Der Autor, kurz bevor er beim Femen-Casting durchgefallen ist.

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"Endlich ein Feminismus, zu dem man onanieren kann!" - Femen-Aktivistin bei der Eröffnung des Barbie-Museums in Berlin ...

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... und auf Augenhöhe mit Wladimir Putin bei dessen jüngstem Besuch in Hannover: "Aber hallo ..."

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Wer soll das verstehen? Fleischgewordene Barbiepuppen zünden andere Barbies an, um gegen das sexistische Körperbild der Plastikikonen zu protestieren. So beherzt offenherzig dieser Widerstand auch sein mag, halbherzig bleibt er allemal, denn die von Anna Hustol in der Ukraine geführten Barbie-Brigaden namens Femen ziehen es vor, unter sich zu bleiben. In allen Ländern, auch Deutschland, in denen Femen die Franchising-Lizenzen vergibt. Der überwiegenden Mehrheit der Frauen jedoch, deren Körper doch eher den üppigen Matrjoschkapuppen gleichen und deren Brüste ein weitaus entspannteres Verhältnis zur Schwerkraft haben, scheint die Mitgliedschaft verweigert zu werden. Dass sich feministische Kritik die Frage nach den Castingkriterien von Femen lieber verkneift, dürfte nämlich der Totalität derselben Ideologie geschuldet sein, kraft derer die Über-Babes von Femen frech zeigen, was sie haben. Ich, der als Frau wie die ukrainische Durchschnittsbäuerin aussähe, hätte jedenfalls keinen Meter dort, würde mir das Maßband jener Konfektionierung angelegt, die bestimmt, welcher Körper als Widerstandskörper taugt.

Dieses Maßband haben wir alle längst geschluckt: Wer will Schönheit nicht bewundern, nicht begehren? Selbst Feministinnen, von so viel Straffheit gebannt, freuen sich, dass nun auch die Pin-ups zur gerechten Sache übergelaufen sind und das Vorurteil des Neids der Besitzlosen entkräften, und nichts zeigt männliche Wahrnehmung schöner als Putins Gesichtsausdruck bei der Femen-Attacke am 8. April in Hannover, der sich als ein playboyhaftes "Aber hallo" übersetzen lässt. Was Männern Spaß macht.

Endlich Feminismus, zu dem man onanieren kann!

Was wie ein Herrenwitz klingt, zeigt die stumpfen Effekte eines Exhibitionismus, der die Voyeure spitz machen soll, um feministische Inhalte zu transportieren. Doch ist die Entblößung wirklich das Gleitmittel, das diese Inhalte besser ins Bewusstsein flutschen lassen soll - oder umgekehrt?

Die hunderttausendfach angeklickten YouTube-Videos gehorchen alle einer verhohlen pornografischen Dramaturgie: Zuerst die öffentliche Entblößung - und dann die hilflos-gewalttätigen Sicherheitskräfte, die ihre Handschuhe überstülpen, um das sich katzenhaft wehrende nackte Fleisch unter Drosselung der eigenen sexuellen Impulse aus dem Blickfeld zu zerren. Eben in der verstörenden Ambivalenz von Sexualisierung und Entsexualisierung liegt das Erfolgsrezept der Provokateurinnen. Kein schlechtes zumal, denn Selbstsexualisierung kann ein ganz schön dämonisches Gegenmittel zur Fremdsexualisierung sein: Von den ihre Vulvae aufreißenden Sheila-na-Gigs auf altirischen Kirchenportalen über die französischen Arbeiterinnen, die auf den Barrikaden der 1848er-Revolution die Soldaten mit gehobenen Röcken verspotteten, bis zu den Naughty Girls und Slutty Feminists unserer Tage.

Mit den Über-Babes von Femen verhält es sich allerdings anders: Sie sind perfekt gewachsener Auswuchs dessen, was sie zu bekämpfen vorgeben: Der Femen-Körper ist das Luxusprodukt eines Jahrzehnte währenden neoliberalen Programms, einer permanenten Casting-Show, die die Ausbeutung der Menschen in diese selbst ausgelagert hat, und selbst das Deviante so zurichtet, dass sich Behinderte nur noch als Paralympics-Hünen, Migranten als Leistungsträger und Feministinnen als sexy It-Girls akzeptieren. Angefangen hat dieser Selbstbetrug, als Madonnas Verwandlung in einen erotischen Konsumartikel als weibliche Selbstermächtigung gefeiert wurde.

Mehr als auf Busen Platz hat

Die Feministinnen früherer Tage hatten noch so viel zu sagen, dass es nicht auf einem Busen Platz hatte. Die radikalen Slogans auf den Femen-Torsi aber wirken nicht wie die Überschriften der Werke, die es nachzulesen gilt, sondern wie die nachträglich draufgepinselten Rechtfertigungen zur Selbstvermarktung. Etwas gleichen sie dem Zertifikatenhandel: Für jede feministische Botschaft muss man sich mindestens einmal ausziehen. Die Idee ist zum Ikonogramm verkommen und darf sich nicht mehr anders zeigen als auf weichen Wölbungen. Der Edelbusen und nicht das "Stop sexism" darauf ist die Marke, und sie vereint Sexismus und Antisexismus in prickeligem Behagen. Reicht die Reflexion aber über die Titteninschriften hinaus, dann klingt das meistens so schauderhaft wie aus dem Mund der Femen-Mitbegründerin Aleksandra Shevtchenko: "Das Kopftuch ist vergleichbar mit einem Konzentrationslager."

Viele verdammen Femen aus offener oder versteckter Prüderie. Und viele Frauen und noch mehr Männer schauen gerne hin. Denn der frivole Kitzel dieser Aktionen gehört zu ihrem erfreulich karnevalhaften Zug. Warum soll Widerstand nicht Spaß machen, und warum sollen Widerständige nicht schön sein? Aber sie sollten den einförmigen Normen von Schönheit widerstehen und die Wahrnehmung von Schönheit erweitern, sodass sich die Ästhetik der Widerständigen aus der Ästhetik des Widerstandes speist und nicht daraus, was uns täglich von MTV, Hochglanzmagazinen und Model-Shows vorgesetzt wird.

"Unsere Brüste sind unsere Waffen", verkünden Femen aus voller Brust und demonstrieren mit jeder Aktion, wen sie aller vom Waffenlager ausschließen. Denn die provokative Selbstentblößung wäre als Kampfform nur subversiv, würde nur dann dem Verdacht der Heuchelei entgehen und Putin das "Aber hallo" aus dem Gesicht zaubern, wenn die Aktivistinnen auch dem Markt und seinen ästhetischen Sanktionen die Titten zeigten, auch und vor allem solche, die diesem nicht gefallen, und dann, beim Auskurieren der postaktionistischen Verkühlungen, mehr über diese Zusammenhänge nachdächten. Damit ich (wäre ich eine Frau) und die anderen Matrjoschkas uns nicht dankbar damit bescheiden müssten, eine Aristokratie der Über-Babes unsere Kämpfe für uns austragen zu lassen. (Richard Schuberth, DER STANDARD, 25./26.5.2013)