"Das Korruptionsstrafrecht war etwas Notwendiges und hat auch eine gute Wirkung": Sektionsleiter Christian Pilnacek, Justizministerium

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Bis Anfang 2014 ist im Justizministerium eine Arbeitsgruppe aus internen und unabhängigen externen Experten damit beschäftigt, Vorschläge für eine Reform des Strafgesetzbuches (StGB) auszuarbeiten. Erst danach soll sich die Politik damit beschäftigen. Zum 40-Jahr-Jubiläum der bisher letzten Reform unter Justizminister Christian Broda sollen die Änderungen bereits im Jahr 2015 in Kraft treten.

STANDARD: Das Strafrecht soll reformiert werden. Warum eigentlich?

Christian Pilnacek: Das StGB ist 1975 in Kraft getreten und war damals eine vorbildliche Kodifikation. Aber die Justizministerin Beatrix Karl hat uns den spannenden Auftrag erteilt, sich anzusehen, ob die Werthaltungen, die hinter diesem Gesetz stehen, noch mit den derzeitigen übereinstimmen.

STANDARD: Was soll am Ende der Reform stehen?

Pilnacek: Das Beeindruckende am StGB 1975 war, dass es so einfach und gut lesbar war. Inzwischen neu dazugekommene Delikte haben teilweise sehr unbestimmte Rechtsbegriffe. Das Ziel muss sein, dass das Strafrecht für jeden Bürger verständlich sein muss.

STANDARD: War es 1975 nicht umgekehrt – die Politik hat die groben Linien vorgegeben und die Experten die dann ausgearbeitet?

Pilnacek: Wir leben jetzt in einer Zeit, wo die Entscheidungsprozesse schneller ablaufen. Auch die damalige Reform wurde von einer breiten Expertengruppe vorbereitet, war aber sicher auch ein Kind der Zeit. Sie war aber sicher nicht vorrangig von der Politik geprägt. Ich halte den Versuch der Justizministerin für spannend, der Politik ein Ergebnis vorzulegen und zu sagen: "Das meinen Experten, und jetzt beginnt die Diskussion auf politischer Ebene."

STANDARD: Ist die Öffentlichkeit da nicht zu wenig eingebunden?

Pilnacek: Die Ministerin legt Wert auf Transparenz, weshalb wir auch eine Enquete abgehalten haben, wo Vertreter der Zivilgesellschaft von Wirtschaft über Opferschutzeinrichtungen bis hin zu Betroffenenvertretern den Experten Inputs geben konnten, womit sie sich beschäftigen sollen. Aber nach Vorliegen der Vorschläge wird es sicher zu einer weiteren breiten Diskussion kommen.

STANDARD: Ist der Zeitplan, die Reform mit 1. Jänner 2015 in Kraft treten zu lassen, nicht ein wenig zu ambitioniert? Vor allem, wenn man sich ansieht, dass die Reform der Strafprozessordnung Jahrzehnte gedauert hat.

Pilnacek: Das gebe ich zu, dass uns das vor große Herausforderungen stellt. Manchmal bedarf es aber auch eines zeitlichen Drucks, um Diskussionen zu einem Ergebnis kommen zu lassen.

STANDARD: Was gehört reformiert?

Pilnacek: Wir haben mit Aspekten des Vermögensstrafrechtes begonnen. Auch unter dem Blickwinkel, dass es immer wieder Diskussionen über die Relation der Strafhöhen bei Eigentumsdelikten und solchen gegen Leib und Leben.

STANDARD: Wo gibt es Defizite?

Pilnacek: In den ersten Arbeitsgruppensitzungen haben wir uns mit der Gewerbsmäßigkeit beschäftigt. Wenn ich Ihnen Ihre Geldtasche wegnehme, ist das mit sechs Monaten Haft bedroht. Würde man mir jetzt unterstellen, dass ich das auch noch bei anderen machen will, habe ich eine Strafdrohung bis zu fünf Jahren. Da muss man sich fragen, ob dieses innere Merkmal so einen Sprung rechtfertigen kann.

STANDARD: Wäre es vernünftiger, die Strafdrohung zu senken oder festzusetzen, ab wie vielen Taten eine Gewerbsmäßigkeit vorliegt?

Pilnacek: Wir stehen in der Diskussion. Es ist den Experten klar, dass man etwas ändern muss, aber die Richtung steht noch nicht fest.

STANDARD: Was sind weitere Themen? Welche Delikte könnten beispielsweise gestrichen werden?

Pilnacek: Na ja, beim Streichen muss man überlegen, ob das Phänomen hinter dem Delikt in der sozialen Realität noch eine Rolle spielt. Ein Beispiel dafür ist etwa die "Unterschiebung eines Kindes" (das mit bis zu einem Jahr Haft bedroht ist, Anm.). Ich glaube für die Streichung selbst gibt es wenige Fälle. Man müsste sich aber überlegen, ob etwa Tatbestände wie "Landfriedensbruch" die passenden Ausdrucksformen für das Verhalten sind, das wir erfassen wollen. Etwa ein Platzsturm im Fußballstadion. Da soll das Strafrecht durchaus eine präventive Wirkung haben, um die friedvollen Besucher nicht abzuschrecken. Dieses Phänomen sollte man klarer regeln.

STANDARD: Was sind Themenfelder, die seit 1975 so virulent geworden sind, dass man eigene Delikte daraus machen muss?

Pilnacek: Der gesamte Bereich der neuen sozialen Medien, der derzeit schwer erfassbar ist. Das Cybermobbing und ähnliche Verhaltensweisen erzeugen doch einen enormen Druck bei den Opfern.

STANDARD: Ein anderes Thema, das deutlich präsenter ist als vor 40 Jahren, ist die Korruption. Aus der Wirtschaft gibt es durchaus Kritik an den neuen Regelungen. Kommt es zu Adaptierungen?

Pilnacek: Es gibt Vorschläge für Präzisierungen. Aber in der großen Tendenz war das Korruptionsstrafrecht etwas Notwendiges und hat auch eine gute Wirkung. Ich glaube zum Beispiel, dass Dinge, die derzeit vor Gericht verhandelt werden, heute in der Telekom nicht mehr stattfinden würden. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 25.5.2013)