Der Regelungs-Übergriff auf die Gurkenkrümmung war anno dazumal vielen der Beweis für die Brüsseler Papiertiger. 2008 hat die Union die kritisierte Vorschrift wieder abgeschafft. Letzte Woche hat ein potenzieller Nachfolger der verflossenen Direktive für Aufregung gesorgt. Das Olivenöl-Kandl müsse aus Gründen der mangelnden Etikettierung und der Hygiene vom Wirtshaustisch fern bleiben, beschied die EU-Kommission. Nach wütenden Protesten in ganz Europa macht Brüssel nun einen Rückzieher.
Nun dürfte auch die Angst, es gehe Essigkaraffen, Tabascoflaschen oder Salzstreuern an den Kragen, verflogen sein.
Qualität vor Preis
Der zuständige EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos gab am Donnerstag in Brüssel zu, dass der Vorschlag unausgegoren wäre. Ab dem 1. Jänner 2014 sollten Gastronomen nicht nachfüllbare und versiegelte Flaschen anbieten müssen. Konsumentenschützer, Gastronomievertreter und Olivenölproduzenten würden nun vor einem neuen Anlauf von ihm konsultiert.
Doch auch in Zukunft werden Bedenken über die Hygiene und die Herkunft beim Olivenöl eine Rolle spielen. "Wir wollten die ganze Kette unter die Lupe nehmen, wo ein Betrugsrisiko besteht. Die Restaurants sind am Ende der Kette und stehen in direktem Kontakt mit dem Verbraucher", erklärt Agrarkommissar Ciolos die Idee. Die Hersteller sollten damit animiert werden, ihre Produkte zu kennzeichnen. So solle sich Qualität durchsetzen, und damit auch ein höherer Preis für die Olivenbauern.
Warum nach dieser Logik dann nicht auch offener Wein von den Restauranttischen verbannt werden soll? Das sei nicht zu vergleichen, denn Wein komme meistens in der Flasche und man trinke ihn zum Essen, während das Olivenöl schon auf dem Tisch stehe, so Ciolos.
Leben und leben lassen
Dass sich die EU sogar Gedanken über den Wirtshaustisch macht, stößt Europaparlamentarier Markus Ferber hingegen sauer auf. "Das Motto der Kommission sollte künftig lauten: Leben und leben lassen", betonte der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) begrüßt den Rückzieher der Kommission: "Das Verbot hätte nur unnötige Bürokratie und höhere Müllberge verursacht."
Besonders echauffiert über Brüssel zeigt sich die Wirtschaftskammer. Die Betriebe würden sich fragen, ob es "überhaupt noch vertretbar ist, frisch zu kochen", stößt sich Tourismusvertreter Hans Schenner in einer Aussendung an der Regulierungswut. Zudem käme das Ganze nur den Lebensmittelmultis zugute. Es freue sich daher, dass diese "Ölkatastrophe" verhindert worden sei.
Aufreger um Allergene
Schenner befürchtet aber, dass die EU-Kommission nicht damit aufhört, die Betriebe mit unausgegorenen Vorschriften zu beglücken. So fürchtet er sich schon vor der Kennzeichnung Allergener Stoffe, die ab 2015 auf unverpackten Lebensmitteln erforderlich sein soll. Dann hieße es: "Achtung, diese Leberkäsesemmel enthält Gluten und Senf." Bei 14 möglichen Allergenen Stoffen stelle er sich das Bestellen schwer vor. "Wer eine Allergie hat, weiß, was er nicht bestellen darf. Und wer nicht weiß, dass er eine Allergie hat, kann ohnedies nicht geschützt werden", konstatiert Schenner.
Die Wirtschaftskammer dürfte hinter der Vorschrift ganz andere Interessen verstehen. Zumindest verklausuliert wie in Beamtenmanier, schreibt sie: "Es könnte jedoch sein, so vermuten Branchenkenner, dass die Lebensmittelindustrie ihre Fertigprodukte mit der aufgedruckten Kennzeichnungen in der Gastronomie verkaufen möchte." (red, APA, derStandard.at, 23.5.2013)