

Fassino: Ja, aber ich glaube, dass sich in Europa schön langsam der Wind dreht. Wir haben das gesehen mit der Wahl von François Hollande in Frankreich. Und auch in Italien gab es eine Veränderung: Statt Mario Monti haben wir nun Enrico Letta. Schön langsam dämmert es allen, auch denen in Deutschland, dass eine reine Sparpolitik absolut unzureichend ist. Gerade in Berlin darf man nicht vergessen, dass die Kraft Deutschlands nicht daraus resultiert, dass man allein, sondern Teil Europas ist. Deutschlands größter Markt ist und bleibt Europa. Daher kann auch Deutschland kein Interesse an Stagnation oder gar Rezession in Europa haben, denn das würde auch die deutschen Interessen betreffen. Auch in Berlin sieht man langsam ein, dass man flexibler sein muss. Wir brauchen einen flexibleren Stabilitätspakt, der endlich laufende Kosten von Investitionen trennt.

derStandard.at: In Kürze wird der Partito Democartico einen neuen Vorsitzenden wählen. Pier Luigi Bersani ist zurückgetreten, und Guglielmo Epifani ist ja nur eine Interimslösung. Welche Eigenschaften muss Ihr künftiger Chef aufweisen?

Fassino: Zunächst möchte ich betonen, dass Epifani eine sehr gute Wahl ist. Er ist kompetent, und er verbindet anstatt zu trennen. In unserer Partei hat es in der Vergangenheit mitunter sehr lebhafte, teils auch sehr harte Führungsdebatten gegeben. Epifani bringt jetzt mehr Ruhe und Gelassenheit in das System. Auch ein Kandidat für die definitive Parteiführung muss so jemand sein, der Einigkeit schafft. Zuallererst muss ein Chef intern für Ruhe sorgen, dann muss er das Vertrauen der Italiener gewinnen können. Ich wünsche mir für den Parteitag (im Herbst, Anm.) eine Atmosphäre der Diskussion, nicht der Gegensätze.

derStandard.at: Epifani könnte sich also nicht bloß als Zwischenlösung anbieten? Dabei hatte er doch selbst gesagt, er wollte den Job gar nicht ...

Fassino: Die Möglichkeit gibt es immer. Nun hat er erst mal das Mandat, die Partei bis zum Kongress zu führen. Es liegt dann an ihm, ob er antreten will oder nicht.

derStandard.at: Matteo Renzi, Ihr Bürgermeister-Kollege in Florenz, wird da immer wieder als heißer Tipp gehandelt. Ist er ein Mann der Einigung oder des Widerspruchs?

Fassino: Renzi ist mit 38 Jahren ein Mann der jungen Generation. Er hat ein großes kommunikatives Talent und ein sehr feines Sensorium für die Sorgen und Interessen der Bürger. Das und mehr macht einen Leader aus. Er ist mit Sicherheit eine Option für die Zukunft der Partei.

derStandard.at: Wie sieht es mit einer Frau an der Spitze der Partei aus?

Fassino: Auch das ist eine Möglichkeit.

derStandard.at: Nennen Sie mir doch einen oder zwei Namen!

Fassino: Ich will jetzt nicht damit beginnen, eine lange Liste zu erstellen. Unsere Partei ist eine Gruppierung, in der es nicht nur kompetente und anerkannte Männer, sondern auch Frauen gibt. Wir haben viele Angebote aus den verschiedenen Generationen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen.

derStandard.at: Sie besuchen in diesen Tagen Wien. Hier gab es bis vor kurzem eine lebhafte Diskussion über eine Olympia-Bewerbung, zu der es nach einer Volksbefragung aber nicht kommen wird. Turin im Jahr 2006 selbst die Erfahrung von Olympischen Spielen gemacht. Was hätten Sie den Wienern geraten?

Fassino: Natürlich hätte ich zu einer Kandidatur geraten, keine Frage. Solche globalen Ereignisse sind einfach eine hervorragende Gelegenheit für Investitionen in die Stadt, für Modernisierung, für Tourismus, für Infrastruktur, für wirtschaftliche Entwicklung, für den Arbeitsmarkt. Turin hat mit Olympia 2006 einen großen Sprung nach vorn gemacht, die Stadt ist seitdem nicht mehr jene, die sie vorher war. Diese 15 Tage haben die Stadt für immer zum besseren verändert. Und Wien hätte alle Voraussetzungen für eine Olympia-Stadt. (Gianluca Wallisch, derStandard.at, 28.5.2013)