Veronika Kaup-Hasler: "Politik gewährt gern Förderungen, wenn Kunst sich heißer Themen annimmt."

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STANDARD: Ist es für den Steirischen Herbst, der ja sehr international ausgerichtet ist, schwierig, für Kunstschaffende Einreisebewilligungen zu bekommen?

Kaup-Hasler:  Das ist stark abhängig vom Herkunftsland. Normalerweise nicht, aber selbst wenn, wäre das kein Hinderungsgrund für mich, spannende Künstler zu programmieren. Aber wir haben schon die Erfahrung gemacht, dass es für afrikanische Künstler besonders schwierig ist, Einreisebewilligungen von österreichischer Seite zu bekommen. Bei Afrika beginnen andere Mechanismen zu wirken. Da werden viele Sicherheitswälle hochgezogen, und man merkt, wie xenophob die Gesetzgebung hier agiert. Für unser "Truth is concrete-24/7-Marathon-Camp" 2012 zu politischen Strategien in der Kunst war es mitunter tatsächlich ein Problem - unter anderem auch, weil wir in besonderem Maße Künstler und Aktivisten eingeladen haben, die in ihren jeweiligen Ländern in Opposition zu den herrschenden Systemen und Machtverhältnissen stehen.

STANDARD: Würde Österreich, um die kulturelle Vielfalt zu spiegeln, ein migrantisches oder postmigrantisches Theater brauchen?

Kaup-Hasler:  Wenn zum Beispiel die türkische Gemeinde eine Notwendigkeit sieht, ein Theater für sich zu entwickeln, kann man das nur begrüßen. Aber es muss nicht künstlich geschaffen oder von außen aufgepappt werden. Wenn sich Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenschließen, weil sie endlich ein Theater oder eine andere kulturelle Einrichtung haben wollen, dann sollen sie das tun wie jede andere Gruppe auch. Interessanter ist für mich darüber hinaus, inwieweit im kulturellen Mainstream, in Schauspielschulen oder an den traditionsreichen Theatern Menschen unterschiedlicher Herkunft auftauchen - und welche Rolle sie da spielen. Es hat auch etwas mit dem Eingebettetsein in kulturelle Zusammenhänge zu tun, wenn man sagt: "Ich möchte in diesem Land Schauspieler sein." In Deutschland ist die zweite und dritte Generation bereits stark vertreten. Das Problem ist allerdings, dass Menschen mit migrantischen Wurzeln meist den Prototypen des "Ausländers" spielen müssen. Das wird wohl noch eine Generation brauchen, ehe sich das ändert.

STANDARD: Welche Rolle spielt die Politik bzw. sollte sie spielen?

Kaup-Hasler:  Sie ist aus meiner Sicht ambivalent. Politik gewährt gern Förderungen, wenn Kunst sich heißer Themen annimmt, die sie selber nicht bewältigt. Dazu gehört auch die Immigrationsfrage. Man weiß, man kriegt eher Subventionen, wenn man einen Abend mit Roma oder ein Theaterstück über misshandelte Kinder macht oder Drogenprobleme verhandelt. Diese Kehrseite des Gutmenschentums führt nicht immer zu guter Kunst. Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich entstehen wunderbare Ereignisse, die vor allem in einem lokalen Umfeld enorm wichtig sind. Aber man kann auch feststellen, dass es oft gebrauchsorientierte, angewandte Kunst ist. Diese Art der Kunst ist von der Politik sehr erwünscht - auch weil es viel zu lange nichts in dieser Richtung gegeben hat respektive die Notwendigkeit nicht begriffen wurde, die Vielfalt unterschiedlicher Kulturen auch zu thematisieren.

STANDARD: Kunst und Kultur sollen politische Defizite korrigieren - besteht da nicht die Gefahr der Instrumentalisierung?

Kaup-Hasler:  Genau. Dass sie besteht, sieht man ja auch in vielen Stiftungen und EU-Anträgen. Ich verfolge diese Entwicklung mit großem Interesse: Einerseits steht man als Kulturinstitution unter finanziellem, Quoten- und Maximierungsdruck. Die andere Seite ist angewandte und sozial relevante Kunst, die politische Themen aufgreift, die nicht ausreichend von der Politik behandelt werden. Aber ich sehe da auch eine Gefahr - nämlich dass die Autonomie und die grundsätzliche Widerstandskraft der Kunst gegenüber jeglicher Vereinnahmung auf der Strecke bleiben. Denkt man obengenannte Tendenzen - hier Ökonomisierung in finanzieller Hinsicht, da der Mehrwertsgedanke im Sinne gesellschaftlicher, leicht lesbarer und anwendbarer Form - radikal weiter, gäbe es in der Folge kei- ne abstrakte Kunst, keine neue Musik oder Dichtung mehr. Denn diese Kunstformen sind nicht ökonomisierbar, sondern waren von jeher - bedauerlicherweise - nur einer kleinen Elite zugänglich. Eine kluge Kulturpolitik weiß um diese Problematik und schafft ausreichend Freiraum für Unterschiedliches.

STANDARD: Aber migrantische Themen sind nicht wegzudiskutieren.

Kaup-Hasler: Natürlich kann man nicht stehenbleiben. Migrantische Fragestellungen sind in einem zeitgenössischen, urbanen Kontext einfach da. Es sind Themen, mit denen sich die Gesellschaft und damit auch die Kultur natürlich beschäftigen muss. Aber vieles ist doch keine rein migrantische Problematik. Entfremdung beispielsweise betrifft uns alle. Das ist eine grundsätzliche existenzielle und philosophische Frage.    (Andrea Schurian, DER STANDARD, 18./19./20.5.2013)