Leuchtend in der Farbe, blumig im Duft, erfrischend im Geschmack: Darjeeling First Flush gilt als idealer Schwarztee für warme Tage. Was bei der Ernte zu beachten ist,  haben wir vor Ort in Darjeeling erkundet

In Darjeeling trinkt man zum Frühstück Assam. Der "Morning Tea", der auf Tumsong, einer der ältesten Teeplantagen Darjeelings, in stockfinsterer Nacht um vier Uhr früh ausgeschenkt wird, besteht aus frischem Ingwer, schwarzem Pfeffer, CTC und Milch. CTC steht bei Tee-Experten für "Crush, Tear, Curl" (zerbrechen, zerreißen, rollen, Anm.) – die industrielle Teeproduktionsmethode, nach der fast der gesamte Schwarztee weltweit hergestellt wird.

Hier ist es kräftig-malziger Assam aus dem Filterbeutel, der das Wasser binnen Sekunden dunkelbraun färbt. Größer könnte der Tee-Kontrast hier, mitten im renommiertesten Schwarztee-Anbaugebiet der Welt auf ca. 1200 m Seehöhe, nicht sein. Auf Tumsong, mit Blick auf den Kangchendzönga, den dritthöchsten Berg der Erde, wurde Ende März mit der ersten Darjeeling- Ernte des Jahres begonnen.


In Darjeeling kann aufgrund der steilen Lagen nur händisch gepflückt werden. Pflückerinnen knipsen die obersten zwei Blätter und die noch geschlossene Blattknsope - two leaves and a bud - mit den Fingerspitzen ab.

Der zarte "First Flush" ist rar, aufwändig in der ausschließlich händischen Ernte, heikel in der Produktion und dementsprechend teuer. Nur 10.000 Tonnen Darjeeling werden in vier Erntezeiträumen von März bis November – First Flush, In-Betweens, Second Flush und Autumnals genannt – auf den insgesamt 87 Plantagen der eng umgrenzten Region produziert. Auf dem Weltmarkt aber werden 40.000 Tonnen als "Darjeeling" gehandelt. Der Rechenfehler erklärt sich, wie bei allen kostbaren Gütern, durch Fälschung und Betrug. Nur 2,5 Promille der Welt- Teeproduktion von gut vier Millionen Tonnen stammen wirklich aus Darjeeling.

Duft nach Waldmeister, Heu und tropischen Blüten

Es ist immer noch finster, als der Jeep über die ungesicherten Trassen von Tumsong zur Nachbarplantage Marybong brettert. Die Teegärten sind mit bis zu 45 Grad Neigung so steil, dass Ungeübte sich kaum aufrecht halten, geschweige denn sorgfältig "two leaves and a bud" – zwei Blätter und eine Knospe – pflücken könnten. Diese außergewöhnlich hohen und steilen Lagen sind aber die Grundlage für den nicht zufällig als besten Schwarztee der Welt bezeichneten Darjeeling.

Marybong gehört wie Tumsong zur Chamong- Gruppe, dem größten Produzenten von Bio-Tee. Manager Vijay Kumar wirkt bei der Ankunft um kurz vor fünf Uhr früh unruhig: "Die 172 Kilo Teeblätter, die wir gestern Vormittag geerntet haben, welken jetzt seit 16 Stunden", erklärt er, und zeigt auf die fast flauschig wirkenden langen Bahnen aus Teeblättern auf Drahtgittern. Sie sind jetzt bereit zur Verarbeitung, jede Minute zählt. Der Duft in der Halle ist überwältigend. Blumig, fast tropisch, zart an Waldmeister, Heu und Frangipani- Blüten erinnernd, ungemein animierend und fröhlich stimmend, trotz der Neonbeleuchtung und hektischen Arbeiter.

Kumar fasst mit beiden Händen in die angewelkten, geschmeidigen Teeblätter, die seit gestern zwei Drittel ihrer Feuchtigkeit verloren haben, und führt sie dicht an die Nase. Sein Blick geht nach innen. Die hinter dem Berg Blätter und der Brille gerade noch sichtbaren Augen lächeln. Sekunden später schaufeln vier Männer die "Erste Pflückung" händisch in große Säcke, um sie ein paar Meter weiter zum Rollen zu bringen. Dort hockt ein Arbeiter auf einer gusseisernen, grau lackierten Maschine, dem "Roller", und füttert sie beständig mit Tee. Die Blätter werden darin mit sanftem Druck zwischen zwei Platten gerollt.

Oxidation

Dabei tritt Zellsaft aus, der sich um die Blätter legt. Unmittelbar danach wird fermentiert – eigentlich oxidiert. Dieser Schritt ist für Farbe, Duft und Geschmack des Tees von zentraler Bedeutung. "Heute will die vorwiegend deutsche, japanische, französische und amerikanische Kundschaft lieber noch helleren, frischeren First-Flush-Darjeeling", sagt Kumar bedauernd, "daher wird oft nur noch eine Viertelstunde oxidiert." Wenn es nach ihm ginge, lägen die gerollten Blätter bis zu zwei Stunden lang in fünf Zentimeter dicken Schichten auf gut belüfteten Stellagen. Ein Tipp an Spezialisten: Für Second Flush, die im Geschmack robustere zweite Pflückung, wird das nach wie vor so gemacht.

Der Ernst, mit dem der kostbare Darjeeling auf den Plantagen behandelt wird, erinnert an den Umgang mit großen Weinen: Handarbeit, genaues Timing, extreme Sorgfalt, ständige sensorische Kontrollen. Das Selbstbewusstsein der Teeproduzenten ist aber oft weit entfernt von jenem renommierter Winzer. Darjeeling wird vor allem für den Export geerntet, im Inland wird der teure Tee kaum getrunken. Außerdem ist die politische Situation in Westbengalen, der nordostindischen Provinz, in der die Teeanbauregion Darjeeling liegt, fragil. Die Gorkhaland-Bewegung fordert Autonomie, die bei weitem größte Bevölkerungsgruppe in der Region sind Nepalesen. Straßendemos gehören zum Alltag, sie beeinträchtigen die Lieferfähigkeit der Plantagen.

Zwar hat die britische Kolonialmacht vor knapp 200 Jahren den Tee nach Darjeeling gebracht und seit Mitte des 19. Jahrhunderts kommerziell angepflanzt – geerntet und verarbeitet aber wurde er stets von Einheimischen. Sie leben mit ihren Familien inmitten der Teeplantagen. Im besten Fall, wie bei der Chamong- Gruppe, sorgen Bio-Anbau und Fairtrade-Zertifizierung für bessere Arbeitsbedingungen.



125 Gramm Blatt-Tee aus einem Kilo Teeblättern

Nach dem Oxidieren des First Flush, das durch permanentes Kontrollieren, händisches Wenden und Zerzupfen eventueller Teeklumpen geprägt ist, wird der Tee bei ca. 120 Grad getrocknet. Das dauert maximal eine halbe Stunde. Danach liegt der Feuchtigkeitsgehalt nur mehr bei zwei Prozent. Jetzt wird der noch warme erste Tee des Jahres über Rüttelsiebe sortiert.

Aus 100 Kilo gepflückten Teeblättern entstehen so gerade einmal 25 Kilo fertiger Darjeeling, davon ist etwa die Hälfte Blatt-Tee (siehe Kasten). Wenn rund 100 Kilo Blatt-Tee von mehreren Erntedurchgängen beisammen sind, werden sie nach intensiver Verkostung direkt in der Fabrik zu einer "Invoice" geblendet (also vermengt), Muster davon in winzige Alusäckchen gefüllt und diese nach Kalkutta oder gleich per Flugpost auf den Weg zu den Teegroßhändlern gebracht.

Der Schnellste bekommt den Zuschlag

Einer, der in Österreich seit Jahrzehnten mit Darjeeling direkt handelt, ist der Tee-Experte Andrew Demmer. "Wir haben heuer rund 60 First-Flush-Darjeelings verkostet. Aber selbst wenn wir einen Favoriten haben, heißt das noch nicht, dass wir den auch bekommen." Darjeeling wird wie an der Börse gehandelt. Wer am meisten und schnellsten bietet, bekommt den Zuschlag. Die Zeitverschiebung ist laut Demmer ein kleiner Wettbewerbsnachteil: "Trotzdem machen wir den ersten Goldrausch jedes Jahr Ende März nicht mit, sondern warten 10–12 Tage."

Dann sind die First-Flush- Tees – auch jene aus dem an Darjeeling grenzenden Nepal, wo Demmer seit 2012 eine Tee-Kooperative unterstützt – ausgewogener, schon etwas runder. Rajiv Gupta, Manager von Tumsong, erklärt, wie First-Flush-Darjeeling noch nachreift: "Etwa sechs Wochen nach der Ernte erreicht er den geschmacklichen Höhepunkt, der hält für etwa drei Monate an. Danach baut er langsam ab." Damit ist der First-Flush- Darjeeling auch vom Erntezeitpunkt her ein klassischer Tee für die warme Jahreszeit – die Gerbstoffe und die erfrischend blumige, leicht fruchtige Aromatik prädestinieren ihn ohnehin für heißes Wetter. Bis Weihnachten gehört First Flush spätestens aufgebraucht. Das ist auch gut so, denn, so Demmer: "Ab September treffen die ersten Second-Flush-Darjeelings ein. Die haben eine intensiver gefärbte Tasse und einen volleren Körper." Ideal für den Herbst. (Katharina Seiser, DER STANDARD, Feinkost, 23.05.2013)

>> Woran man guten Darjeeling erkennt

First Flush
Die erste Frühjahrspflückung Ende März, Anfang April ist sehr hell und zart.

Foto: Katharina Seiser/http://www.esskultur.at

Okayti
Diese Teefabrik liegt direkt an der Grenze zu Nepal.

Foto: Katharina Seiser/http://www.esskultur.at

So jung
müssen die Blätter für First Flush sein.

Foto: Katharina Seiser/http://www.esskultur.at

First Sack
Die allererste Invoice "DJ/1" der neuen Ernte auf der 1200 Meter hoch gelegenen Bio-Teeplantage Tumsong.

Foto: Katharina Seiser/http://www.esskultur.at

Schiebung
Der bei 120 Grad getrocknete Tee wird noch warm zum Sortieren gebracht.

Foto: Katharina Seiser/http://www.esskultur.at

Vijay Kumar
prüft, ob die gewelkten Blätter schon gerollt werden dürfen

Foto: Katharina Seiser/http://www.esskultur.at

Museale Mechanik
Über Rüttelsiebe wird der First Flush nach Blattgröße sortiert.

Foto: Katharina Seiser/http://www.esskultur.at

Die richtige Zubereitung

Darjeeling First Flush braucht weder Milch noch Zucker:

Pro Tasse (à ca. 200 ml) rechnet man einen gestrichenen Teelöffel Darjeeling First Flush.
"Für die Kanne" ist kein Extralöffel nötig. Darjeeling soll mit nicht zu hartem Wasser zubereitet werden, Wiener Leitungswasser z. B. eignet sich gut.
Darjeeling wird mit frisch aufgekochtem, sprudelnd heißem Wasser aufgegossen und soll nicht länger als 3–4 Minuten ziehen. Je nach Geschmack reichen schon 2 Minuten, um die frischen, blumigen Noten des First Flush in die – möglichst dünnwandige – Tasse zu bringen. Milch oder Zucker würden das zarte Aroma verfälschen.

Foto: Katharina Seiser/http://www.esskultur.at