Otto Muehl im Jahr 1998.

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Wien - Kein Privatbesitz, kein Kleinfamilienidyll, kein Vater-Mutter-Ideal, keine Zweierbeziehungen, dafür frei praktizierte Liebe: Das waren die ersten Gebote, die der Aktionist und Maler Otto Muehl aufstellte, als er im Jahr 1974 im Nordburgenland seine Kommune Friedrichshof gründete: mit eigener Schule, die später sogar Öffentlichkeitsrecht hatte, sowie diversen Werkstätten und Landwirtschaft und rege besucht von Polit- und Kulturprominenz. Mitunter lebten mehr als 600 Kommunarden am Friedrichshof und in europäischen Stadtgruppen, Mitte der 1980er Jahre eröffnete er auf La Gomera eine Dependance der Muehlkommune. In einer wilden Mischung aus Reichs Charakterstudie, aus Verhaltens- und Urschreitheorie ging es um die Verwirklichung der "praktischen" Kunst - die Erschaffung des neuen Menschen.

Doch das soziale Experiment  scheiterte gründlich, Homosexualität etwa galt als "infantile Schädigung". statt Freiheit gab's autoritären Führerkult, Missbrauch, sexuelle und emotionale Gewalt sowie demütigende "Selbstdarstellungen", bei denen Kommunenmitglieder ihre Verfehlungen öffentlich eingestehen mussten. Auch das Eheverbot galt nur für "einfache" Kommunenmitglieder, 1986 heiratete Otto Muehl die junge Kommunardin Claudia Weissensteiner, ihr gemeinsamer Sohn war für die Thronfolge vorbestimmt.

1991 wurde Otto Muehl wegen einer Reihe von Sittlichkeitsdelikten, allen voran Unzucht mit Unmündungen, zu sieben Jahren hinter Gittern verurteilt, auch seine Frau Claudia, die maßgeblich am Aufbau der Strukturen beteiligt gewesen war, saß ebenfalls ein Jahr wegen Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses hinter Gittern. "Muehl hat Terror ausgeübt. ... mit Menschen experimentiert, hat sie manipuliert", hieß es in der Urteilsbegrüdung und weiter: "Die Jugendlichen waren nicht freiwillig dort, er hatte ihnen die Eltern genommen und damit die Möglichkeit, die Kommune zu verlassen."

Das Dokument zum Richterspruch ist übrigens gerade in unseren Kinos zu sehen: Paul-Julien Roberts Film "Meine keine Familie" erzählt gleichermaßen unaufgeregt wie zutiefst verstörend über seine Kindheit auf dem Friedrichshof.

Während der Haft malte Muehl etwa 300 Bilder, nach seiner Freilassung zog er sich 1998 nach Faro in Portugal zurück, umgeben von einem Dutzend Getreuer und ihrer Kinder. Claudia Muehl blieb bis zum Jahr 2010 als eine seiner Hauptfrauen an seiner Seite. Trotz seiner fortschreitenden Parkinson-Krankheit entwickelte er in den letzten zehn Jahren die sogenannten "Electric-painting"-Filme: Er bemalte am Computer Digitalfotos von Aktionen und schnitt sie zu Filmen. Für seine "Exzess-art"-Objekte drückte er die Farbe direkt aus der Tube auf die Leinwand. "Pure Scheiße" sei das und keine Entwicklung sichtbar, sagte sein ehemaliger Aktionismus-Kollege Günter Brus über Muehls Spätwerk. Doch Brus hatte sich von seinem ehemaligen Mitaktionisten radikal losgesagt: "Das hat mit der Idee des Aktionismus nichts zu tun", wunderte sich Brus später auch über Muehl-Solidaritätsveranstaltungen und -versteigerungen.

Denn der "Kunst-Ceaucescu" wollte die Kommunenidee nicht aufgeben, jahrelang beklagte er seine Verurteilung als Justizirrtum. Noch im Jahr 2001 sagte er in einem Interview: "Ich habe in der Kommune schon Fehler gemacht, aber in der Sexualität sicher nicht." Und legte drei Jahre später trotzig nach: Er sei kein Kinderschänder, ließ er via "Die Zeit" wissen: "Das waren alles entwickelte Mädchen."

Erst im Zuge einer Ausstellung im Leopoldmuseum entschuldigte er sich, allerdings eher halbherzig bei ehemaligen Mitgliedern der Muehl-Kommune. Er habe seine "Wirkung als so genannter Häuptling innerhalb der Kommune unterschätzt", schrieb er, und, eher zweideutig: "Ich bin auf alle Kommunarden sehr gestanden." Die Stellungnahmen der Jugendlichen im Gerichtssaal hätten ihn fassungslos gemacht: "Ich wollte sie befreien und habe sie mit sexueller Überschreitung stattdessen überrumpelt und gekränkt."

Geboren 1925 im Burgenland, wollte er von klein auf "ein großer Künstler werden". Doch zunächst wurde er 1943 zur deutschen Wehrmacht eingezogen, meldete sich zur Offiziersausbildung und wurde zum Leutnant befördert. Über Hitler sagte er später: "Vielleicht war er unschuldig. Er hat geglaubt, er macht alles richtig. So geht's ja im Leben meistens. Man glaubt, es ist alles richtig, und ist ein totaler Psychopath und weiß es nicht. Vielleicht stellt sich heraus, dass ich total wahnsinnig bin, und die Leute halten mich für normal."

Die Kriegszeit, die Kämpfe, das Massensterben wird er als Aktionist in seinen Materialschlachten drastisch umsetzen. Doch zunächst studierte er Deutsch, Geschichte und Kunstpädagogik, arbeitete als Maltherapeut. Doch statt Farbe aufs Tafelbild aufzutragen, begenn er bald, Gebilde aus Schrott zu fertigen. Die von ihm so genannten "Gerümpelsculpturen" markierten den Beginn seiner "Materialaktionen", viele wurden etwa vom Filmemacher Kurt Kren oder dem Fotografen Ludwig Hoffenreich festgehalten.

"Die Blutorgel" hieß die erste aktionsähnliche Performance, die er 1962 gemeinsam mit Hermann Nitsch und Adolf Frohner in seinem Kelleratelier durchführte. Seine erste Materialaktion nannte er "Versumpfung eines weiblichen Körpers". Muehl, Günter Brus, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler wollten mit ihren Aktionen den traditionellen Kunstbegriff zertrümmern, das Bürgertum aufmischen mit verstörender, radikaler Körperkunst. 1968 kotzten und onanierten und urinierten Muehl, Brus, Schwarzkogler und Peter Weibel im Zuge ihrer als "Uni-Ferkelei" berühmt-berüchtigt gewordenen Aktion "Kunst und Revolution" im Hörsaal 1 des Neuen Institutsgebäudes der Wiener Universität auf den Tisch und auf die österreichische Fahne, verschmierten ihre Exkremente auf den eigenen Leibern und sangen dazu die Bundeshymne.

Doch selbst wenn Muehl nicht aktionierte, sondern "nur" malte, löste er Skandale aus, kam mit der Justiz in Konflikt. So wurde über sein Bild "Apokalypse/Keks Heute", das 33 Persönlichkeiten wie Mutter Teresa oder österreichische Politiker beim Gruppensex zeigte und das 1998 in der Wiener Secession vom selbsternannten Pornojäger Martin Humer mit Farbe beschmiert worden war, im Jahr 2000 mit Ausstellungsverbot belegt - was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wiederum für unzulässig erklärte: Die Republik Österreich musste wegen Verletzung des Rechts auf Meinungsfreiheit 12.000 Euro Entschädigung zahlen und die Prozesskosten übernehmen.

Otto Muehl starb Sonntagfrüh 87-jährig "friedlich im Kreise seiner Freunde in Portugal", wie die Leiterin des Muehl Archivs, Danièle Roussel, am Sonntagabend bestätigte. (Andrea Schurian, derStandard.at, 26.5.2013)