Bild nicht mehr verfügbar.

Der Markt für speziell kindgerechte Medikamente ist für die Pharmaindustrie derzeit zu klein. Das führt zu Engpässen in der Versorgung.

Foto: APA

Bevor Medikamente auf den Markt gebracht werden dürfen, müssen ihre Wirkungen und "mögliche unerwünschte Nebenwirkungen" in aufwändigen Studien nachgewiesen werden. Meist werden die nötigen Tests nur an Erwachsenen durchgeführt. Weil die Übertragung dieser Daten auf Kinder höchst problematisch ist, sind bis zu 40 Prozent der erhältlichen Arzneimittel nicht für Kinder zugelassen. "Am schlimmsten ist die Situation für Früh- und Neugeborene", sagt der pädiatrische Pharmakologe Florian Lagler von der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg. "Rund zwei Drittel der in der Neonatologie benötigten Mittel haben keine Zulassung für diese Altersgruppe."

Daten für Kinder fehlen

Zwar stehen zur Behandlung und Prävention der üblichen Kinderkrankheiten überprüfte Medikamente wie Antibiotika, fiebersenkende Mittel oder Impfungen zur Verfügung, bei schweren akuten und chronischen Erkrankungen wie Krebs, Herz- und Nierenleiden oder Epilepsie jedoch müssen die Ärzte oft auf Präparate zurückgreifen, für die der Hersteller keine entsprechenden Testdaten liefert. Damit fehlen oft zuverlässige Dosisempfehlungen, und auch die Wirksamkeit und Sicherheit für Kinder ist nicht in gleichem Maße gewährleistet. Wie ist so etwas möglich?

Die Ursachen sind vielfältig, doch an erster Stelle stehen oft wirtschaftliche Gründe: Der Markt für pädiatrische Arzneimittel ist einfach zu klein. "Im Gegensatz zu den Erwachsenen, von denen mit fortschreitendem Alter fast jeder irgendwann Medikamente braucht, sind die meisten Kinder gesund", sagt der Wissenschafter. Die Zahl der potenziellen Kunden ist also zu gering, um diesen Markt für die Pharmaindustrie attraktiv zu machen.

Da die oft beschworenen "Selbstregulierungskräfte" des Markts auch hier ihre Opfer fordern, wurde zum Schutz der Kinder Anfang 2007 von der EU die Kinderarzneimittelverordnung in Kraft gesetzt. Damit werden pharmazeutische Firmen zur Berücksichtigung von Kindern in der Arzneimittelentwicklung verpflichtet. Wird die Marktzulassung eines Medikaments beantragt, müssen seit sechs Jahren auch Daten zur Anwendung bei Kindern mitgeliefert werden.

Ausgenommen sind nur Medikamente, die - wie etwa Mittel gegen Prostatakrebs - für Kinder definitiv nicht relevant sind. Noch sind die Verbesserungen durch diese Regelung nicht wirklich spürbar, denn "das System ist träge. Von der Patentierung eines Medikaments bis zur Marktzulassung vergehen im Schnitt zehn Jahre", erklärt Lagler. Allerdings dürfte sich die Situation in den nächsten Jahren verbessern: " In den USA gibt es eine vergleichbare Regelung bereits seit 1997, dort ist die positive Wirkung schon zu beobachten."

Die vergleichsweise geringe Zahl an Patienten im Kindesalter stellt die Forscher allerdings auch vor große methodische Herausforderungen bei den klinischen Studien, denn um statistisch aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, braucht man eine gewisse Anzahl an Patienten.

Schwierige Testbedingungen

"An den meisten Erkrankungen leiden viel weniger Kinder als Erwachsene", sagt Lagler. Gleichzeitig haben Kinder häufig seltene Erkrankungen. Dazu kommt, dass Studien mit Kindern wesentlich aufwändiger sind als solche mit Erwachsenen, da es Krankheiten gibt, die Neugeborene ebenso betreffen können wie Jugendliche. Obwohl beide in die Kategorie "Kinder" fallen, sind sie auf keiner Ebene miteinander vergleichbar, und so müssen für jede Altersgruppe eigene Studien durchgeführt werden. Damit die Forschung zu ausreichend großen Probandengruppen kommt, sind hier nationale und internationale Kooperationen von enormer Wichtigkeit.

Erschwert werden die Studien an Kindern auch durch ethische Fragen. Da Kinder nicht selbst entscheiden können, ob sie an einer Studie teilnehmen, sondern die Einwilligung von den Eltern gegeben werden muss, wird bei Kindern genauer geprüft, ob die Vorteile durch eine Teilnahme die möglichen Nachteile überwiegen. "Letztlich ist es für die kleinen Patienten aufgrund der hohen Sicherheitsstandards jedoch weniger riskant, ein neues Medikament im Rahmen einer klinischen Studie anzuwenden als außerhalb", ist der Forscher überzeugt.

Um all diese Fragen zu diskutieren, Lösungsansätze zu präsentieren und die (inter)nationalen Kooperationsnetzwerke zu stärken, versammeln sich vom 4. bis 7. Juni Wissenschafter, Behörden- und Industrievertreter aus allen Teilen der Welt im salzburgischen Sankt Virgil zum Kongress der Europäischen Gesellschaft für Entwicklungs-, Perinatale und Pädiatrische Pharmakologie.

Ein Kongresstag ist für die Weiterbildung von Medizinern zu pädiatrischen "Prüfärzten", also zu Leitern klinischer Studien an Kindern, reserviert. Wie groß der Bedarf an diesem Spezial-Know-how ist, zeigt die Teilnehmerliste mit Fortbildungswilligen aus ganz Europa, Japan, den USA und Kanada. "Hier gibt es einen großen Nachholbedarf auch in Österreich und Deutschland, wo die klinische Pharmakologie in der Medizinerausbildung traditionell eine eher untergeordnete Rolle spielt", sagt der Wissenschafter.

Deshalb soll in Österreich künftig eine entsprechende Ausbildung im Rahmen des brandneuen Forschungsnetzwerks für Kinderarzneimittel (Okids) angeboten werden. Okids ist eine Initiative von Gesundheitsministerium, dem Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs und ihren Mitgliedsfirmen, der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde und den Medizinischen Universitäten.

"Das zunächst für fünf Jahre finanzierte Netzwerk soll die Erforschung von Arzneimitteln für Kinder in Österreich voranbringen", sagt Lagler. " Hier können Kinderärzte und andere Experten effizient zusammenarbeiten, um die bestmögliche Behandlung von Kindern mit den verfügbaren Arzneimitteln zu gewährleisten und zudem neue Therapiemöglichkeiten in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen Zentren und internationalen Netzwerken zu etablieren."

Vorsichtiger Optimismus

Es ist also einiges in Bewegung in Sachen kindertaugliche Medikamente. Aber reicht das aus, um kranken Kindern künftig optimale Behandlungsmöglichkeiten zu sichern? "Die EU-Verordnung war dringend nötig und bringt vielleicht tatsächlich, was man mit einem Gesetz erreichen kann", meint der Wissenschafter. "Um das erforderliche Wissen zu erarbeiten und entsprechend zu verbreiten, werden allerdings noch deutlich mehr Forschungsmittel benötigt. Auch müsste der pädiatrischen Pharmakologie in der klinischen Ausbildung ein viel höherer Stellenwert eingeräumt werden." (Doris Griesser, DER STANDARD, 22.5.2013)