Wilde Mythen ranken sich um das Volk der Azteken. Sie sind gleichermaßen schön wie grausam.

Im 13. Jahrhundert eroberten die Azteken das Mexiko- Tal, gründeten um 1370 die Hauptstadt Tenochtitlán auf einer Insel im Mexiko-See und eroberten schließlich im 15. Jahrhundert ganz Mexiko. Sie entfalteten eine einzigartige Hochkultur mit Tempelpyramiden, Palästen, monumentalen Bildwerken und Kolossalstatuen. Der Tatbestand von Menschenopfern zum Ruhme ihres Gottes Quetzalcoatl gab den Herren Cortéz und Co. die Legitimation ihrer Ausrottung im Jahr 1521.

Was sich in knapp 200 Jahren an Hochkultur im zentralen Mexiko entwickelte, ist schier nicht in Worten zu fassen. Eine fabelhafte Ausstellung im Berliner Gropius-Bau, von den Berliner Festspielen verantwortet, versucht es deshalb mithilfe von handfesten Belegen, Schätzen, die aus aller Welt – rund 350 Exponate – zusammengetragen wurden. Organisiert wurde die Schau übrigens von der Royal Academy of Arts in London.

"Mexika"

Die Vorfahren der heutigen Bewohner Mexikos beschlossen, sich nicht mehr Azteken zu nennen, sondern "mexika". Sie waren damit die Gründer des Staates Mexiko, das dieses wertvolle Erbe wie einen heiligen Schatz hütet.

Im großen Lichthof des Gropius-Baus wurden Teile des "Templo Mayor" rekonstruiert. Er war das politische und religiöse Zentrum der aztekischen Hauptstadt. Seit 1978 graben mittlerweile dort mexikanische und europäische Archäologen nach den Resten der Vergangenheit. Täglich stößt man auf neue, überraschende Funde.

Herrlich anzuschauen die riesigen Götterdarstellungen von Mais- und Fruchtgöttern aus gebranntem Ton. Mitten drin ein Furcht erregender "Adlerkrieger" mit gezackten Federn und spitzen Klauen an den oberen Stiefelschaften.

Ritualkalender

Natürlich nimmt die Religion einen breiten Raum ein. Wir sehen Götter, symbolisiert in verschiedenen Tierarten wie Schlangen, Kaninchen, Affen, Vögel oder Schildkröten. Masken, die ihre skurrilen, komischen Ableger im heimischen Karneval hinterlegt haben. Götter, die – mit menschlicher Haut versehen – wie alemannische Flecklehäs daherkommen. Das ist komisch und schrecklich zugleich. Dann die hochkomplizierten Ritualkalender, nach deren exakter Berechnung die Opfer dargebracht wurden.

Weiter geht es mit einer reichen Palette an witzigen, schnabeligen Windgöttern, die im Leben der Azteken eine wichtige Rolle spielten. Dann die in der Tat makabren Zeremonien der Menschenopfer, mit Opferstein, Ritualmesser und Blutgefäßen. Das Herz wurde bei lebendigem Leib aus dem Körper geschnitten. Es war in der Vorstellung der Azteken als Nahrung der Götter notwendig und garantierte den Fortbestand der Welt.

Eine wichtige Rolle spielte auch der Gott der Unterwelt, Mictlantecuhtli. Wir sehen ihn teuflisch grinsend als riesige Steinfigur, der seine Leber wie Gold vor den Körper hängt. Es ist das Gold der reinen Seele. Fabelhaft auch die dualistische Welt der Azteken, die vielen Darstellungen als Leben und Tod im Bildnis einer Gottheit.

Adlerkrieger

Neben diesem gruseligen Teil gibt es aber auch schönes Kunsthandwerk zu sehen, das den vornehmen Adlerkriegern aus den Adel vorbehalten war: wertvolle Federn, Felle, Textilien, reich verzierte Keramik, Edelsteine und Goldschmuck.

Die Ausstellung schließt mit herrlichen Bilderhandschriften. Darunter befindet sich manch schönes "Souvenir", das Alexander von Humboldt von seinen Reisen aus Mittelamerika mitbrachte. Darunter auch ein Kodex, der seinen Namen trägt und eine amtliche Steuergesetzgebung für die Bevölkerung enthält.

Deren Entschlüsselung gelang allerdings erst in heutiger Zeit. Die Spanier – das als kleiner Trost – konnten die bunten Bilder nicht entziffern, hielten sie für wertlos, ließen viele Folianten verbrennen.

Als Hernán Cortéz Teile der Azteken-Schätze nach Brüssel sandte und dort präsentierte, schwärmte Albrecht Dürer, der sich zufällig dort aufhielt: "Und ich hab aber all mein Lebtag nichts gesehen, das mein Herz also erfreuet hat als diese Ding. Ich bin wahrhaft nicht fähig all dem, was ich dabei gedacht habe, Ausdruck zu verleihen." So geht es vielen Besuchern bis heute. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.7.2003)