Sparsamster Einsatz von Farbe: Mathias Poledna, ausgewählt von Jasper Sharp, vor dem österreichischen Pavillon.

Foto: AnnA BlaU

Es ist nicht leicht, der beste Pavillon zu sein, 88 Länder inner- und außerhalb der Giardini, der berühmten Gärten Venedigs, wetteifern um Aufmerksamkeit und Goldene und Silberne Löwen, da werden Pavillons halb abgerissen, verhängt, verbaut, verspiegelt, oder (h)ausgetauscht, so wie es die Franzosen und Deutschen gutnachbarlich gemacht haben, Frankreich residiert in Germania, Deutschland in France.

Aber ganz so simpel ist die deutsch-französische Kunstfreundschaft nicht; denn die französische Kuratorin Christine Macel hat für den deutschen Pavillon den albanischen Künstler Anri Sala engagiert, die deutsche Kuratorin Susanne Gaensheimer, die vor zwei Jahren mit dem Monumental-Memorial für Christoph Schlingensief den Goldenen Löwen gewann, präsentiert im französischen Pavillon den Chinesen Ai Weiwei, die Inderin Dayanita Singh, den Südafrikaner Santu Mofokeng und, wie ein Missing Link dieser Rochade, Romuald Karmakar, einen Deutschen mit französischem Pass. Die Idee zum Tausch ist nicht unbedingt neu, schon 1948 wurde auf der ersten Biennale nach dem Krieg bei den Deutschen französischer Impressionismus ausgestellt.

Diesmal, 55 Jahre später, ist die deutschfranzösische Gastfreundschaft von den auswärtigen Ämtern der beiden Länder als Geste zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages ausgedacht und von den beiden Kuratorinnen gern angenommen worden. In den martialischen deutschen Pavillon hat Sala eine bombastische Klangspirale gebaut; auf Filmprojektionen sind Konzertaufzeichnungen und Remixes von Maurice Ravels Klavierkonzert für die linke Hand zu hören und sehen: Ravel Ravel und Unravel bezieht sich nicht nur auf den Komponistennamen, sondern spielt mit den englischen Begriffen "to ravel" (verwirren) bzw. "to unravel" (entwirren) .

Ein Gewirr aus Hunderten Schemeln, übereinandergeschichtet und ineinander verkeilt, herrscht gegenüber im französischen Pavillon. Um dieses selbsttragende System probeweise aufbauen zu können, hat Ai Weiwei, der zur Biennale nicht anreisen durfte, wohl aber dessen Mutter und Schwester, außerhalb Pekings den französischen Pavillon maßstabgetreu nachgebaut.

Der Culture Clash, das Aufeinandertreffen traditioneller Kultur mit globalen Interessen, die Veränderung unserer Lebensrealitäten ist auch Thema der anderen, von Gaensheimer ausgewählten Künstler: So etwa fotografierte der Südafrikaner Santu Mofokeng ehemalige Grabstätten, die von internationalen Firmen in Besitz genommen wurden für Kohlegewinnung oder Fracking. Oder Höhlen, die während der Apartheid als geheime Kultstätten genutzt wurden. Chasing Shadows nennt er es, Schattenjagen, " es sind die Geister, die er fotografiert und man kapiert, dass man nichts kapiert", sagt Gaensheimer.

Dunkelstes Schwarz

"How do you get here?" Künstlerische Befragung von Tradition und Gegenwart, alten Techniken und neuen Mitteln, von Handwerk und Industrialisierung, Massenkultur und Exportkunst, auch in dem von Jasper Sharp kuratierten österreichischen Pavillon. Doch zuerst einmal sieht man: fast nichts. Den Künstlernamen, Mathias Poledna, im Eingangsbereich. In den Seitenflügeln zwölf zarte Zeichnungen mit Bleistift auf Zeichentrickpapier, sparsamster Einsatz von Farbe. Um die Ecke dunkelstes Schwarz. Ein Mensch leuchtet den Weg.

Kein Ausblick in den Garten, trotzdem Vogelgezwitscher und Blumen und blitzblauer Himmel. Künstliche Natur. Imitation of Life. Mit seinem perfekten 35-Millimeter-Musical-Zeichentrick-Märchenfilm hat der in Los Angeles lebende 48-jährige Österreicher die Filmkunst der 1930er-Jahre wiederbelebt.

Dass der aufwendig produzierte Film realisiert und Österreichs Biennale- Beitrag werden konnte, verdankt sich, so Poledna, einem glücklichen Zufall: "Ich bin normalerweise niemand, der über seine Projekte all zu viel spricht. Ich konzentriere mich lieber auf die Arbeit und behalte meine Pläne für mich. Weil es aber so kompliziert war, vor allem handwerklich, habe ich mich aber von dem Projekt schon verabschiedet und deshalb Jasper davon erzählt - noch bevor ich überhaupt hierher eingeladen war. Ihn hat dann offenbar wohl gereizt, etwas Unrealisierbares möglich zu machen." Die Kunst liegt im Detail. Poledna zeichnete alle Charaktere, die in Handarbeit von insgesamt 75 Animationskünstlern umgesetzt wurden. Die Musik wurde von einem 52-köpfigen Orchester in den Studios der Warner Brothers auf einer historischen Bühne aufgenommen.

"Mich interessierten die Dreißigerjahre, der Zusammenhang von Unterhaltungsform und ökonomischen Bedingungen. Es waren wirtschaftlich extrem schwierige Zeiten, in denen eskapistische Formen von Unterhaltung entstanden, sich rasch entwickelten. Und dabei auch viele Elemente älterer Kultur absorbierten, in dem Fall eben Märchen- und Fabelwesen, Musical, Malerei, Populärmusik. Eine komplexe Mischung, manche Dinge waren sehr avantgardistisch, manche regressiv. Diese Kombination fand ich interessant."

Arthur Freeds und Herb Nacio Browns neu arrangierter Song I've Got a Feelin' You're Foolin' datiert übrigens aus dem Jahr 1935 - ein Jahr vorher wurde der österreichische Pavillon eröffnet. Und 1934 lief auf dem Lido bei den Filmfestspielen von Venedig ein dreiminütiger Zeichentrickfilm der Warner Brothers. Der gewann damals einen Preis. Jasper Sharp will das allerdings nicht als Omen für die Löwen-Vergabe am Samstag verstanden wissen. Ziemlich sicher ist hingegen, dass der österreichische Pavillon - ungeachtet der künstlerischen Präzision und schnörkellosen Präsentation - für alle Eltern, die mit Kinderbegleitung nach Venedig kommen, der beliebteste sein wird.

"How do you get here?", piepst das Vögelchen. Eine Frage, die sich auch Biennale-Besuchern immer wieder stellt. Und so wie bei Poledna das solcherart befragte Wesen beim Blick ins Wasser im eigenen Spiegelbild das Andere in sich erblickt, mal Esel ist, mal Fisch; so offenbaren sich bei der Kunstbetrachtung auch Abgründe der eigenen Seelen- und Gefühlslandschaft. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 29./30.5.2013)