Kristalle eines bakteriellen Proteins: In Form gebracht, lassen sich ihre Strukturen analysieren.

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Ihre Vielfalt ist atemberaubend. Proteine gibt es in zahllosen Größen und Variationen, von kleinen fadenförmigen Strukturen bis hin zu hochkomplexen Enzymen mit mehrfacher Funktion. Die Basis ist jedoch immer gleich. Die Eiweißmoleküle bestehen in erster Linie aus Aminosäurenketten. Ihre Produktion erfolgt nach in der DNA festgelegten Codes. Ribosomen, kleine Organellen in der Zelle, lesen DNA-Transkripte ab und reihen dabei eine Aminosäure nach der anderen aneinander. Die Ketten werden anschließend weiterverarbeitet.

Die Macht der Proteine liegt in ihrer dreidimensionalen Struktur begründet. Durch die Bildung von Schwefelbrücken und weiteren Bindungen zwischen einzelnen Kettenabschnitten entstehen Faltungen, Kurven und Einbuchtungen. In vielen Fällen dienen solche Strukturen zum Andocken von anderen Molekülen. Wie und wann dadurch biochemische Reaktionen zustande kommen, ist aber oft noch ungeklärt.

Moleküle in Reinform

Die Biologin Kristina Djinovic-Carugo geht solchen Geheimnissen auf den Grund. Zusammen mit ihrer Arbeitsgruppe untersucht die an den Max F. Perutz Laboratories tätige Forscherin Struktur und Funktion von Spezialproteinen. Daraus kann man wertvolle Schlüsse ihre Rolle bei der Entstehung von Krankheiten ziehen. Ein weites Feld. Um solche Eiweißmoleküle bis ins kleinste Detail studieren zu können, müssen sie allerdings in ausreichender Menge vorliegen, aktiv und in Reinform. Und das ist leichter gesagt als gewährleistet.

Um die Methodik der Proteinsynthese im Labor zu verbessern, wurde 2010 unter Leitung von Kristina Djinovic-Carugo das Laura-Bassi-Zentrum zur Optimierung von Strukturstudien, kurz COSS, gegründet. Vergangene Woche wurde bekanntgegeben, dass es von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG für weitere drei Jahre mit einer Million Euro unterstützt wird. Die acht vom Wirtschaftsministerium geförderten Laura-Bassi-Zentren werden allesamt von Frauen geleitet.

Das COSS-Team nützt zur Proteinherstellung in erster Linie kultivierte Koli-Bakterien (Escherichia coli). Die Einzeller bekommen den genetischen Code für die Produktion eines bestimmten Eiweißmoleküls - oder einen Teil davon -, eingepflanzt, und legen los. Dieses Verfahrensprinzip ist relativ leicht umzusetzen und vergleichsweise kostengünstig. Es hat jedoch auch einige Nachteile. Viele Proteine können nicht ohne weiteres von bakteriellen Zellen hergestellt werden. Oft fehlen ihnen die notwendigen Enzyme, oder das Produkt ist für die Bakterien gar giftig. In vielen Fällen sind die in großer Zahl produzierten Eiweißmoleküle zudem nicht gut löslich. Sie klumpen in der Zellflüssigkeit, dem Zytoplasma, zusammen und bilden sogenannte Einschlusskörper.

Es werden gleichwohl nicht immer komplett angefertigte Moleküle zu Forschungszwecken benötigt. Wesentliche Strukturmerkmale und Wirkungsmechanismen lassen sich auch anhand einzelner Funktionseinheiten studieren. Die Proteine werden dazu praktisch schon vor ihrer Synthese seziert. Die Forscher verabreichen den Bakterien nur die für einen bestimmten Teilbereich codierende DNA. Die Grenzen solcher Domänen entsprechen meist natürlichen Übergangspunkten. Einige Eigenschaften von Protein-Untereinheiten sind jedoch überaus variabel, je nachdem, an welchen Stellen das Gesamtmolekül zerlegt wird.

Um dieses Problem zu umgehen, können die Wissenschafter die Schnittpunkte verschieben oder auch kleinere Veränderungen in der Aminosäurensequenz an den Enden des jeweiligen Abschnitts einbauen. Wie die Auswirkungen solcher Eingriffe sind, lässt sich aber meistens nicht exakt vorhersagen, betont Djinovic-Carugo. Dementsprechend sei es sinnvoll, zunächst möglichst viele leicht verschiedene Varianten einer gewünschten Domäne herzustellen und ihre spezifischen Eigenschaften einzeln zu betrachten. Anschließend wird die optimale Form produziert. So lässt sich nicht nur die Synthese optimieren, sondern es lassen sich auch die Kristallisationseigenschaften von Proteinen oder deren Teilbereichen verbessern, was wiederum der späteren Strukturanalyse zugutekommt.

Synthese im Baukasten

Zusätzlich zur Proteinproduktion mithilfe von Bakterien und anderen Zelltypen setzen die Wiener Experten noch ein weiteres Verfahren ein: die Polypeptid-Synthese in zellfreien Systemen. Diese Methode beruht auf einer Art Baukastensystem. Man entnimmt Zellen die für die Proteinherstellung erforderlichen Bestandteile und lässt sie in einem Reaktionsgefäß ihre Arbeit verrichten. Der Ansatz hat einige Vorteile. Bei der Zugabe von DNA und Grundstoffen für die Reaktionen muss nichts durch eine Zellwand geschleust werden. Schwierigkeiten mit toxischen Produkten oder mit der Bildung von Einschlusskörpern lassen sich ebenfalls vermeiden.

Auch als Basis für die Zusammensetzung zellfreier Systeme verwenden die COSS-Experten Escherichia coli. Die Zellen werden in einer physikalischen Hochdruckpresse aufgebrochen, anschließend wird deren Inhalt verarbeitet. "Was man haben will, ist eine vereinfachte Suppe mit allen notwendigen Molekülen und natürlich den Ribosomen", erklärt Kristina Djinovic-Carugo. Danach braucht man im Prinzip nur noch die DNA sowie Energie liefernde Stoffe zuzugeben. Einige besondere Proteine lassen sich jedoch nicht in bakteriellen Mischungen herstellen. Stattdessen kommen Extrakte aus Insektenzellen, Kaninchen-Blutkörperchen oder Weizenkeimen zum Einsatz. Das Volumen zellfreier Systeme erreicht derweil schon beachtliche Ausmaße. Bis zu 100 Liter Reaktionsgemisch wurden bereits erfolgreich getestet. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 29./30.05.2013)